Schönheit in Pink

■ In der Kategorie "Beste Animateurin": Björk - im Berliner Tempodrom

Die Kernthese der Unwahrscheinlichkeitstheorie lautet folgendermaßen: Man kann den Tag der deutschen Einheit sehr angenehm verbringen, und zwar in Berlin und außerhalb seiner Wohnung. Um die Theorie zu widerlegen, geht man zu Björk ins Konzert. Zuerst wird man von Kampfhunden abgeschleckt, danach von Skinheads angebrüllt, und zuletzt liest man im U-Bahn-Tunnel, daß John Denver die Metropole demnächst besucht. Berlin sucks. Dann betritt man das Tempodrom auf den grünen Wiesen des Tiergartens, und da ist sie auch schon, Björk, die Antithese. Nein, doch nicht, vor der Chefin kommt immer der Sekretär.

Goldie ist der böse Doktor Brinkmann des Jungle-Fiebers und hat die Farbe seines Zahnbestands dem Künstlernamen gleich mit angepaßt. Der Blick auf Goldies Vorderfront sollte Pflichtstück aller Gesundheitserziehung werden. Kleines Problem: Der Mann aus Wolverhampton arbeitete als Drogendealer, bevor er DJ und Star wurde. Sein Sound ist, wie es so schön heißt, Urban Blues. In Wahrheit jedoch handelt es sich um Rudimente von Soul, die zur Oper aufgepumpt und mit fucking hyper Breakbeats unterlegt werden, nichts für Leute mit Magen- Darm-Problemen. Es ist Musik, die erklärt, daß der Moloch Großstadt nur mit genügend Härte, im Rausch und ärmellosem Etuikleid zu ertragen ist, sehr, sehr modern, ein wenig elegant und erbarmungslos traurig. Gesang von falscher Leichtigkeit schwingt über den 160 Beats per minute wie Tarzan an Lianen. Sein drum 'n' bass hält Goldie für die Musik der Zukunft. Nur die Berliner sind nicht bereit dafür.

Berlin will die Party, und Party bedeutet Björk. Wer noch nichts über ihren Werdegang gelesen hat, kann nur im Regenwald leben. Ihr biographisches Profil mit Hippie- Mutter, Punkband im Kindesalter und Sugarcubes-Meriten gehört vermutlich bald zum Fragenkatalog aller TV-Ratespiele. Was hat sie bloß, die gute, alte Björk, das andere nicht haben? In diesem Konzert erfährt man es endlich: Glamour. Das Licht bildet einen roten Altar um eine kleine, kräftige Frau im rosa Etuikleid (garantiert Versace), die sich geschmeidig wie Paulchen Panther vor grünen Kunstbäumen windet. Keine Stummelzöpfe, die Haare fliegen.

Als sie nach dem zweiten Titel, „Army Of Me“, ein akzentfreies „Dankeschön“ für den Beifall flüstert, fällt das halbe Zelt vor Entzücken auf den Rücken. Vorteil Björk: Weil das Publikum ihr augenscheinlich hörig ist, kann sie ihre interessantere Seite ausleben – die Diseuse. Ein Akkordeon und eine Art Klavier mit Spinettklang bilden den Rahmen für Björk – nahezu – unplugged. Eine kluger Trick für jemanden mit entsprechendem Stimmumfang. „Possibly Maybe“ etwa klingt von allem Trance-Blubbern befreit völlig rein. Das Publikum feiert erstaunlicherweise auch diese kapriziösen Selbstverwirklichungsansätze der 29jährigen, die so gar nichts mit Dance und House zu tun haben. Denn Björk verfährt pädagogisch: erst ein Hops-Hit, dann ein Chanson und zur Belohnung wieder ein paar Hops-Hits.

Aber die Leute hören letztendlich doch lieber solide Work-Out- Nummern wie „Hyper-Ballad“ oder „Enjoy“. Björk springt dazu wie ein persischer Derwisch über die Bühne und brüllt alles nieder. Nein, mit dieser Frau möchte man um keinen Preis verfeindet sein. Nach ihrem Tod sollte sie unbedingt obduziert werden, um sicherzustellen, daß sie wirklich nur zwei und nicht doch sechs Lungen hatte. Niemand konnte und wollte dieses Konzert vorzeitig verlassen.

Nach 60 Minuten wurde die Repräsentantin dieser Zeitung samt ihrer P.T.A.-Jacke („P.T.A.“? Das Ding der nächsten Saison!) von Ordnungskräften aus dem Zelt geräumt, obwohl Björk gar nicht fertig war mit Vokal- und Körperakrobatik. Sie gab noch mindestens fünf Zugaben, darunter „Blow A Fuel“. Weil sie kein deutscher Popverwalter ist, kann sie sich das nämlich erlauben. Wie gesagt: Berlin sucks. Anke Westphal