piwik no script img

Maggi-Kraut an Rokoko

■ Bremens Botanischer Garten wird 90 und zeigt "Das klügste Stück Erde"

„Das klügste Stück Erde Bremens“ wird 90 Jahre alt. Das klügste Stück Erde? Gemeint sind jene 3,2 Hektar Gelände, die der Botanischen Garten umfaßt. Seit 1905 steht der Garten „während des größten Teils des Tages allen Erwachsenen und den von ihnen beaufsichtigten Kindern offen“, wie es hieß. Aber nicht etwa auf dem Terrain in Horn, sondern am Osterdeich, in Höhe der heutigen Georg-Bitter-Straße. Dort tummelten sich eines sonnigen Sonntags, am 17.9.1905, Tausende zur Eröffnung einer in Reih und Glied gebrachten Pflanzenwelt. Und die Musik spielte dazu. Nämlich in einem Gartenkonzert nebenan in der Weserlust. Franz Ernst Schütte, Petroleumkönig und umtriebiger Mäzen, kam großzügig für die Kosten auf: eine Million Mark.

Dafür gab es dann in Bremen eine pflanzengeographisch geordnete Sammlung mit typischen Vegetationsbildern (Orient, Mexiko, Kaukasus, Heide, Moor, Düne) und spezielle Abteilungen mit einheimischen Heilpflanzen, Giftpflanzen, Unkräutern und Parasiten. Auf ein „Kolonialpflanzenquartier“ wurde verzichtet. Das Renommee des Gartens wuchs ebenso schnell wie die Kosten für seine Unterhaltung. 1923 übernahm das Land die Finanzierung; der Standort Osterdeich sollte anderweitig genutzt werden. Das klügste Stück Erde zog in die Marcusallee, wo – direkt nebenan – kurz zuvor der Rhododendronpark eingeweiht wurde. Auf dem Osterdeich-Gelände machte sich das Luftwaffenbauamt breit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der alte Baumbestand auf dem Gelände verheizt; die unbebauten Flächen wurden als sogenanntes Grabeland ausgewiesen: um den Hunger einzudämmen, war parzellierter Gemüseanbau vorgesehen.

1947 wurde dann der Garten wiedereröffnet: Verstärkter Arzneipflanzenanbau soll dem Mangel an Medikamenten abhelfen. Acht Abteilungen entstanden und haben sich bis heute erhalten.

In miniaturisierter Form und didaktisch wertvoll verpackt lassen sie sich ab heute in den Sälen des Hauses Riensberg im Focke-Museum bewundern. Botanischer Garten, Focke-Museum und das „De-sign Zentrum“ haben kooperiert, um die kleine Schau zu ermöglichen. Eine Gartenschau im Museum? „Schließlich ist ein Museum ja in gewisser Weise ein Herbarium der Kulturgeschichte“, sagt Museumsleiter Dr. Jörn Christiansen. Gabi Becks auf Leinwand geworfene Pflanzendias empfangen das Publikum, das sich alsdann auf modisch angeschrägten Vitrinen (die wie Halme ganz natürlich aus dem Boden ragen sollen) etwa über den internationalen Saataustausch informieren kann. Mit 500 Botanischen Gärten in aller Welt steht Bremen in Kontakt. Auch mit denen in Ex-Jugoslawien. „Die Welt mag sich ermorden; wir Botaniker wollen unsere Sammlung aufbauen“, sagt Julia Westhoff, Leiterin des Botanischen Gartens. Und auch vor dem Mauerfall wurden die Samen (manchmal auch die Keime) problemlos auf dem Postweg in den Ostblock versandt. Oder kamen von da. Sprachprobleme gibt es keine, schließlich sind Wissenschaftler am Werk, da bietet sich doch Latein an.

Im zweiten Raum dann, vor großformatigen Rokoko-Landschaftsdarstellungen, acht liebevoll arrangierte Podeste. Zu erfahren ist etwa, wie die Blüten von Weberkarden zum Wollkämmen verwendet wurden, daß aus dem Fuchsschwanz Mehl (und „berauschende Getränke“) gewonnen werden oder daß Liebstöckel auch Maggi-Kraut genannt wird, dezent angedeutet durch einen Würfel „Fette Brühe“ aus dem gleichnamigen Hause.

Heute dienen Botanische Gärten – der Bremer nennt 6.500 Sorten sein eigen – vor allem als Gen-Reservoir und als sicherer Hort für Pflanzenasylanten. Was früher in Wald und Flur üppig gewuchert ist, muß heute im Pflanzen-Zoo bestaunt werden – oder ist nur noch als stickstoffgefrostete Gen-Version der Nachwelt erhalten.

Alexander Musik

„Das klügste Stück Erde Bremens“, bis 1.10., Di-So 10-18 Uhr, Focke-Museum, Haus Riensberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen