: Nichts weiter als eine schöne Parole
■ Anklage wegen „Verursachung von Aufregung, ohne ein Verbrechen zu begehen“: Der Demokratisierungsprozeß in Kambodscha erweist sich als brüchig
Der August war kein guter Monat für die Meinungsfreiheit in Kambodscha. Eine Reihe von Vorfällen bestätigte die Befürchtungen, daß die Koalitionsregierung der relativ offenen Gesellschaft ein Ende machen will, die sich unter der Friedenswahrungsmission der UNO 1992 bis 1993 entwickelt hatte. Statt sich auf einen langsamen, aber beständigen Weg zu einer echten demokratischen Regierung zu begeben, kehrt Kambodscha allerdings de facto zu einem Einparteienstaat zurück, in dem die Redefreiheit nichts als eine schöne Parole ist.
Die Pressefreiheit wurde während des kurzen Phnom-Penh-Besuchs von US-Außenminister Warren Christopher am 4. und 5. August mehrmals angesprochen. Vielleicht hatte er sich nicht klar genug ausgedrückt, oder sein sympathisierendes Publikum hatte nicht richtig zugehört – aber kurz nach Christophers Abreise veröffentlichte der Erste Premierminister Norodom Ranariddh eine Erklärung zu „entscheidenden Fragen“, in der er sich den Empfindungen von Malaysias Mahathir Mohamad und Singapurs Lee Kuan Yu anschloß.
„Die westliche Spielart der Demokratie und Pressefreiheit läßt sich auf Kambodscha nicht anwenden“, erklärte Ranariddh: deprimierende Worte von einem Mann, der seine Stellung den Wählern verdankt, die im Mai 1993 trotz Gewalt im Vorwahlkampf und erwarteten Khmer-Rouge-Angriffen seine Partei an die Macht brachten.
Fünf Jahre für Flugblattabwurf
Der Rest des Monats August vermittelte einen deutlichen Eindruck von der Art Demokratie und Pressefreiheit, die Ranariddh für anwendbar hält. Am 5. August, während Christopher sich noch in der Stadt aufhielt, bezahlte ein unzufriedenes Mitglied der regierenden Funcinpec-Partei namens Sith Kosaing Sin gemeinsam mit einem Kollegen einen Ballonverkäufer dafür, daß er an 300 heliumgefüllten Ballons Flugblätter befestigte. Die Flugblätter waren zwar sehr kritisch gegenüber der Regierung, im Ton jedoch moderat.
Die Polizei verhaftete die Flugblattverfasser ebenso wie den unglücklichen Verkäufer. Nachdem er eine Woche nach einem Vergehenstatbestand gesucht hatte, klagte der Staatsanwalt sie der „Verursachung von Aufregung, ohne ein Verbrechen zu begehen“ an, worauf ein bis fünf Jahre Gefängnis stehen. Die „Ballon Sechs“ sitzen seitdem in Phnom Penhs berüchtigtem T-3-Gefängnis und genießen die zweifelhafte Ehre, von amnesty international als Gewissensgefangene geführt zu werden.
Der Besuch eines weiteren Ehrengastes, des Besonderen UN- Vertreters in Kambodscha, Michael Kirby, warf ebenfalls in mehrfacher Hinsicht die Frage der Pressefreiheit auf. In seinem Bestreben, Positives zu vermerken, stellte er fest, 1995 sei kein kambodschanischer Journalist ermordet worden. (Man wartet noch auf die Urteile in den Fällen von zwei 1994 ermordeten Journalisten, bei denen die Umstände stark auf offizielle Beteiligung hinweisen.) Kurz nach Kirbys Abreise verkündete die Regierung, mindestens fünf weitere Khmer-sprachige Zeitungen (Voice of Khmer Youth, Morning News, Wat Phnom, New Liberty News und Khmer Conscience) hätten Strafverfahren wegen Artikeln zu erwarten, die sie in diesem Jahr veröffentlicht hatten. Sie gehören sämtlich zu der Handvoll Zeitungen, die häufig Kritik an den beiden Premierministern Ranarridh und Hun Sen üben.
Sanktionen einzig zur „Niveauhebung“
Darüber hinaus kündigte die Regierung an, Anklage gegen die englischsprachige Phnom Penh-Post zu erheben und die Zeitung schließen zu wollen. Auslöser für diesen Ärger war der Artikel des erfahrenen Reporters Nate Thayer, in dem er die Unsicherheit in der Hauptstadt im März beschrieb, als sich beide Premierminister im Ausland befanden. Die Anklage gegen das angesehene, zweiwöchentlich erscheinende Blatt widersprach der Regierungsbehauptung, Sanktionen gegen die Presse dienten nur dem Zweck, das niedrige Niveau der Khmer-Presse zu heben.
Am 25. August verurteilte das Bezirksgericht von Phnom Penh den Redakteur Thun Bun Ly von Odom K'tek Khmer (Khmer Ideal) wegen verschiedener Artikel, in denen er Hun Sen kritisiert hatte. Die Haltung des Gerichts in solchen Fällen brachte am besten Informationsminister Ieng Mouly zum Ausdruck. Vor dem Verfahren erklärte er öffentlich, Redakteure könnten zwar ihre Meinung zum Ausdruck bringen, „aber die
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veröffentlichten Meinungen müssen sich auf Fakten stützen“. Dem Gericht vorzuwerfen, es sei voreingenommen gewesen, wäre purer Euphemismus: Das Verfahren bestand weitgehend aus Tiraden des Richters gegen den Angeklagten, er solle seine Behauptungen, bei denen es sich offensichtlich um Meinungsäußerungen und nicht um Fakten handelte, beweisen.
Als Thun Bun Ly den Nachweis forderte, daß seine Artikel Unruhen ausgelöst hätten, wie es der Tatbestand fordert, führte der Staatsanwalt summarisch einen neuen Anklagepunkt ein: den der Diffamierung. Der Verteidiger protestierte zwar gegen diesen offensichtlichen Verstoß gegen das Verfahrensrecht, wurde jedoch nur mit groben Worten der Inkompetenz bezichtigt. Thun Bun Ly wurde wegen Desinformation und Diffamierung zu einer Geldstrafe von zehn Millionen Riel (4.000 Dollar) verurteilt, und seine Zeitung wurde auf Dauer geschlossen. Sollte er in der Berufung unterliegen und die Geldstrafe nicht bezahlen, muß er mit zwei Jahren Gefängnis rechnen.
Strafgesetzgebung in Presseverfahren
Um den Monat abzurunden, verlieh die Regierung einem Pressegesetz Gesetzeskraft, das die Nationalversammlung im Juli verabschiedet hatte. Wenn es auch gegenüber früheren Pressegesetzen eine Verbesserung darstellt, stellt es es neue Befugnisse und Legitimationen für die Regierungskampagne gegen angebliche regierungsfeindliche Zeitungen bereit. Das Informationsministerium kann, ohne die Gerichte zu bemühen, einzelne Ausgaben beschlagnahmen und Zeitungen bis zu einem Monat schließen. Es gibt kräftige Geldstrafen für Artikel, die „die nationale Sicherheit“ oder die „politische Stabilität“ beeinflussen oder „nationale Institutionen verleumden“ – Begriffe, die nirgends definiert sind.
Während das Gesetz selbst keine Gefängnisstrafen vorsieht – eine Konzession gegenüber öffentlichem und internationalem Druck –, gestattet es den Gerichten, in Verfahren gegen die Presse das Strafgesetz heranzuziehen. Die kambodschanische Regierung, die seit fast zwei Jahren im Amt ist, hat bisher wenig Verständnis für öffentliche Kritik gezeigt. Vielleicht war das unvermeidlich in einem Land, das niemals eine wirklich freie Presse hatte – unter der Königsherrschaft ebensowenig wie unter den Kommunisten.
Dennoch sind die Ereignisse des Monats August besonders entmutigend. Während die Führung gegenüber den Medien eine ähnliche Haltung hätte einnehmen können wie ihre thailändischen und philippinischen Nachbarn, scheint sie eher den kümmerlichen Vorbildern Malaysia, Singapur und Indonesien nacheifern zu wollen. Das ist nicht nur eine Drohung an die Adresse von Verlegern und Redakteuren, sondern auch an den aufkeimenden Verbund lokaler regierungsunabhängiger Organisationen, die in den letzten Jahren einen so großen Beitrag geleistet haben.
Die sich verschärfenden Angriffe auf die Meinungsfreiheit gehören in ein allgemeineres Bild zunehmender Repression durch die Regierung in Kambodscha. Wenn die gegenwärtige Richtung der Regierung umgekehrt werden soll, werden kambodschanische Organisationen und Individuen Mut aufbringen müssen, um öffentlich das Wort zu ergreifen. Man kann nur hoffen, daß ihnen dazu die Mittel verbleiben. James D. Ross
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