Ente, wir danken Sie

„Einen, der mich ganz ausschaltete, habe ich nie erlebt“: Zum heutigen 50. Geburtstag von Willi Lippens, dem legendärsten Linksaußen der Bundesliga  ■ Von Bernd Müllender

Bottrop (taz) – Das volle alte Ruhrpottklischee: Links die Autobahn, daneben Müllverbrennungsanlage, die alte Kokerei, die Veba- Chemie. Aber dazwischen ein kleines Idyll hinter einem schmiedeeisernen Tor, auf dem eine rot-weiße Ente mit einem Ball jongliert. Hier hat Willi „Ente“ Lippens seine Ranch; er züchtet Pferde und führt eine Ausflugskneipe mit Namen „Mitten im Pott“. Lippens – eine der ganz großen Kickerlegenden aus alter, spielkulturell bewegender Zeit, Spaßvogel, Lästermaul, Fußballclown, Dribbelgenie, bei dem nicht 92 Bundesligatore in Erinnerung blieben, sondern zahllose skurrile Anekdoten, bauernschlaue Sprüche, verschlagene Spitzfindigkeiten. Heute wird der Mann mit dem Watschelgang 50.

„Ich habe immer für die Galerie gespielt“, sagt der Linksaußen, dessen Spezialität Körperdrehungen hart an der Grenze zum anatomisch Möglichen waren. „So als wäre jeder Zuschauer mein bester Freund. Meine Art zu spielen war sicher die Schwierigste: Zweckmäßigkeit perfekt mit Finesse und Show zu verbinden.“ Trainer sind an ihm verzweifelt, denn Taktik, insbesondere Deckungsaufgaben, interessierten Lippens nur sehr wenig. Seine Strafraum-Philosophie lautete: „Niemals habe ich eine Torchance überhastet vergeben, lieber habe ich sie vertändelt.“

In der Jugend war ihm einmal ein Kopfballtor im Handstand gelungen; das zählte zwar, aber eine Verwarnung wegen provozierender Unsportlichkeit gab es trotzdem. Er war der erste, der Zeit fand, Bälle mit dem Hintern zu stoppen, sich im Spiel auch schon mal auf den Ball draufzusetzen, um auf Gegenspieler zu warten, mit denen er neuen Schabernack treiben konnte. „Am liebsten waren mir die Nationalspieler“, sagt Lippens und nennt neben Kaltz und Höttges vor allem Berti Vogts: „Den hab' ich am liebsten hüpfen lassen. Alle, die so geschrubbt haben, die waren gegen mich doch wie angeschlagene Boxer. Und der Vogts hatte so schön kurze Beine, den konnte man gut ausrechnen.“

Zum ersten Probetraining 1965 bei Schwarz-Weiß Essen kam Lippens aus dem heimischen Kleve per Anhalter. „Der kann ja nicht mal richtig gehen“, soll der Trainer gesagt haben. Rot-Weiß, orthopädisch nicht so pingelig, verpflichtete ihn trotz seiner Senk-, Spreiz- und Plattfüße für 50 Mark im Monat plus freies Logis in einem Zimmer in den Katakomben des Stadions.

Nach elf Jahren als Publikumsliebling bei Rot-Weiß Essen (1965-1976) und drei Jahren bei Borussia Dortmund wechselte Ente Lippens noch für ein paar Monate in die US-Profiliga zu den Dallas Tornados. Das Monatssalär von 40.000 Dollar für „Willy the Duck“ war angeblich nicht der Grund: „In Amerika gab es noch Verteidiger, denen ich noch keine Knoten in die Beine gespielt hatte.“ Bei Karriereende bilanzierte er: „Einen, der mich ganz ausschaltete, habe ich nie erlebt.“ Und Sepp Maier lobte: „Es gab keinen Gefährlicheren.“

Heute watschelt Lippens regelmäßig noch in Prominententeams („Nur im Sommer, da isset nich so kalt“), das Selbstbewußtsein ungebrochen: „Vorher reden die Leute alle von Overath und Netzer, nach dem Spiel von mir.“ Das Knie wackelt, aber das sei „kein Wunder nach 20 Jahren Nahkampf.“ Also geht er lieber Angeln und Golfspielen, auch wenn die Liebe zum kleinen Ball „sehr viel Zeit brauchte“ – kein Wunder bei einem, der sich nie gern vom Ball trennte.

Seine niederländische Nationalität gab Lippens' Lebenslauf eine Spur Tragik und politische Pikanterie. Helmut Schön habe ihn jahrelang bekniet, sich einen deutschen Paß zu holen. „Ich hätte sicher 40 Länderspiele machen können.“ Aber Lippens hörte auf seinen holländischen Vater mit dessen schlimmen Erfahrungen im Faschismus: „Wenn du Deutscher wirst, brauchst du nicht mehr nach Hause zu kommen.“

Doch es gab eine internationale Berufung – im Oranje-Team, gegen Luxemburg. Als Lippens auf der Busfahrt zum Spiel deutsche Musik hörte, maulte ihn ein Mitspieler an: „Mach den Nazi-Sender aus, du Halbnazi.“ Da, sagt Lippens, wäre er am liebsten gleich wieder ausgestiegen. Holland gewann 6:0, Lippens schoß das erste Tor. Danach kam eine Verletzung, Rot-Weiß stieg aus dem Bundesliga-Rampenlicht ab. „Hab' ich also in jedem Länderspiel ein Tor gemacht“, rechnet Lippens, „ein guter Schnitt“.

Fußball heute – das Urteil fällt vernichtend aus: „Eine Sache für Zehnkämpfer. Gib den Spielern eine Rugby-Pille, und du siehst keinen Unterschied mehr.“ Lippens ist selbst Verbandsligatrainer: „Ich wäre froh, wenn ich so einen Lippens-Typen in der Mannschaft hätte, mutige Leute, frech. Ich ermuntere die oft: Mach doch mal was Schräges, was Schlaues. Aber das ist so schwer. Dabei ist doch schräg gleich clever.“

Lippens' Lieblingsanekdote: der legendärste Platzverweis seit Erfindung der Trillerpfeife. Sagte der Schiedsrichter, 1966 in Herne war's: „Herr Lippens, ich verwarne Ihnen.“ Der Holländer Lippens gab spontanen Deutschunterricht auf seine Art: „Ich danke Sie!“ Lippens durfte duschen gehen und bedauert heute, daß er nicht mehr weiß, wer der Schiedsrichter war, gerne würde er noch mal mit ihm über die Szene reden.

50 Jahre alt zu werden, sagt er, bringe keine große Änderung. „Der Körper fordert halt seinen Tribut. Aber vom Geist her, glaube ich, wird die Ente nie richtig alt.“ Abschied, Gesprächsende: „Herr Lippens, ich danke Sie!“ Antwort des Jubilars: „Danke, das tu ich Sie auch.“