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Mode gegen Kriegsmaterial

■ Ein Modegrafiker vermittelt einen Einblick in die Berliner Mode der 40er

Mode unterm Hakenkreuz: „Mich ärgert es, daß immer behauptet wird, es habe damals keine Mode gegeben.“ Schließlich hat er selbst sie doch gezeichnet. Gerd Hartung, 82 Jahre, war Modegrafiker, arbeitete als Journalist und Redakteur für viele (internationale) Zeitschriften, lehrte an der HdK und gilt als Grandseigneur der Berliner Mode. Noch heute ist er täglich in Sachen Mode unterwegs. In seinem Arbeitszimmer stapeln sich Modejournale aus den Jahren seit 1934, Büchsen voller Buntstifte und Pinsel lassen kaum einen freien Platz auf seinem Zeichentisch. 1934, mit 21 Jahren, begann Hartungs Karriere als Modegrafiker. Er zeichnete, was in den Berliner Salons für den Export entworfen und vorgeführt wurde. Und das sei besser gewesen, als man heute gemeinhin vermute, stellt er gleich klar.Tatsächlich zeigen die Hefte, in denen seine Zeichnungen veröffentlich wurden, eine unerwartete Eleganz. Geduldet wurde dieser Schick von den Nazis, da die Modeindustrie für den Außenhandel von erheblichem Interesse war: Hauptsächlich in skandinavische Länder wurde geliefert – im Austausch gegen das für die Waffenproduktion so wichtige Erz.

Noch als in Berlin Bomben fielen und der öffentliche Verkehr kurz vor dem Zusammenbruch war, machte sich der Grafiker auf den Weg, um die Modeschauen am Ku'damm sehen zu können. „Business as usual“, so scheint es heute, wurde gepflegt – in einer Zeit, in der die meisten Menschen von Mode nur noch träumen konnten.

Einige wenige versuchten, die Träume zu Stoff werden zu lassen,

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aus Leidenschaft, und weil sie es eben gelernt hatten. Sie hatten schließlich keine Schwellenangst, mit den „arisierten“, einst hochangesehenen Konfektionshäusern am Hausvogteiplatz Geschäfte zu machen – ganz zu schweigen von denen, die die Modehäuser zu Spottpreisen übernommen hatten. Schließlich hatte es für das Modevolk sein „Gutes“: Eine „schöpferische Konzentration“ konstatiert Gerd Hartung in der Berliner Modewelt Ende der 30er Jahre. War Deutschland, besonders aber Berlin, bis dahin nämlich vor allem für Konfektionsware bekannt, die schnell und geschickt die Pariser Mode kopierte, so entstand in Berlin nun etwas Neues. Sechs der Konfektionshäuser arbeiteten selbst im Modellgenre, entwarfen also neben ihrer Massenproduktion eigene Maßmodelle; hinzu kamen sechs Salons, die Maßarbeit fertigten. Selbst die großen Kaufhäuser, bis dahin nur Käufer- und Verkäufer, präsentierten eigene, für den Export gedachte Modeshows. Selten, nur in Ausnahmefällen, wurden Devisen bewilligt für Inspektionsfahrten zu den Schauen in der Seine-Stadt.

Nach dem Krieg freilich spielte es beispielsweise kaum eine Rolle, daß der erfolgreiche Couture-Salon „Schulze-Varell“, bis 1945 „Schulze-Bibernell“, einen fast extravagant erscheinenden leuchtend roten Mantel für die BDM- Auslandsgruppe „Glaube und Schönheit“ entworfen hatte oder die Hochzeitskleidung von Eva Braun und Hitler aus dem Salon „Annemarie Heise“ war. Ein Kontinuum offensichtlich in Sachen Mode: So sehr sie vom Zeitgeist geprägt ist, so unpolitisch sind die Macher.

Die Uniformierung der Gesellschaft wurde betrieben, brav, sauber, gretchenhaft sollte vor allem das deutsche Mädel aussehen. Diesem Postulat aber habe die High- Society-Mode von damals ganz und gar nicht entsprochen, so Gerd Hartung. Trotz der von den Nazis propagierten Abschottung von der „dekadenten“ Pariser Mode hätten sich die Berliner Entwürfe stets mit einem Auge an internationalen Trends orientiert. Hartung: „Eine deutsche Mode, das gab es nie. Mode ist immer international.“ Einzig das modische Aufkommen des Dirndls sieht er als eindeutigen Einfluß der völkischen Ideologie auf die zeitgenössische Mode. 1937, anläßlich der Weltausstellung, schaffte die Tracht den Sprung auf den internationalen Laufsteg in Paris und wurde 1939 gar von dortigen Couturiers aufgegriffen. Dafür schlugen sich die internationalen Spannungen und die Militarisierung des Alltags um so deutlicher in der Modesprache nieder. Allenthalben sind Anklänge an Uniformen in den Modejournalen aus Hartungs Archiv abzulesen. Militärisch streng wirken die Kostüme mit ihren breiten Schultern. Aufgesetzte Blasebalgtaschen verleihen den Jacken einen herben Ton. Ein internationaler Trend.

Kontraste zu dieser strengen Linie bieten die griechisch anmutenden Faltenwürfe einiger Kleider aus den Berliner Salons. Kunstvoll sind sie drapiert, die Linien stets körperbetont und sehr schlank haltend. Leicht sind sie als Parallele zum Neoklassizismus der Architektur zu lesen, wenngleich deren bombastische Formsprache nicht kopiert wurde. Drei- bis vierhundert Mark kostete solch ein kompliziert geschnittenes, maßgeschneidertes Kleid damals; unerschwinglich für die meisten Frauen. Mit Kriegsverlauf jedoch verschwinden diese Kleider zunehmend. Jeder Faltenwurf galt als Verschwendung, auch die Röcke wurden kürzer. Kein Zweifel: Nicht das bezopfte Heimchen, sondern die elegante, weltgewandte Frau, die in Kriegszeiten durchaus ihren „Mann stehen“ konnte, ist das Vorbild dieser Zeichnungen.

Vor allem die Frauen sahen sich gerne so: „Das Bedürfnis der Frauen, sich schön zu machen, war enorm groß“, so Hartung, „besonders in der Nachkriegszeit.“ Gerade die Trümmerfrauen wollten sich nach getaner Aufbauarbeit schminken: „Die Kosmetikindustrie ist wohl das einzige krisensichere Geschäft“, lacht er.

Bei der Kleidung hingegen werde in solchen Notzeiten mit viel Phantasie auf billige Weise experimentiert. Mit einem Seidentuch und diversen Hilfsmitteln wie einer Kaffeedose beispielsweise formte eine Bekannte Hartungs 150 verschiedene Hutmodelle. Der Modeschmuck hingegen war natürlich und billig: Beeren wurden getrocknet und zusammen mit Holzstückchen zu Ketten aufgezogen.

Solche Improvisationen blieben jedoch ein Zwischenspiel. Hartung erstaunt es noch heute, wie schnell sich das Modegeschäft erholte. Dior, der sich mit einem Stoffabrikanten zusammengetan hatte, kreierte den „New Look“: Verschwenderisch weit schwangen die langen Röcke, weich wurden die Linien. Mit der Währungsreform 1948 war auch in Deutschland der neue Look erschwinglich. Petra Brändle

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