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Opfer von Fremdenhaß zählen kaum

Offiziell galt 1994 als das Jahr, in dem keine Todesopfer aufgrund rassistischer Gewalt zu beklagen waren; doch wenn es um den Wahrheitsgehalt der BKA-Statistiken geht, sind Zweifel angebracht  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) –Die Aussage von Statistiken ist oft zweifelhaft. Prekär wird sie, wenn es um fremdenfeindliche Straftaten geht. Bereits im November 1992 bemängelte der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Hans-Ludwig Zachert, daß „angesichts des unterschiedlichen Meldeverhaltens der Polizei berechtigte Zweifel“ bestehen würden, daß dem BKA „alle fremdenfeindlichen Straftaten bekannt geworden sind“. Geändert hat sich bis heute nichts, auch wenn das BKA allmonatlich fremdenfeindlich motivierte Straftaten als Antwort auf die Anfragen der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke auflistet. Stereotyp heißt es darin seit Januar 1994: „In diesem Zusammenhang sind dem BKA keine Todesfälle gemeldet worden.“

Das galt auch für den März 1994. Die schlimmste Brandkatastrophe in Stuttgart, bei der am 16.März 1994 sieben Menschen in einem fast ausschließlich von Ausländern bewohnten Haus ums Leben kamen, tauchte in der Statistik nicht auf. Kein Wunder, hatten doch Polizei und Staatsanwaltschaft sofort nach der Tat bekundet, eine ausländerfeindliche Tat sei auszuschließen. Nun gestand ein 25jähriger Mann aus Esslingen nach seiner Verhaftung, den Brand in Stuttgart und mehrere andere aus „Ausländerhaß“ gelegt zu haben. Eine nachträgliche Korrektur der Statistik wird wohl dennoch unterbleiben. Das Jahr 1994 wird in den offiziellen Statistiken als das Jahr eingehen, in dem im Gegensatz zu den Vorjahren erstmals wieder kein Todesopfer aufgrund rassistischer oder rechtsextremistischer Gewalttaten zu verzeichnen war. So zumindest hatten es Bundesinnenministerium, BKA und das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz unisono Anfang des Jahres vermeldet.

Eine Erfolgsmeldung, die nicht nur angesichts der insgesamt 7.952 Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremen Hintergrund – darunter zehn versuchte Tötungsdelikte – äußerst fragwürdig bleibt. Was ist mit einem 45jährigen polnischen Staatsangehörigen, der Ende Juli letzten Jahres in Berlin von mehreren Deutschen unter den Rufen „Scheiß-Polacken“ in die Spree gestoßen wurde und dort ertrank? Immerhin hatte der Ermittlungsrichter gegen vier Deutsche Haftbefehl wegen versuchten und vollendeten Totschlags erlassen. Der Berliner Polizei erschien eine Weitermeldung des Falles an das BKA jedoch nicht nötig. Am 20. April 1994 brennt es in einem Wohnhaus in der Göttinger Innenstadt. Das Feuer wurde nach Polizeiangaben im Treppenhaus gelegt. Eine 20jährige Türkin erliegt am 29. April in der Göttinger Universitätsklinik ihren Verletzungen. Am 5. Mai 1994 greifen in Quedlinburg drei Männer einen Obdachlosen mit einer Schreckschußpistole an und stoßen ihn dann in einen Fluß. Der Mann stirbt. Die Täter werden festgenommen und geben an, der Obdachlose habe nicht ins Stadtbild gepaßt. Jedes Mal Fehlanzeige in der Statistik.

Jetzt will die PDS-Abgeordnete Jelpke von der Bundesregierung bei insgesamt 22 Todesfällen aus dem letzten Jahr wissen, aufgrund welcher Tatsachen eine „tatsächliche oder zu vermutende rechtsextreme Motivation“ ausgeschlossen wurde. „Wäre es nach Ansicht der Bundesregierung für das Ansehen Deutschlands im Ausland angenehmer, wenn 1994 durch fremdenfeindliche Tötungsdelikte kein Mensch gestorben wäre anstelle von 22?“, fragt sie.

Solch statistisches Umgehen mit rechtsextremen Gewalttaten hat Tradition. 1990 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz zwei Tötungsdelikte mit rechtsextremer Motivation bekanntgegeben. Die grausame Ermordung des Angolaners Amadeu Antonio in Eberswalde fehlte dabei ebenso, wie ein 23jähriger Schüler, der von Skinheads in Ludwigsburg angegriffen und von der S-Bahn überrollt wurde. 1991 zählte das Kölner Amt drei Todesopfer. Nach Auswertung der überregionalen und regionalen Presse kommt das Büro der Bundestagsabgeordneten Jelpke jedoch auf insgesamt zehn. Den 19jährigen Schüler Mete Eksi, der am 20. Oktober in Berlin mit einem Baseballschläger erschlagen wurde, oder den 27jährigen Timo Kählke, der im Dezember in der Nähe von Cottbus von Mitgliedern der rechtsextremen „Werwolf-Jagdeinheit-Senftenberg“ erschossen und verbrannt wurde, sucht man in der Statistik vergebens.

1992 das gleiche Bild. Im Kölner Amt zählte man 17 Tote, andere Quellen kommen auf 30. Als am 30. Januar 1992 bei einem Brand in einem Flüchtlingswohnheim im hessischen Lampertheim ein Ehepaar aus Sri Lanka mit ihrem Sohn verbrannte, glaubte die Kripo einen Anschlag ausschließen zu können. Man gehe von einem „technischen Defekt“ aus, hieß es. Kaum jemand registrierte im Herbst 1992 das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Darmstadt. Wegen fahrlässiger Brandstiftung hatte man drei deutsche Heranwachsende verhaftet. Im Oktober 1993 wurden sie zu Freiheitsstrafen zwischen viereinhalb und fünfeinhalb Jahren verurteilt. Die Statistik wurde nie korrigiert.

Bislang vermeldet das BKA auch für 1995 kein Todesopfer rassistischer Gewalttäter. Die Zahlen für Juni 1995 wurden noch nicht bekanntgegeben. Mit Spannung darf gewartet werden, ob der am Vatertag am Stausee Oberwald in Sachsen von Skinheads erschlagene 24jährige Peter T. in die Statistik eingehen wird.

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