: Porträt einer Dame als Windhund
Ohne Angst anders sein: Eine Biographie der englischen Exzentrikerin Edith Sitwell beschreibt ihren Sieg über die Rollenmodelle der Zeit ■ Von Stephanie Tasch
„Warum sollte man versuchen, auszusehen wie ein Pekinese, wenn man ein Windhund ist?“ In der Tat, warum sollte man? Edith Sitwell, von der das Zitat stammt, erfand sich neu als gotische Skulptur, und das zu einer Zeit, als die Mode mit Hilfe mörderischer Korsetts und absurder Tournüren die Kleider wirken ließ, „als winde sich eine Schlange um einen Stab“ (so Marcel Proust). In Cecil Beatons stilisierten Fotografien wurde Edith Sitwell dann endgültig zur Kunstfigur.
Die Frankfurter Verlagsanstalt verwendet für Victoria Glendinnings Biographie folgerichtig Beatons spätes Porträt von 1962. Es zeigt Sitwell im Habitus einer Äbtissin, ihre Hände, laut Beaton, die einer „mittelalterlichen Heiligen“, geschmückt mit riesigen Halbedelsteinen. Leider wurde es sehr geschmacklos verfremdet. Unnötige Highlights lassen die Augenlider wenig schmeichelhaft glänzen, und zu allem Überfluß hatte dann auch noch jemand die Idee, ihre berühmten Aquamarine lustig bunt einzufärben.
Ärgerlich auch die häufigen Schreib- und Übersetzungsfehler: So ist ein für allemal jener Irrglaube zu geißeln, das sinnlos nachgestellte „was?“ sei ein Äquivalent des angelsächsischen „don't you“ oder „isn't it“. Eher komisch ist die Übertragung von Gertrude Steins „The Making of Americans“ als „Die Machart von Amerikanern“. Auf eine gänzlich falsche Fährte gerät man durch die Übersetzung von „she didn't have time for“: Danach hat Frau Sitwell „keine Zeit“ mehr für anderer Leute Gedichte, für die sie doch eigentlich nur „nichts übrig“ hat.
Der deutsche Buchmarkt für ihre Lyrik allerdings auch nicht, denn hierzulande ist Edith Sitwell vor allem als Ethnologin „englischer Exzentriker“, Apologetin „englischer Damen“ und Verfasserin des eigenen „exzentrischen Lebens“ bekannt. Ihre Gedichte sind seit den sechziger Jahren nicht mehr in deutscher Übersetzung lieferbar. Das vorliegende Buch bietet nun englisch-deutsche Kostproben aus dem gesamten ×uvre, wenngleich etwas verstümmelt wiedergegeben und mit arg biographischen Deutungen versehen.
Victoria Glendinning widmet der 1887 geborenen Edith Sitwell eine weiträumige Darstellung. Es sei aber sofort gesagt, daß sich ihr Gegenstand der Autorin wie dem Leser mit stiller Beharrlichkeit entzieht. Die Fülle von Daten, Namen und Fakten, von Gedichtfetzen, Briefzitaten und Anekdoten kann daran wenig ändern. Glendinning bestätigt diesen Eindruck mit ihrer Beobachtung, die Person Sitwell sei mit zunehmender Bedeutung als öffentliche Figur immer stärker in den Hintergrund getreten, und eine Enthüllung ihres privaten Ich habe ohnehin nie im Interesse der Lyrikerin gelegen. Dagegen sprachen wohl vor allem ihre Herkunft und Erziehung, die in der Bewahrung einer gewissen Haltung gegenüber allen Widrigkeiten ihr Heil sah.
Bleiben wir also an der Oberfläche. Sitwells Bildnisse – und sie ist seit ihrer Kindheit häufig porträtiert worden – zeigen deutlich, wie da jemand zu sich selbst kommt und schließlich vollkommene Kontrolle über sein öffentliches Gesicht gewinnt. Über dieses Talent verfügte bereits Elizabeth I., zu der Edith Sitwell eine besondere Affinität hatte. Elizabeth formte mit Hilfe ihrer Hofporträtisten eine ideale „Mask of Youth“, die den alternden Körper der Königin für die Augen ihrer Untertanen als Inbild der jungfräulichen Herrscherin erhielt. Sitwell wurde in Cecil Beatons Fotos zur Ikone. Ihre außergewöhnliche Physiognomie, ihre schönen Hände, ihre paradiesvogelhafte Kleidung verhärten sich zu jenem Bild der „Dame mit dem Einhorn“ des mittelalterlichen Wandteppichs, mit dem ihre Zeitgenossen sie verglichen.
Aus deutscher Perspektive erscheint Edith Sitwell als Inbegriff der aristokratischen englischen Exzentrikerin. Ihre Herkunft als Tochter von Sir George und Lady Ida Sitwell auf Renishaw Hall, Derbyshire, bestätigt das auf den ersten Blick; allerdings: Der erste George Sitwell war im 17.Jahrhundert Inhaber und Betreiber einer Eisengießerei. Adelig wurde man wesentlich später, und erst nach 1800 vollzog sich die endgültige Wendung zum Lebensstil der „landed gentry“: Die Fabrik wurde verkauft, und man widmete sich fortan standesgemäßen Formen des Nichtstuns.
Ediths jüngerer Bruder Osbert beschrieb Renishaw als „männliches Haus“, ein kalter Ort, an dem die Erstgeborene in dem klaren Bewußtsein aufwuchs, auf unerfreuliche Art „anders“ zu sein, als sie sollte. Sie war kein Junge, und als Mädchen war sie gänzlich falsch. Nicht hübsch, wie ihre sehr hübsche Mutter entsetzt feststellte, mit einem unseligen Hang zu Büchern und einer Abneigung gegen das jedermann so wunderbar ausfüllende gesellschaftliche Leben. „Très difficile“, sprach der Vater anläßlich ihres einundzwanzigsten Geburtstages, und Tennis spielen wollte sie auch nicht. Die Strafe für Nonkonformität – und dazu gehörte auch die Tatsache, daß sie schließlich 1,83 Meter maß – war Liebesentzug.
In einigen Grundzügen ist Sitwells frühe Biographie durchaus typisch für Frauen ihrer Generation und Gesellschaftsschicht: Während die Söhne nach Eton und von dort nach Oxford geschickt werden, bleibt die Tochter zu Hause und lernt weder Vernünftiges noch Nützliches. Edith Sitwell, die nie eine Universität besucht hatte, war besonders stolz auf ihre Reihe von Ehrendoktorhüten, die ihr seit 1948, unter anderem von Oxford, verliehen wurden.
Ihr Leben als unabhängige Person begann im Spätsommer 1914, als Edith in einem wenig eleganten Stadtteil Londons eine Wohnung im fünften Stock eines Miethauses bezog, die sie bis 1932 mit ihrer ehemaligen Gouvernante Helen Rootham teilte. Die Brüder Osbert und Sacheverell, mit denen sie ein ebenso unwiderstehliches wie unausstehliches Trio bildete, lebten im fashionableren Chelsea. Hier, wie in ihrer späteren Behausung im „Sesame and Imperial Pionieer Club“ für Damen, begann auch Sitwells Leben als Gastgeberin eines zunächst sehr bescheidenen Salons und als Veranstalterin von Lesungen, die eine Mischung aus aristokratischer Verwandtschaft, Bohemiens und Mitgliedern des Londoner Literaturbetriebes versammelten.
Sie wurde innerhalb weniger Jahre von einer vollkommen obskuren zu einer bekannten und umstrittenen Gestalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie schließlich zu einer Art nationaler Institution, einem „monstre sacrée“ der englischen Literatur und seit 1954 „Dame Commander of the Order of the British Empire“.
Sitwell wie ihre Brüder verfügten neben dem nötigen Ehrgeiz über ein nicht zu unterschätzendes Talent zur Selbstvermarktung. Teil der Strategie waren mit Wonne zelebrierte und zumeist auf den Leserbriefseiten ausgetragene literarische Fehden. Die Sitwellsche Empfindlichkeit kannte kaum eine Unterscheidung zwischen tatsächlichem Angriff und Paranoia, und Edith steigerte sich zu Formulierungen wie: „Der Abschaum der literarischen Population erhob sich wie ein Wurm, um mich zu beleidigen.“ Der literarischen Freundschaften und Feindschaften sind im Laufe dieses langen Lebens derartig viele, daß sich eine ganze „Galerie höchst merkwürdiger und bemerkenswerter Damen und Herren“ von T.S. Eliot über Dylan Thomas, Stephen Spender, W.H. Auden und Viriginia Woolf bis zu Evelyn Waugh zusammenstellen ließe. Die Biographie tut dabei in ihrer Gründlichkeit der Aufzählung von Personen und Begebenheiten des Guten beinahe zuviel.
Edith Sitwell war keineswegs eine Amateurschriftstellerin. Sie lebte gerne und ausgiebig teuer, ohne es sich leisten zu können, und verkörpert den schönen Widerspruch einer mittellosen Person aus wohlhabendem Hause. Sie lebte vom Schreiben, und Lyrik brachte auch in den Zeiten ihres größten Ruhms nicht genug ein. Also gab es die „Brotarbeiten“. In den zwanziger Jahren gehörten zu ihren journalistischen Texten nicht nur ein Porträt Gertrude Steins für die englische Vogue, sondern auch so vielversprechende Titel wie „Wer sind die Sitwells, und warum tun sie es?“ oder „Wann ist Dichtung ein Verbrechen?“. 1930 erschien ihre erste Prosaarbeit, die Biographie Alexander Popes, der über die Jahre die hierzulande so erfolgreichen „Englischen Exzentriker“ (1933) sowie Biographien Queen Victorias (1936) und Elizabeths I. (1946, 1962) folgten. Die „Englischen Frauen“ (1944), während des Krieges erschienen, bezeichnete Sitwell als ihr „Propagandabuch“. Ihre Autobiographie war im Druck, als sie 1964 starb. Gegen den ständigen Geldmangel halfen seit 1948 auch die enorm erfolgreichen Lese- und Vortragsreisen in den Vereinigten Staaten, die Osbert und Edith zu einem literarischen Exportschlager machten und vermutlich amerikanische Vorurteile über exzentrische englische Aristokraten erhärten halfen.
Sitwells Karriere als Lyrikerin beginnt 1913 mit dem Abdruck ihres Gedichtes „Drowned Suns“ im Daily Mirror. Einen entscheidenden Beitrag zur englischen Moderne leistete sie als Mitherausgeberin der Lyrikanthologie „Wheels“, die zwischen 1916 und 1921 sechsmal erschien.
Notwendiger Bestandteil einer Literatinnenexistenz der Zeit waren natürlich in Paris verbrachte Wochen und Monate. Ein Grund dort zu bleiben lag in der unerfüllten, quälenden und für den Leser mit zunehmender Beklemmung zu lesenden Liebesbeziehung zu Pawel Tschelitschew. Sitwell lernte ihn 1927 durch Vermittlung Gertrude Steins, deren Schützling der russische Exilmaler war, kennen. Der Protegierte wechselte die Patronin, und Edith Sitwell verbrachte die nächsten dreißig Jahre, bis zu seinem Tod 1957, damit, Tschelitschew unglücklich – und vollkommen aussichtslos, denn das Objekt ihrer Liebe war homosexuell – zu lieben.
Tschelitschew verehrte sie als „jungfräuliche Königin“, und man ist geneigt, den Vergleich mit Elizabeth I. wieder aufzunehmen, über deren Leben Sitwell schrieb, es sei „je nach Blickwinkel unfruchtbar und zugleich unendlich ertragreich“ gewesen. Gemessen an den Normen für ein Frauenleben ihrer Generation war Sitwells Leben ein Regelverstoß. Denn sie hatte es gewagt, dasselbe Recht auf ein eigenständiges Leben wahrzunehmen, das für ihre Brüder selbstverständlich galt – mit allen persönlichen Konsequenzen. Edith Sitwells völliges Desinteresse an allen Fragen der Frauenbewegung verhindert ihre Eignung zur feministischen Ikone, während der reiche Ertrag ihres Lebens als Lyrikerin und Individuum sie zum weiblichen Rollenmodell werden läßt. So interessant die Frau ist, so ermüdend kann die Beschreibung ihres Lebens auf Leserin und Leser wirken. Und schließlich ahnt man, daß es die weisere Idee ist, Sitwells Verschleierung ihres privaten Ichs ernst zu nehmen und anstelle der Biographie ihre Bücher zu lesen.
„Edith Sitwell“. Eine Biographie von Victoria Glendinning. Aus dem Englischen von Karl A. Klewer. Frankfurter Verlagsanstalt, 520 Seiten, geb., 58 DM
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