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Untersuchungshaft statt Akteneinsicht

Im Ermittlungsverfahren gegen vier angebliche „radikal“-Herausgeber bleibt Werner K. auch nach fünf Monaten in U-Haft. Der Vorwurf: „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“  ■ Von Uwe Rada

Der Termin war mit Bedacht gewählt. Für den 13. November hatte Rechtsanwalt Christoph Kliesing einen Haftprüfungstermin für seinen Mandanten Werner K. beantragt. K. befand sich am Tag der Haftprüfung genau fünf Monate in Untersuchungshaft in Moabit. Ihm neben drei weiteren Personen wird die Herausgabe der linken Untergrundzeitschrift radikal und damit die Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“ und die Unterstützung mehrerer „terroristischer Vereinigungen“ zur Last gelegt.

Für Anwalt Kliesing Grund genug, diesen „völlig unverhältnismäßigen“ Umstand der langen Untersuchungshaft anzuprangern, zumal ihm die Bundesanwaltschaft (BAW) nach wie vor Akteneinsicht verwehrt. Der zuständige Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof, Beyer, war freilich anderer Meinung. Einen Tag nach der Haftprüfung gab er bekannt, daß die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen Werner K. verhältnismäßig sei.

Fünf Monate sind vergangen, seit die Bundesanwaltschaft am 13. Juni bundesweit 55 Wohnungen und Projekte aus der linken Szene durchsuchte. Die Razzia richtete sich, berichtete BAW-Sprecher Rolf Hannich, gegen die „Antiimperialistischen Zellen“ (AIZ), das K.O.M.I.T.E.E., das sich zu einem versuchten Sprengstoffanschlag auf den Abschiebeknast in Grünau bekannte, und die Zeitschrift radikal.

Bei der Verfolgung der radikal schlug die BAW zugleich ein neues Kapitel in der Geschichte der Kriminalisierung auf. Zu Beginn der achtziger Jahre noch eine legale Zeitschrift linksradikaler und autonomer Gruppen, war die Zeitschrift 1984 zum ersten Mal verfolgt worden. Die angeblichen Herausgeber Michael Klöckner und Benny Härlin konnten sich einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe nur entziehen, indem sie als Abgeordnete der Grünen ins Europaparlament einzogen. Zwei Jahre später versuchte die BAW erneut gegen die seitdem im Untergrund erscheinende Zeitschrift vorzugehen. Insbesondere gegen Buchhändler und Handverkäufer der radikal wurden 192 Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a eingeleitet. Eine Schlag ins Wasser, wie sich später herausstellte: Lediglich vier Personen wurden verurteilt.

Anders als bei den vorangegangenen Verfahren, bei denen nur einzelne Beiträge – zumeist Bekennerschreiben – als „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ im Sinne des „Terrorismus“-Paragraphen verfolgt wurden, versuchen die Ermittlungsbehörden nun, die Herausgeber der Zeitschrift selbst als „kriminelle Vereinigung“ zu verfolgen. Der überraschende Schlag gegen die Zeitschrift, die in den letzten Jahren auch in der linken Szene immer mehr an Bedeutung verloren hatte, konfrontiert die Unterstützer der Inhaftierten damit mit einem Vorwurf, der im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen eine Zeitschrift bisher einmalig ist. Mit der Gleichsetzung von radikal und „krimineller Vereinigung“, heißt es in der monatlich erscheinenden Soli-Zeitschrift radikale Zeiten, könne künftig jede Person, die als Mitglied dieser Vereinigung zugeordnet wird, für alles verantwortlich gemacht werden, was dieser Vereinigung zur Last gelegt wird. Eine konkrete Beteiligung einzelner Personen müßte dann, analog zu den RAF-Verfahren, nicht mehr nachgewiesen werden. Neben den vier im Juni Festgenommenen sucht die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit radikal noch nach vier weiteren Personen mit Haftbefehl. In 17 Fällen laufen Ermittlungsverfahren.

Für manchen Unterstützer ist der Anklagepunkt „kriminelle Vereinigung“ auch ein Hinweis darauf, daß die Ermittlungen der BAW alles andere als hieb- und stichfest sind. Der bislang einzige Anhaltspunkt für die Karlsruher Ermittler liegt nämlich schon geraume Zeit zurück. Im Herbst 1993 hatte das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz ein „hochkonspiratives“ Treffen in einer Eifel- Hütte abgehört, an dem neben Werner K. auch die drei ebenfalls am 13. Juni Festgenommenen Ralf M. aus Rendsburg, Rainer P. aus Münster und Andreas E. aus Lübeck teilgenommen haben sollen. Ein „Zufallsfund“, wie die Bundesanwaltschaft später selbst einräumte. Der Lauschangriff galt nämlich nicht der radikal, sondern angeblichen Mitgliedern der RAF und anderer „linksterroristischer“ Gruppierungen. Ob die als „präventiv-polizeiliche“ Maßnahme genehmigte Abhöraktion in der Eifel in einem kommenden radikal-Verfahren überhaupt prozeßrelevant ist, wird das Gericht erst noch klären müssen. Und auch die während der Durchsuchungen beschlagnahmten Disketten bergen bislang nur solch belastendes Material wie einen Text zu Kurdistan.

Die Anwälte der vier Inhaftierten haben inzwischen angekündigt, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die U-Haft für ihre Mandanten schnellstmöglich zu beenden, da ein Prozeßbeginn vor Ostern nicht wahrscheinlich sei. Doch nicht nur die U-Haft haben die Anwälte im Visier. Auch die „extremen Haftbedingungen“ – 23 Stunden Isolationshaft, eine Stunde Hofgang – deuteten darauf hin, daß der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Herausgabe einer Zeitung offensichtlich jeden Maßstab verloren habe.

Unterdessen haben zahlreiche Unterstützergruppen eine Demonstration für den 16. Dezember angekündigt. Drei Tage zuvor wird die Untersuchungshaft für die vier angeblichen radikal-Herausgeber sechs Monate gedauert haben. Nach geltendem Recht muß dann der Prozeß beginnen. Sollte dies nicht der Fall sein, hat über die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr der für seine willkürlichen Entscheidungen (siehe Kasten) bekannte Ermittlungsrichter Beyer zu entscheiden, sondern ein regulärer Strafsenat. „Und der wird dann bestimmt andere Maßstäbe anlegen“, hofft Rechtsanwalt Christoph Kliesing.

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