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Für fünfzig Pfennig Erleichterung

Öffentliches Bedürfnis in futuristischer Behausung: Raumschiffartige High-Tech-Pissoirs in Berlin  ■ Von Hans W. Korfmann

Nicht in Theatern allein und Filmpalästen, nicht nur in Literaturhäusern und Komischen Opern stößt der Besucher einer aufgeschlossenen Metropole auf ungeahnte kulturelle Vielfalt: Auch die Gastronomie schmückt sich mit Innovationen, und wo einst ein einsames Eisbein den deutschen Tisch zierte, liegen längst Froschschenkel und hausen Weinbergschnecken.

Nicht selten ist ein kulinarisches Lexikon in der Handtasche vonnöten, will man all die exotisch anmutenden Speisekarten entziffern, auf denen es so ziemlich alles gibt, was auf Erden kreucht und fleucht. Was vor einiger Zeit noch animalisch anmutete, gehört längst zur Etikette und zergeht in trauter Eintracht mit einem 63er Rothschild auf der Zunge.

Einzig mit der Entsorgung hat das zivilisierte Volk so seine Schwierigkeiten – auch beim Essen. Zwar ziert inzwischen fast jede Behausung in unseren Städten die wohnungseigene Toilette, und die Zeiten, da der Mensch auf den Hausflur oder gar bis hinaus zur auf der Straße gelegenen öffentlichen Toilette treten mußte, sind vorüber. Nicht zur Vergangenheit gehört freilich das immer wiederkehrende Bedürfnis des Zweibeinigen, auch außerhalb seiner Wohnung unter Umständen einem äußerst natürlichen Drange nachzugeben.

Wohin damit aber in unseren sauberen Städten, in denen die kleinen Häuschen mit den Toilettenfrauen und dem Teller mit dem falschen Fuffziger schon lange verschwunden sind oder zweckentfremdet unter Denkmalschutz stehen. Verpönt die Büsche und dunklen Ecken, und selbst in Kaufhäusern, die noch vor wenigen Jahren einen willkommenen Fluchtpunkt boten, hat man die öffentlichen Schlupfwinkel geschlossen.

Mag sein, daß den Städteplanern aus Sicht ihrer wohlausgestatteten Büroräume das Dilemma in unerreichbarer Ferne liegt. Demonstrationen wegen mangelnder Gelegenheiten zur Notdurft sind bisher ausgeblieben, obwohl sie wie kaum ein anderes öffentlich zu diskutierendes Thema zu spektakulären Aktionen prädestiniert sind. Dennoch ist es unverständlich, weshalb die Ministerien für Kultur, Soziales, Bauwesen und vor allem das Gesundheitsministerium so hartnäckig die Augen zukneifen vor dieser offensichtlichen Nachlässigkeit.

Seit einigen Wochen jedoch präsentieren sich in modisch nettem Design und metallicfarbenem Outfit, mit Hightech und Digitalanzeige ausgestattet wie ein futuristisches Raumschiff, die City-Toiletten im Herzen Berlins. Fünfzig Pfennig kostet der Eintritt, fünfzig Pfennig die ersehnte Erleichterung – wahrhaft human. Schon gleiten geräuschlos die zwei halbkreisförmigen Flügeltüren zur Seite, gewähren den ersehnten Einlaß, während man an Spock und Konsorten, an andere Zeiten und Galaxien, längst nicht mehr ans üble Geschäft denkt. Wunderbar! Man könnte ewig bleiben!

Aber eine Bedienungsanleitung, viersprachig, weist darauf hin, daß der Aufenthalt auf zwanzig Minuten beschränkt ist. Dann, so warnt man, öffnet sich die Türe automatisch – und was man so nobel vor den Blicken der Zivilisation verbarg, wird öffentlicher denn je. Ob nach 19 Minuten vielleicht ein Warnsignal aufleuchtet, oder ob eine sanfte Stimme aus dem Lautsprecher dazu rät, die Notdurft jetzt zu beenden, bleibt vorerst ein Geheimnis.

Vielleicht aber auch, spekuliert der SF-Fan, setzt rechtzeitig ein Mechanismus in Gang, der zum guten Schluß gar die lästige Handarbeit menschlicher Hygiene ersetzt und den in die Zeitung vertieften Leser daran erinnert, daß nicht alles ewig währt auf Erden. Die Spülung jedenfalls, auch die komplette Reinigung der ultramodernen Anlage zur Ergänzung der Darmentleerung ist vollautomatisch, und außer dem Zuknöpfen der Hosen ist kein weiterer Handgriff erforderlich.

Sicher jedenfalls ist, daß die Toilette einen Notruf besitzt. Wie sonst sollte man aus dem stählernen Käfig entrinnen, wenn es zu einer technischen Störung käme. Die Rettung kann sich in diesem Fall etwas hinauszögern, da derzeit erst 30 dieser Stationen in Betrieb sind und der technische Wartungsdienst weite Strecken zu absolvieren hat. Aber das Netz soll ausgeweitet werden: 500 dieser Orte für notdürftige Berliner sollen in Zukunft das Stadtbild schmücken.

Wer nun glaubt, unsere Stadtväter hätten endlich Mitleid mit einer von Verdauungsprozessen geplagten Stadtbevölkerung empfunden und handelten aus Humanität, der irrt jedoch. Es geht – natürlich – ums Geld. Und genaugenommen ist es auch nicht die Stadt, die sich den Bedürfnissen der Bürger angenommen hat, sondern ausgerechnet eine Werbefirma.

Diese nämlich hat sich bereit erklärt, die notwendigen Häuschen aufzustellen, wenn sie dafür, im Gegenzug, kostenlos einige jener beleuchteten Werbeflächen an Busstationen, U-Bahnhöfen und anderen Menschenballungszentren bekommt. Diese Werbeflächen wiederum vermieten die Installateure der futuristischen Toilettenhäuschen an ihre Geschäftspartner – für 300 Mark wöchentlich pro Fenster. Wenn es stimmt, was ein redseliger Mitarbeiter erzählte, dann dürfte die tüchtige Werbefirma bald 5.000 der verführerischen Werbetafeln besitzen.

So rentiert sich gar das menschliche Geschäft! Obwohl sich eigentlich, am Abend und nach Geschäftsschluß sozusagen, selten mehr als zehn Mark im Münzspeicher aufspüren lassen! Weil man, so der mit der Wartung betreute Ingenieur, gar nicht damit rechnet, daß dieser luxuriöse Pavillon solch niederen Zwecken dienen könnte – und glatt daran vorübergeht!

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