piwik no script img

Polizisten jagen Punks

■ Am Bahnhof Hannover sammeln sich Punks, das Chaos zu feiern / Polizisten rücken aus, um sie gewalttätig zu vertreiben

Hannover (taz) – An ihren Löwenbräu-Dosen und am Dialekt sind die jungen Frauen und Männer unschwer als Touristen aus München zu erkennen. Doch ihre Behandlung hier am hannoverschen Hauptbahnhof hätten sie sich schon „a bißl gastlicher“ gewünscht. Links auf dem Bahnofsvorplatz ist ein Dutzend Polizeifahrzeuge aufgefahren, gleich neben den jungen Leuten, die ihren Platz am Boden nicht verlassen dürfen, parkt ein großer olivgrüner Gefangenentransporter.

„Gemacht haben die eigentlich jetzt nichts“, sagt einer der Beamten aus der Polizistenkette. Doch der Gefangenentransporter ist schon bis auf den letzten Platz besetzt. Ein junger Mann mit schwarzer Lederjacke mit Nieten und knallrot und lila gefärbten Haaren will auch noch mit. Er ist der einzige der lautstark schimpft, die anderen lassen alles seelenruhig über sich ergehen. Seine Freundin ist in dem Bus. Dann endlich greift ihn die erwartete Polizistenhand und legt die Handfessel aus Plastik an. Auf die Frage, warum er das macht, antwortet der Polizist mit einer infamen Gegenfrage: „Seine Hände werden doch gar nicht abgeschnürt. Sie die etwa rot?“

Etwa 500 Punker lagerten gestern mittag am Bahnhof. Sie sind nur die Vorhut des internationalen Punker-Treffens, der Chaostage. Der diensthabende Einsatzleiter am Hauptbahnhof: „Solche Einsätze laufen überall in der Stadt.“ Die Polizei übt für ihren heutigen Einsatz. Ihr Motto: Einsammeln und Mitnehmen. Schon am Donnerstag hatte die Polizei allen Deeskalationsversprechen zum trotz mit der Aktion punkerfreies Hannover begonnen. Als gegen Mittag eine Gruppe am Bahnhof feiernder Punker auf etwa 150 angewachsen war, rückte ein großes Polizeiaufgebot an. Es wurden keine Müllsäcke für die rumliegenden Bierdosen ausgehändigt, sondern der Schlagstock gezückt. Die Gruppe wurde in einen Park am Rand der Innenstadt geleitet. In der Innenstadt hatte hernach kein Bunthaariger mehr eine Chance, seine Ruhe zu finden. Selbst einzeln sitzende Bunthaarige wurden durch die Innenstadt gehetzt, um anschließend „des Platzes verwiesen“ zu werden.

Alles läuft nach Plan. Wie gewohnt

Was dann am Abend am ehemals besetzten hannoverschen Sprengelgelände passierte, wo sich ein Großteil der Punks getroffen hatte, war nur noch die „logische“ Konsequenz des Nachmittags. Die Punker bauten Barrikaden, um sich einer Verhaftung durch die massiv anrückende Polizei zu entziehen. Flaschen und Steine flogen. Die brennenden Barrikaden konnte die Feuerwehr erst löschen, als sie nach Vermittlungsgesprächen endlich einmal ohne Polizeibegleitung an die Brände gelangte.

Die meisten Chaostagebesucher hatten sich erst für den Freitagabend und für den Samstag angesagt. Doch die bierseelige Riesenfete in Hannovers Innenstadt kann man seit gestern definitiv abschreiben. „Von jetzt ab erteilen wir schon im Bahnhof den anreisenden Punkern einen Platzverweis für die ganze Stadt“, sagte die Pressesprecherin der Polizei. Als Rechtsgrundlage zitierte sie Paragraph 17 des niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes und fügte hinzu: „Aber näher können das nur unsere Verwaltungsjuristen begründen.“

Zeitgleich zu seiner Kollegin verkündete der Pressesprecher des Innenministeriums eine ganz andere Rechtsauffassung: „Innenminister Glogowski ist der Meinung, daß bunte Haare allein für die Polizei in keinem Fall ein Grund zum Eingreifen sind.“ Die vielen Polizeigruppen, die seit gestern in der Innenstadt ihre Präsenz zeigen, haben offenbar keinerlei Draht zu ihrem obersten Dienstherrn. Einer der am Bahnhof eingesetzten Beamten drückt es so aus: „Die im Gefangenentransporter werden jetzt zur Überprüfung zur Bereitschaftspolizei gebracht. Wen wir noch nicht auf der Liste haben, der bekommt einen Platzverweis, hat die Chance, nach Hause zu fahren. Wer schon einen Platzverweis hat, wird in Gewahrsam genommen, erstmal für 24 Stunden.“

Die Parole der diesjährigen Chaostage scheint treffend: „Punker ab ins Lager“. Für die „Lager- News“, die heimliche Chaostag- Pressestelle, hat sich denn auch die hannoversche Polizei schon jetzt „als das entlarvt, was sie ist: Ein beschissener, gewalttätiger Beamtenapparat, der auch durch liberale Sprüche nicht zu reformieren ist.“ Jürgen Voges

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen