: Merkel will Plutonium fliegen
Umweltministerium will Abkommen über mehr Sicherheit bei Plutonium-Flügen verhindern. Sicherheitsrabatt für MOX-Brennelemente? ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Wir Deutschen lassen uns in Sachen nuklearer Sicherheit von niemandem übertreffen. So tönt es seit Jahren in den Verlautbarungen von Bundesregierung und Atomwirtschaft. Doch wenn eine technische Arbeitsgruppe der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien in dieser Woche neue Standards für den Lufttransport von Kernbrennstoffen aushandelt, spielen die Deutschen eine andere Rolle. Nämlich die der Bremser.
Die IAEO will bei den Verhandlungen erstmals besondere Sicherheitskriterien für den Transport von Plutonium und anderer hochgiftiger Nuklearia per Luftfracht festlegen. Bisher konnten abgebrannte Brennelemente, Plutonium oder hochradioaktiver Müll nämlich per Tieflader, auf dem Schiff und im Flugzeug in den gleichen sogenannten Typ-B-Behältern herumreisen. Der hierzulande berühmteste ist der Castor.
Das Problem: Behälter wie der Castor sollen Unfälle auf der Straße oder Schiene schadlos überstehen können, sie sind aber keinesfalls für einen schweren Flugzeugabsturz ausgelegt. Deshalb plant die IAEO für das Fliegen von Plutonium jetzt haltbarere Kisten. Der neue, von der IAEO empfohlene Behälter für den Lufttransport (Typ C) soll fast siebenmal höhere Aufprallgeschwindigkeiten überleben als der heute zugelassene Typ-B-Container.
Doch die deutsche Delegation, entsandt von der Bonner Umweltministerin Angela Merkel (CDU), streitet hinter den Kulissen seit Monaten für eine folgenreiche Ausnahme von der neuen Regel. Uran/Plutonium-Mischoxyd- Brennelemente (MOX) wollen die deutschen Experten auch in Zukunft in den gängigen Typ-B-Containern kreuz und quer über den Globus fliegen lassen. Das Motiv liegt auf der Hand: Nach der Aufgabe der Siemens-MOX-Fabrik im hessischen Hanau werden neben Franzosen und Belgiern voraussichtlich auch die Briten MOX- Brennstoff für deutsche Atomkraftwerke liefern – und zwar per Flieger. Wenn dafür ein neuer, viel kostspieligerer Transportbehälter entwickelt werden müßte, würde dies nicht nur viele Jahre dauern; es würde den ohnehin teuren MOX-Einsatz noch wenig lukrativ machen.
Natürlich argumentieren die Deutschen in Wien nicht ökonomisch, sondern wissenschaftlich. In MOX-Brennelementen liegt das Plutonium/Urangemisch in Form der jeweiligen Oxyde (U02 bzw. Pu02) vor, und die schmelzen erst bei Temperaturen, die bei normalen Bränden nicht erreicht werden. Unterhalb der Schmelztemperatur würden die in lange, dünne Rohre aus einer Zirkoniumlegierung gefüllten MOX-Tabletten (Pellets) selbst dann weitgehend intakt bleiben, wenn der Transportbehälter beim Absturz beschädigt würde, argumentieren in Wien Experten des Bundesamtes für Strahlenschutz und des Merkel-Ministeriums. Eine Kontamination der Umgebung sei zwar wahrscheinlich, aber kalkulier- und eingrenzbar.
Widerstand gegen solche Risiken haben vor allem die Amerikaner angemeldet. Die US-amerikanische Delegation bei den heute beginnenden Verhandlungen in Wien lehnt die Ausnahmeregelung für MOX in einem internen Positionspapier ab, weil sie „den ursprünglichen Zweck der Entwicklung eines eigenen Lufttransportstandards“ unterlaufe. Außerdem würden die Deutschen ohne irgendeine Risikoanalayse, sozusagen „freihändig“, eine zulässige Radioaktivitätsbelastung nach einem Absturz vorschlagen. In den USA gibt es keine zivile Wiederaufarbeitung von Atommüll und keine MOX-Brennelemente. Ziviles Plutonium oder MOX muß also nicht umhergeflogen werden.
Öffentlich gemacht hat den Bonner Position das Nuclear Control Institute (NCI) in Washington. Paul Leventhal, der Präsident des privaten Instituts, nennt den Vorgang „skandalös“. Die IAEO sei im Begriff, die ökonomischen Interessen der Plutoniumhändler über „die Sicherheitsinteressen unschuldiger Bürger“ zu stellen.
Die Amerikaner erinnern außerdem daran, daß in den USA schon seit den achtziger Jahren Transportnormen für den Luftweg gesetzlich fixiert sind, die die jetzt von der IAEO vorbereiteten Sicherheitskriterien für den Typ- C-Container noch weit übertreffen. Nach US-Gesetz muß ein Behälter für den Plutoniumtransport per Flugzeug einen Aufprall von 464 km/h (IAEO Typ C: 324 km/h) und anschließend noch ein einstündiges Feuer bei 800 Grad Celsius (IAEA Typ C: Die Behälter müssen nur den Aufprall oder das Feuer aushalten, weil beides zusammen selten vorkomme) schadlos überstehen.
Als Ende der achtziger Jahre die Wellen hochschlugen, weil Frankreich tonnenweise WAA- Plutonium über Alaska nach Japan fliegen wollte, suchte die Atomwirtschaft bei den amerikanischen Behörden um eine entsprechende Lizenz nach. Die verlangten einen Behälter entsprechend der harten US-Norm. Ein japanisch-amerikanischer Prototyp wurde konstruiert und am Sandia National Laboratoy im US- Staat New Mexiko getestet – er gab seinen Geist auf. Danach hat es in den USA keinen Versuch des Lufttransports von Plutonium mehr gegeben.
Trotz dieser vorgebrachten Bedenken befürchten die Amerikaner nach den Vorverhandlungen in der Minderheit zu sein. Mit der Konsequenz, daß ab Anfang 1996 tonnenweise Plutonium in Form von MOX-Brennelementen und verpackt in für Straße und Schiene ausgelegten Behältern am Rhein- Main-Flughafen einschweben könnte. Noch 1993 verhinderte der damalige hessische Umweltminister Joschka Fischer den Lufttransport von 123 nie eingesetzten Brennelementen für den Schnellen Brüter in Kalkar von Frankfurt nach Schottland.
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