piwik no script img

■ ÖkolumneGrabenkämpfe Von Astrid Prange

Am liebsten hätten sich Lateinamerikas Regierungen und Wirtschaftsvertreter nach der UNO-Umweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro für immer von den ewigen Nörglern verabschiedet. Doch haben die Naturfreunde aus der Neuen Welt bei ihrem Kampf gegen profitgierige Kapitalisten und Imperialisten immer mal wieder Hochkonjunktur. Sei es bei der Einweihung des gigantischen Staudammes Yacyreta am Fluß Paraná zwischen Argentinien und Paraguay im vergangenen September, sei es beim erneuten Ausbau der Atomenergie in Brasilien.

Nun geht der Streit um die Wasserstraße Paraná-Paraguay. Hier wiederholen sich die ideologischen Grabenkämpfe. „Der Ausbau der Hidrovia beruht auf einem Entwicklungsprojekt, das einen großen Teil der brasilianischen Bevölkerung zum Überleben unter unmenschlichen Bedingungen zwingt und die natürlichen Ressourcen rücksichtslos ausbeutet“, schreibt Mauricio Galinkin in der WWF-Studie „Wer zahlt die Rechnung“ zur wirtschaftlichen Rentabilität der Wasserstraße. Galinkin meint damit die riesigen Sojamonokulturen sowie den Abbau von Holz und Mineralien im Westen Brasiliens. Die Agro-Industrie lauge nicht nur die Böden aus, sondern beruhe auf der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte und der extremen Konzentration von Großgrundbesitz. Die Kritik der WWF-Studie ist berechtigt, doch ist sie auch nützlich? Was bringt die generelle Abrechnung mit dem brasilianischen Kapitalismus? Bis jetzt ist dadurch die Klassengesellschaft nicht ins Wanken geraten und der Plan zum Ausbau der Wasserstraße Paraná-Paraguay erst recht nicht. Die Taktik einer konstruktiven Kritik wäre sicherlich aussichtsreicher. Doch ernstzunehmende Alternativen zur wirtschaftlichen Entwicklung des dünn besiedelten Landstrichs sind in der WWF-Studie nicht anzutreffen.

Die Idee, den Warentransport durch den lateinamerikanischen Kontinent auf die Schiene zu verlegen, ist ein Wunschtraum. Für den vorgeschlagenen Ausbau der Strecke von der brasilianischen Hafenstadt Santos bis nach Antofagasta an der chilenischen Pazifikküste wären Milliardeninvestitionen notwendig, so daß die spanische Regierung, die einst Interesse an dem Prestigeprojekt bekundet hatte, schon wieder von ihren Plänen Abstand nahm. Ein Beispiel reicht aus, um den desolaten Zustand der vereinzelten Schienenstränge durch den Kontinent zu beschreiben: Der von Touristen hoch geschätzte „Zug des Todes“ von São Paulo nach Bolivien verkehrt mit einer Spitzengeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern.

Die Förderung des Ökotourismus im Pantanal, der weltweit größten Sumpfregion mit einmaliger Fauna, ein weiterer Vorschlag des WWF-Autors Galinkin, hört sich verlockend an. Doch ist das Riesenbiotop für internationale Touristenschwärme überhaupt geeignet? Weder deutsche noch amerikanische Weltenbummler wollen nachts von Mücken in einer Fischerhütte zerstochen werden. Luxuriöse Hotelkomplexe wiederum würden die Grundstückspreise verteuern und die Einheimischen vertreiben ebenso wie vermutlich auch die Kaimane und Capivaras. Eine Entwicklung, gegen die die Naturschützer vor Ort erneut Sturm laufen würden. Für die Verteufelung der Wasserstraße ist dem WWF kein Argument zu absurd. Galinkin rechnet dem Leser vor, daß mindestens 7.500 Brasilianer aus dem Transportsektor ihr monatliches Einkommen von umgerechnet 500 Mark verlieren und durch Land- und Hafenarbeiter ersetzt werden, die nicht mehr als 160 Mark im Monat verdienen. Ist es also erstrebenswerter, den Ausbau des löchrigen lateinamerikanischen Straßennetzes voranzutreiben und den umweltfreundlichen Transport auf Flüssen und Kanälen zu vernachlässigen, damit Lastwagenfahrer weiterhin verhältnismäßig gut verdienen können?

Zugegeben: In Lateinamerika ist Mißtrauen gegenüber der Obrigkeit angebracht. Zu oft verschleuderten die Regierungen auf dem Kontinent Milliarden an Steuergeldern und Krediten in gigantomanische Infrastrukturprojekte. Doch wichtiger als ideologische Grabenkämpfe ist die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen zugunsten des Umweltschutzes. Unter den Mercosur-Staaten ist Brasilien bisher das einzige Land, das über eine spezifische Umweltgesetzgebung verfügt. Nur mit gesetzlichen Auflagen jedoch und massiven politischem Druck läßt sich der augenblickliche Wirtschaftsboom in Lateinamerika in umweltfreundliche Bahnen lenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen