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Gutscheine statt Pesos

Die argentinischen Provinzen leben auf Pump. Nachdem Buenos Aires den Geldhahn zudrehte, erfand die Landesregierung in Jujuy eine neue Währung, um sich ihrer Geldsorgen zu entledigen  ■ Aus San Salvador de Jujuy Astrid Prange

Nach 25 Kilometern Schotterstraße schaltet der Busfahrer in den dritten Gang hoch. Die Baustelle ist vorbei. „Willkommen in der Provinz von Jujuy“ steht auf dem Grenzschild. Bis zur Landeshauptstadt San Salvador de Jujuy ist die Straße durchgehend asphaltiert. Der alte Bus mit den knautschigen Plastiksitzen rollt schwankend durch die menschenleere, saftig- grüne Landschaft. Nur selten kommt ihm ein Fahrzeug entgegen. „Kennst du das?“ Mein Nachbar Alejandro Lossohe schreckt mich aus dem Träumen in der abendlichen Dämmerung auf und wedelt mit einem zerrissenen Geldschein vor meinen Augen hin und her. „Soweit sind wir runtergekommen“, grinst er. „In Jujuy wird nicht mit Geld, sondern mit Gutscheinen bezahlt.“

Die Einführung meines Nachbarn in das Wirtschaftsleben Jujuys ist außerordentlich aufschlußreich. Daß Geld in der nördlichsten argentinischen Provinz knapp ist, darüber berichtet die argentinische Presse schon seit langem. Beamte bekommen in Jujuy seit zwei Monaten keine Gehälter mehr ausgezahlt. Aber Gutscheine? „Bei der selbst kreierten Währung handelt es sich um einen Bonus, genauer gesagt, um Titulo Provincial Fiducario (Tiprofi)“, erklärt mir Alejandro Lossohe. Den hätte die Landesregierung in Umlauf gebracht, um sich ihrer Geldsorgen vorübergehend zu entledigen. Die wundersame Geldvermehrung hat allerdings einen Haken: Tiprofi gelten nur innerhalb der Provinz von Jujuy und dort auch nicht überall. Weder die argentinische Post noch die Telefongesellschaft oder die örtlichen Hotels nehmen die Ersatzwährung an.

Alejandro Lossohe kümmert das herzlich wenig. Schließlich ist er kein Beamter, sondern Kaninchenzüchter. Der Porteño, wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden, zog vor sieben Jahren nach Jujuy, weil die Provinz „keine Industrie hat“. Dabei hätte der 26jährige leicht eine akademische Karriere machen können. Sein Vater war sechs Jahre lang Professor für lateinamerikanische Literatur an der Freien Universität in Berlin und schickte den Jungen nach seiner Rückkehr auf die deutsche Schule in Buenos Aires. Doch Alejandro riß aus. Er heiratete die Hausangestellte seiner Eltern und baute mit ihr eine Kaninchenzucht in Jujuy auf. Um seine 50 Karnickel zu ernähren, gibt er pro Woche 100 Pesos für Kraftfutter aus – in Gutscheinen.

Für ein eigenes Auto reicht der Kaninchenhandel noch nicht. Wohl aber für ein Handy, das er neben dem Rassehasen in seinen Rucksack gesteckt hat. Das Hundert-Dollar-Tier scheinen die Schlaglöcher nicht zu stören, es harrt mucksmäuschenstill aus. Ausgerechnet bei der Suche nach einem alternativen Leben fernab von Hochhäusern und giftigen Abgasen holt den Jungunternehmer seine deutsche Vergangenheit wieder ein. In seinem selbstgebauten Haus mitten im Wald stapelt sich Fachliteratur deutscher Kaninchenzüchter, und Bilder deutscher Rassehasen zieren die unverputzten Wände. Mittlerweile verkauft Alejandro mit großem Erfolg Haarspangen aus Kaninchenfell, besonders in Buenos Aires der letzte Schrei. „Was kann man sonst schon in Jujuy machen?“ meint er lachend.

Eine Provinz für Kaninchenzüchter, Grenzgänger zum Nachbarland Bolivien und Beamte? „Wir hängen am Tropf von Buenos Aires“, klagt der Bürgermeister von San Salvador de Jujuy, Hugo Cid Conde. „Das ganze Geld aus den Provinzen geht nach Buenos Aires.“

Das Verhältnis des Bürgermeisters, der der Oppositionspartei UCR, den Radikalen, angehört, zum peronistischen Gouverneur Oscar Augustin Perassi, ist denkbar schlecht. Nicht nur, daß die acht Millionen US-Dollar, die Argentiniens Präsident Carlos Menem zur Bekämpfung der Cholera in der Stadt anwies, niemals bei ihm ankamen. Auch die Löhne und Gehälter für die 2.500 städtischen Angestellten hält die peronistische Landesregierung von Jujuy seit zwei Monaten zurück. Nur über die Einnahmen aus Autosteuern und Müllabfuhrgebühren, 800.000 Dollar im Monat, kann der Bürgermeister der 200.000-Einwohner-Stadt selbst verfügen. Alles andere, auch die Löhne der städtischen Angestellten, stammt aus dem Landesetat.

Schuld an der Misere in der Provinz Jujuy hat nach Ansicht des Bürgermeisters, der in weißer Jeansjacke zur Arbeit kommt, Argentiniens Wirtschaftsminister Domingo Cavallo. „Der schert sich einen Dreck um das Volk“, meint er abschätzig. „Cavallo und Menem sind den Yankees ausgeliefert, wir haben eine extreme Auslandsschuld, deswegen müssen wir alles privatisieren“, meint der Radikale.

Und dann verweist er stolz auf seinen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die mittlerweile in Argentinien drei Millionen Menschen, ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung, zum Nichtstun verurteilt: „Als ich hier vor vier Jahren anfing, gab es in Jujuy nicht ein einziges Taxi“, meint der ehemalige Radioreporter. Mittlerweile verfügt die Landeshauptstadt über eine Kooperative mit 500 Wagen. Und Hugo Conde sitzt nach seiner Wiederwahl mit einer satten Mehrheit von 66 Prozent fester im Sattel denn je.

„Volksfeind Mingo“, wie der Wirtschaftsminister genannt wird, nahm seinen arbeitslosen Landsleuten bei einem Wirtschaftsgipfel in Bariloche jede Hoffnung: Bis zur Jahrtausendwende werde die Zahl der Beschäftigungslosen höchstens um fünf Prozent sinken. Und dies nur, so warnte Cavallo, wenn der bisherige Sparkurs fortgesetzt werde. Für die 600.000 Einwohner von Jujuy bedeutet dies, daß sie nicht an ihr Geld kommen. Aufgrund der „extremen Liquiditätsengpässe“, so Gouverneur Oscar Perassi, mußte die Provinzbank von Jujuy vorübergehend geschlossen und die Auszahlung der monatlichen Zuwendungen an die 53.000 öffentlichen Bediensteten und Rentner zwei Monate lang ausfallen.

Kein Grund zum Aufruhr? Daß die Beamten in Jujuy keine Gehälter ausgezahlt bekommen, findet der Chefredakteur der örtlichen Lokalzeitung El Tribuno de Jujuy „ganz normal“. „Das geht hier schon seit sechs oder sieben Jahren so, deswegen braucht man doch nicht gleich die Fenster einzuschlagen“, meint Oscar D'Oliveira. Nachdem aufgebrachte öffentliche Angestellte das Haus von Jujuys Wirtschaftssekretär Juan Carlos Arevalo anzündeten, erstickt die Provinzhauptstadt in bedrohlicher Stille. Am Tag nach dem Anschlag gleicht der Ort einer überfüllten Kaserne. Mit Schutzschilden, Helmen und Maschinenpistolen ausgerüstet, versperrt eine Schar von Polizisten rund 2.000 Demonstranten den Zugang zum Gouverneurspalast und zur „Banco Provincial de Jujuy“.

Ausgerechnet an diesem Tag öffnet die Bank ihre Schalter und beginnt mit der verspäteten Auszahlung der Löhne und Gehälter – in Gutscheinen, versteht sich. Auf großen Plakaten ruft Gouverneur Perassi die Bevölkerung zur Unterstützung beim Kampf um die provinzeigene Bank auf. Um die von Finanzengpässen geplagte Institution zu retten, dürfen Sparbuchinhaber nicht mehr als 100 Pesos pro Woche abheben. Wer ein Girokonto bei der „Banco Provincial de Jujuy“ führt, kann 500 Pesos mitnehmen.

Auf die Demonstranten scheint die Zahlungsbereitschaft der Regierung keinen Eindruck zu machen. „Guckt euch das an! Es ist die Polizei, die die Gewalt herausfordert!“ schreit eine der wenigen Frauen, die sich an dem Protestmarsch beteiligen. Eine Phalanx aus Polizisten mit Schutzschilden versperrt der Menschenmenge den Zugang zur Brücke über den Rio San Francisco, an dem die Landeshauptstadt liegt. Im ausgetrockneten Flußbecken haben sich die Ärmsten der Ärmsten angesiedelt. Warum protestieren diese Leute nicht? Ein Bettler mit aufgerissenen Schuhen bahnt sich einen Weg durch die Mauer aus Polizisten. Keiner kümmert sich um ihn.

Bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt, greift „Perro“ ein. Carlos „Perro“ Santillan, Vorsitzender der Gewerkschaft städtischer Angestellter SEOM, bewegt die Polizisten zur Freigabe der Brücke, denn schließlich bekommen auch sie seit mehreren Monaten keinen Lohn mehr ausgezahlt. Vor dem Gouverneurspalast macht der 43jährige Frauenheld seinem Ärger Luft: „Jetzt sage ich Menem, Cavallo, Perassi und allen Verbrechern, die sonst noch frei herumlaufen, daß sie ganz Argentinien besetzen müssen, wenn sie uns aufhalten wollen“, peitscht er auf seine Zuhörer ein. Der Funke springt über. „Perassi, du Hurensohn, wir hängen dich!“ lautet die eindeutige Botschaft an den Gouverneur hinter den verschlossenen Rolläden und Fenstern.

Francisco Rojas Cazon gefallen „Perros“ Parolen. „Er hat recht“, meint der Arbeiter, der „Perro“ noch von der gemeinsamen Zeit auf dem Bau kennt. „Cavallo lügt. Was haben wir von seiner Währungsstabilität? Die Schulden steigen, die Firmen schließen, die Zahl der Arbeitslosen wächst, die Löhne werden nicht gezahlt, und die Krankenhäuser stehen vor dem Kollaps!“ In der Diktatur, meint Francisco Rojas, sei es bessergegangen. „Da gab es jedenfalls nicht so viele Abgeordnete und Privilegierte.“ Carlos „Perro“ Santillan läßt an den Volksvertretern von Jujuy kein gutes Haar: „Schickt die Abgeordneten zum Arbeiten!“ brüllt er in seinen Schalltrichter. „Besucht sie zu Hause und schaut nach, wieviel sie verdienen!“

„Perro“ ist mittlerweile in ganz Argentinien bekannt wie ein bunter Hund. Der 43jährige Baumeister, überzeugter Sozialist, verkörpert die bittere Ohnmacht und Empörung der unzähligen Verlierer von Cavallos „Stabilitätsprogramm“. „Die Regierung ist total abhängig von Währungsfonds und Weltbank. Wir haben praktisch unsere Souveränität aufgegeben“, analysiert Perro die augenblickliche Lage der argentinischen Wirtschaft. Nachdem die Regierung schon alle Firmen privatisiert habe, sollten nun auch die Provinzen ihr Vermögen versetzen, nur damit die ausländischen Monopole noch reicher würden.

Die beiden argentinischen Oppositionsparteien „UCR“ und „Frepaso“ nimmt er nicht ernst: „Das sind Varianten desselben Modells. Eine echte Opposition existiert nicht“, meint „Perro“. Deshalb hätten die Argentinier bei den Wahlen am 14. Mai letzten Jahres auch Carlos Menem und die Peronisten wiedergewählt.

Beim Namen „Perro“ rümpft Regierungssekretär Hugo Ruben Tobchi angewidert die Nase. „Warum soll jemand in Jujuy investieren, wenn hier alle drei Tage eine Demonstration stattfindet?“ ärgert sich der Regierungsbeamte über die Aktivitäten des agilen Gewerkschaftsführers. Die öffentlichen Angestellten seien privilegiert und hätten daher überhaupt keinen Grund zu protestieren. „Unser Problem sind die Arbeitslosen“, stellt Tobchi klar. In der Kritik am Wirtschaftsminister sind sich die beiden verfeindeten Einwohner Jujuys allerdings einig: „Cavallo kennt die argentinische Realität nicht“, so der Regierungssekretär. Es sei unmöglich, hier mit einem Schlag 10.000 Leute zu entlassen, nur um Kosten einzusparen, denn zur Zeit gebe es keine wirtschaftliche Alternative.

Argentiniens 24 Provinzen stehen beim Bund mit 2,2 Milliarden Dollar in der Kreide. Dazu kommen noch 1,5 Milliarden Dollar Schulden, die Ende letzten Jahres fällig wurden. Um nicht an der gesetzlich verankerten Parität von Peso und Dollar zu rütteln, die Devisenreserven in Höhe der im Umlauf befindlichen Pesos vorschreibt, verweigert Cavallo den Provinzen jegliche Refinanzierung ihrer Schulden. Ausgerechnet die ärmsten Provinzen wie „La Rioja“, Heimat von Präsident Carlos Menem, Catamarca und eben Jujuy verzeichnen die höchsten Personalkosten. Im nationalen Durchschnitt verschlingen die Gehälter der öffentlichen Bediensteten – durchschnittlich 1.057 Pesos – die Hälfte der Landeshaushalte. Die Gehaltsspannen sind allerdings drastisch: Während Landtagsabgeordnete, Richter und Verwaltungsangestellte 4.000 Pesos und mehr monatlich einstreichen, bekommen Rentner noch weniger als den amtlichen Mindestlohn von 183 Pesos ausgezahlt.

Die Provinz Jujuy bezieht 80 Prozent ihres Haushaltes aus Buenos Aires. Nur ein Fünftel des Jahresetats von 500 Millionen Dollar bestreitet die Provinz aus eigenen Einnahmen. Wenn die Überweisungen aus Buenos Aires, Einnahmen aus der national erhobenen Mehrwert- und Einkommensteuer, ausbleiben, steht Jujuys Wirtschaft still.

Dabei verfügt die Provinz mit ihren 600.000 Einwohnern über ein positives Potential: Im Norden Argentiniens werden Alkohol, Zucker und Papier produziert, Pampelmusen, Orangen und Tabak angebaut. Doch die hohen Transportkosten in die Ballungsgebiete im Süden Argentiniens machen die Produkte vergleichsweise teuer. Ohne Gutscheine kommt die Provinz nicht aus: Gouverneur Perassi wird angesichts der bevorstehenden Privatisierung des landeseigenen Elektrizitätswerks neue „Tiprofi“ in Umlauf bringen müssen. Zwar steht weder Datum noch Verkaufspreis fest, doch die Voreinnahmen sind schon verplant.

Wie lange kann Jujuy noch auf Pump leben? Wie lange werden städtische Angestellte noch beim Lebensmittelhändler anschreiben können? Wie lange werden die Geschäftsinhaber noch „Tiprofi“ annehmen, die an der Landesgrenze ihren Wert verlieren? Keiner will es wissen. Die ganze Hoffnung richtet sich nun auf den Corredor Bi-Oceanico. Die Straße von der brasilianischen Atlantikküste bis zur chilenischen Hafenstadt Antofagasta ist ein gemeinsames Projekt von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, die sich vor einem Jahr zu dem gemeinsamen Markt Mercosur zusammengeschlossen haben. Der Exportkorridor für Waren made in Mercosur soll 1998 fertig sein und Jujuy durchqueren. Wird Argentiniens nördlichste Provinz der neue Verkehrsknotenpunkt Südamerikas? Während die Mehrheit der Bevölkerung dem versprochenen Wirtschaftsaufschwung entgegenfiebert, erwägt Alejandro Lossohe ernsthaft, seine Koffer zu packen. Der Aussteiger aus Buenos Aires hat andere Prioritäten: „Lieber Gutscheine als den Lärm donnernder Lastwagen.“

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