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Der Berliner Sozialstaat wird abgebaut

Finanzkrise ohne Ende: Eine neue Landesregierung muß zur Haushaltssanierung 25.000 Stellen abbauen und weniger Geld ausgeben. Bei Sozialhilfeempfängern, Behinderten, Arbeitslosen, Privatschulen und Kirchen wird gespart  ■ Von Dirk Wildt

Wenn bei den heutigen Sondierungsgesprächen von CDU und SPD zum Thema Haushalt erneut nichts herauskommt, dann aus einem Grund: Beide Verhandlungspartner wollen vor einer Regierungsbildung die Öffentlichkeit mit schlechten Nachrichten verschonen. Das wären nämlich keine schönen Bilder, wenn während der Wahl des neuen Senats im Januar die Polizei nur mit einem Großaufgebot verhindern kann, daß ihre eigenen Kollegen Hand in Hand mit Tausenden von Verwaltungsangestellten, Lehrern, Sozialarbeitern, Hundebesitzern und Pfarrern die Bannmeile um den Preußischen Landtag stürmten.

Bei einem Defizit von zehn Milliarden Mark gibt es nämlich beim Sparen „keine Tabus“ mehr, wie ehrlicherweise Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) noch wenige Tage vor der Wahl im Oktober sagte. Nahezu alle BerlinerInnen werden den Rotstift zu spüren bekommen – entweder über die Kürzung von Leistungen oder über die Erhöhung von Gebühren und Steuern.

Ziel der Großen Koalition ist seit langem, die Ausgaben des Landes Berlin dauerhaft um vier Milliarden Mark zu kürzen. Soll der Haushalt im kommenden Jahr noch ein Volumen von 44 Milliarden Mark haben, so soll er im Jahr 1999 bereits auf 39 Milliarden Mark geschrumpft sein. Daß nun das Defizit in diesem und im kommenden Jahr mit insgesamt 20 Milliarden Mark sieben Milliarden Mark höher ausfallen wird, als es eingeplant war, verstärkt den Druck auf eine neue Landesregierung, „schmerzhafte Einschnitte“ durchzusetzen.

Finanzexperten innerhalb und außerhalb der Verwaltungen wissen, was dieser Sparbeitrag bedeutet: Da bei Investitionen und Sachausgaben jeweils nur rund eine halbe Milliarde Mark sowie bei den Personalausgaben anderthalb Milliarden Mark gespart werden können, müssen unter anderem auch ABM-Projekte und sozial Schwache ihren Beitrag zur Haushaltssanierung leisten.

Wie stark diese Gruppen für die Sanierung des Haushalts in Anspruch genommen werden, ist leicht abzuschätzen. Knapp ein Viertel seiner Ausgaben leistet Berlin auf Grundlage gesetzlicher Verpflichtungen – meistens auf Grundlage von Bundesgesetzen. Gut 1,6 Milliarden Mark zahlt die Stadt aber auf Grundlage von Berliner Gesetzen, die das Parlament mit einfacher Mehrheit ändern oder abschaffen kann. Der größte Teil dieser Leistungen fließt mit einer Milliarde Mark in den Sozial-, Jugend- und Familienbereich. 200 Millionen Mark könnten gestrichen werden, dann wäre die Schmerzgrenze erreicht, schätzen Insider.

SozialamtsmitarbeiterInnen könnten den Ermessenspielraum des Landes dann kaum noch nutzen. SozialhilfeempfängerInnen würden etwa Geld für neue Schuhe nur noch jedes zweite Jahr erhalten, und die staatlichen Zuschüsse zu Hochzeitsfeiern würden magerer ausfallen als bisher. Der Telebus, ein Beförderungsdienst für Behinderte, würde seltener fahren, und das Projekt „Jugend mit Zukunft“ hätte angesichts dieser Sparzwänge kaum noch eine finanzielle Zukunft.

Freie Träger und Projekte, die mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) Erwerbslosen eine Berufschance eröffnen wollen, werden wahrscheinlich mit drei Prozent oder 33 Millionen Mark weniger auskommen müssen. Von den 900 Millionen Mark für AB- Maßnahmen wird Berlin auch zukünftig zwar knapp 600 Millionen Mark zahlen, weil diese zwei Drittel bundesgesetzlich vorgeschrieben sind. Das dritte Drittel aber, 330 Millionen Mark, zahlt die Landesregierung aus eigener Initiative. Auch wenn Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) angeblich wirklich gar nichts davon wissen will: Eine Kürzung der 330 Millionen Mark um ein Zehntel ist bereits im Gespräch.

Die Zuschüsse an Privatschulen werden allein auf Grund von Landesgesetzen gezahlt. Hier müssen sich die 17.000 Schüler darauf einstellen, daß die Klassenfrequenzen um ein Zehntel angehoben werden. Denn das Land wird den Zuschuß von 130 Millionen Mark für Personalkosten um ein Zehntel verringern.

Auch die Kirchen werden für ihre Besoldungs- und Ausbildungskosten, Pensionsfonds, Pflege von Friedhöfen sowie Bau- und Sanierungsarbeiten mit künftig elf Millionen Mark weniger auf ein Zehntel der staatlichen Zuschüsse verzichten müssen.

Nun sind gesetzliche Leistungen gesetzliche Leistungen. Eine neue Landesregierung kann deshalb nicht einfach von heute auf morgen nichts mehr zahlen, wenn sie einmal diese Verpflichtung übernommen hat. Das gestern konstituierte Abgeordnetenhaus wäre eine ganze Weile damit beschäftigt, die Vielzahl Landesgesetze und Staatsverträge zu ändern. In der vergangenen Legislaturperiode gab es spektakuläre Beispiele, die verdeutlichen, wie lange es dauert, bis Verträge geändert werden oder ein Haus verkauft wird und bis die Landeskasse davon etwas hat: So hatte der Senat beispielsweise 1993 beschlossen, das Schillertheater zu schließen. Die 50 Millionen Mark, die das Theater kostete, werden allerdings zum ersten Mal 1997 – vier Jahre nach der Entscheidung – eingespart. Auch der Verkauf der Villa Lemm dauerte vier Jahre – und brachte dem Land Berlin dann 17 Millionen Mark. Die Reduzierung der Studienplätze von 115.000 auf 100.000 wird sogar erst im Jahr 2003 die Landeskasse voll entlasten.

Deshalb ist auch fraglich, ob eine Landesregierung selbst bei dem härtesten Sparkurs bis 1999 die Ausgaben auf 39 Millionen Mark reduzieren kann. Finanzexperten etwa bezweifeln, daß der Abbau von 25.000 Stellen die versprochenen 1,5 Milliarden Mark Ersparnis bringt – wenn tatsächlich niemand gekündigt wird. So würden beispielsweise Beamte, die in den Vorruhestand gehen, zwar einerseits kein Gehalt mehr bekommen, aber andererseits die Pensionskosten eher als geplant in die Höhe treiben. Im kommenden Jahr kosten die 91.000 arbeitenden Beamten, Richter und Hochschullehrer das Land 6,7 Milliarden Mark. Die Versorgungsbezüge für pensionierte Beamte, Richter und Hochschullehrer betragen mit anderthalb Milliarden Mark schon gut ein Viertel jener Dienstbezüge.

Relativ unkompliziert erscheint es dann plötzlich, eine halbe Milliarde Mark bei den Sachausgaben zu sparen. Die 2.562 Beamtinnen der Schutzpolizei tragen einfach ihre 428 Mark teure Uniform länger (Einsparung 91.210 Mark), die Verwaltungsangestellten im Museum für Verkehr lassen jede zehnte Briefmarke unbeleckt liegen (2.500 Mark), und Diepgens Mitarbeiter im Roten Rathaus verzichten auf jedes zehnte Telefongespräch (1.500 Mark). Für Geschäftsbedarf, Bücher, Zeitschriften, Geräte, Betrieb von Fahrzeugen, Lehr- wie Lernmittel und so weiter und so fort gibt Berlin nämlich mehr als fünf Milliarden Mark aus.

Und ebenfalls einfach scheint die Einsparung eines Zehntels der rund acht Milliarden Mark in der Wohnungsbauförderung, den Bauinvestitionen und den Investitionszuschüssen. Bausenator Wolfgang Nagel hat bereits vorgeschlagen, weniger Wohnungen zu bauen – und unterscheidet sich von allen anderen SPD-Politikern dadurch, daß er damit konkrete Sparvorschläge macht. Nagel will auch auf den vierten Bauabschnitt der Messe verzichten. Spielräume gibt es ebenfalls bei den Entwicklungsgebieten wie der Rummelsburger Bucht. Sie würden später in Angriff genommen als vorgesehen. Eine Prioritätenliste liegt dem Senat bereits seit einem Jahr vor.

Alles in allem kommen so aber auch nur rund 3,3 Milliarden Mark an dauerhaften Einsparungen zusammen. Deshalb wird Berlin versuchen, seine Einnahmen zu erhöhen. Die Zeiten sind vorbei, in denen etwa Schrebergärtner für die Jahrespacht eines Quadratmeters Garten 31 Pfennig zahlten. Berlin wird ebenso die Pachtforderungen für Sportanlagen und Kantinen erhöhen. Auch die Hundebesitzer sind ins Visier der Finanzpolitiker geraten. Sie werden mehr zahlen müssen, als die für 1996 vorgesehenen insgesamt 16 Millionen Mark.

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