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Es klappern wieder die Mühlen

■ Wasserräder sind zwar eine uralte, aber keineswegs veraltete Technik/ Rentabilität liegt im Grenzbereich

„Alles, was sich dreht, ist eine Mühle“ – so schlicht ist die Definition von Jochim Varchmin. Der gelernte Physiker und Technikhistoriker ist beim Berliner Museum für Verkehr und Technik für die Abteilung „Energie“ zuständig und befaßt sich von Berufs wegen mit Kraftmaschinen aller Art. Als Geschäftsführer der „Mühlenvereinigung Berlin-Brandenburg“ ist er darüber hinaus ganz besonders der Energiegewinnung mit Hilfe von Wind und Wasser verbunden, und wenn er vor dem museumseigenen Nachbau eines alten Wasserrades steht, sieht man ihm sofort an, daß dies nicht nur rationalen Motiven geschuldet ist. Obwohl er sie täglich vor Augen hat, versetzt ihn der Anblick der antiken Apparatur noch immer in Hochstimmung.

Da ist er kein Einzelfall: Das gemütliche Plätschern von Wasserrädern hat für die meisten Menschen etwas ungemein Beruhigendes. Die Gewißheit einer Kraft eben, die zu jeder Zeit verläßlich bereitsteht. Und aus diesem Grund ist es keineswegs nur Schwärmerei, sondern auch ökologisches und ökonomisches Kalkül, das der uralten Technik auch heute noch viele Freunde verschafft. „Die Zivilisationsgeschichte Mitteleuropas“, so Varchmin, „hängt ganz eng zusammen mit dem Einsatz des Wasserrades.“

Den Höhepunkt ihrer Bedeutung erreichten die wassergetriebenen Leistungsträger zur letzten Jahrhundertwende: Nicht die Dampfmaschine, sondern das Wasserrad war der Hauptenergielieferant für die industrielle Revolution. Wie weit verbreitet die Kraftmaschinen einmal waren, läßt sich bis heute an den Plänen vieler historischer Stadtkerne ablesen: Dort gibt es noch immer Mühlengräben, an denen einstmals die Wasserräder von Manufakturen und Handwerksbetrieben gleich im Dutzend hintereinander aufgereiht waren.

Im Vergleich dazu existieren heute nur noch Restbestände. Was bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts erhalten blieb, ist häufig durch Turbinenanlagen ersetzt worden – oftmals ein Fehler, wie sich später herausstellte. Turbinen haben zwar einen höheren Wirkungsgrad, doch den erreichen sie nur unter günstigen Bedingungen. Wasserräder dagegen arbeiten auch bei starken Schwankungen der Durchflußmenge mit gleichbleibender Effektivität und werden deshalb für die Gewinnung kleiner Energiemengen von 10 bis 25 Kilowatt von Experten als durchaus konkurrenzfähig betrachtet. Streng genommen, so der Technikhistoriker Varchmin, gibt es ohnehin „keinen definitorischen Unterschied zwischen einem Wasserrad und einer Turbine“. Gerade das im 19. Jahrhundert entwickelte „Zuppinger-Wasserrad“ mit seinen weit zur Achse hin geschwungenen Schaufeln stellt nicht nur konstruktiv einen Grenzfall dar. Auch der Wirkungsgrad ist mit bis zu 75 Prozent durchaus mit dem einer Turbine vergleichbar. Unvergleichlich viel einfacher gestalten sich dagegen Wartung und Reparatur.

So entschied sich auch Joachim Scholz aus dem brandenburgischen Krossen für diese Variante, als er gemeinsam mit seinem Bruder die rund 100 Jahre alte Schrotmühle am Flüßchen Dahme übernahm. Zwar existierte eine alte Francis-Turbinenanlage, doch die war, so Joachim Scholz, „völlig runter“, die Reparatur hätte „ein viehisches Geld gekostet“. Also wählten die beiden Brüder die preiswerte Alternative und ließen 1990 ein Zuppinger-Wasserrad einbauen. Das günstig erstandene Getriebe eines alten Grubenbaggers überträgt die Wasserkraft auf einen 11-Kilowatt-Motor, der die Futterschrot-Mühle antreibt. Allerdings ist die Leistungsabnahme des Motors gleichzeitig auch der Grenzbereich des Wasserrades, und außerdem kann die Anlage nur dann genutzt werden, wenn es auch etwas zum Mahlen gibt. Deshalb soll in nächster Zeit ein Generator angeschafft werden, der elektrischen Strom direkt ins öffentliche Netz einspeist.

Doch ist die Rentabilität gerade im Leistungsbereich der Kleinanlagen immer noch „grenzwertig“, meint Günter Fischer von der Firma „Hydrowatt“. Der Karlsruher Kollektivbetrieb hat sich auf die Nutzung von Wasserkraft spezialisiert und bietet auch den Bau von Wasserrädern sowie die Überholung und Wiederinbetriebnahme alter Anlagen an. Dabei ist nicht nur konventionelles Ingenieurwissen gefragt, sondern auch Erfahrung mit alten Techniken und deren Kombination mit modernen Anlagen – und natürlich die Beachtung ökologischer Probleme. Auch die beschaulichste Wassermühle ist ein Eingriff in die Natur, und so stellt beispielsweise der Bau einer „Fischaufstiegshilfe“, mittels derer die ansässige Fauna an der Staustufe vorbei stromaufwärts schwimmen kann, bisweilen kaum geringere Ansprüche an die Konstrukteure als das Wasserrad selbst. Bei dessen Bau verläßt man sich übrigens auch im Computerzeitalter noch immer auf Fachbücher, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen sind. Es gibt eben Dinge, die sich nur schwer verbessern lassen. Jochen Siemer

Die Kosten für den Bau eines Wasserrades hängen von örtlichen Gegebenheiten ab. Rund 30.000 Mark für ein neues Rad und etwa die gleiche Summe für die zugehörigen Anlagen sind der untere Rahmen. Manche Bundesländer geben öffentliche Zuschüsse. Informationen: Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung e.V., Portastr. 13, 32423 Minden, Tel. 0571/807-2117. Österreich: Verein zur Förderung von Kleinkraftwerken, Museumstr. 5, A-1070 Wien

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