Keiner wollte den „Schlägertypen im Armani-Anzug“

■ Was die beiden Abtrünnigen zur Rückkehr bewog, bleibt im dunkeln. Als sicher gilt, daß sie im Nachbarland Jordanien politisch total isoliert und verzweifelt waren

„Die Geschichte wird ihn steinigen“ und „Die Feinde werden alles aus ihm herausholen, um ihn dann auf die Straße zu werfen“. So lauteten die offiziellen Kommentare aus Bagdad, als Hussein Kamil Hassan al-Madschid sich vor sechs Monaten heimlich auf den Weg ins Nachbarland Jordanien gemacht hatte. Die Geschichte hat den Kommentatoren recht gegeben. Letzten Dienstag hatte Iraks bisher prominentester Überläufer kapituliert und war zusammen mit seinem Bruder Saddam Kamil Hassan überraschenderweise in die Höhle des Löwen, die irakische Hauptstadt, zurückgekehrt.

Als erstes wurden die beiden von ihren Frauen geschieden. Sie wollten nicht länger mit „Verrätern verheiratet sein“. Die Scheidung interpretierten einige irakische Oppositionelle bereits als den ersten Nagel im Sarg der beiden Überläufer. Nur 24 Stunden später sollten sie schneller als erwartet recht behalten: Eine irakische Fernsehstation vermeldete die Ermordung der beiden zurückgekehrten Überläufer im Haus der Familie im Süden Bagdads. Zwar nicht von der Geschichte gesteinigt, aber, wie es offiziell heißt, von der eigenen Familie erschossen.

Zwei Cousins der Überläufer, die an deren Ermordung beteiligt waren und dabei selbst umkamen, wurden dann auch gestern als „Märtyrer und Helden“ feierlich begraben. Sie seien „im heiligen Krieg gefallen“.

Was die Überläufer zur Rückkehr bewog, bleibt unterdessen im dunkeln. Am Dienstag hatte der irakische Revolutionsrat eine Erklärung abgegeben, in der er die Rückkehr Hussein Kamils akzeptierte und bestätigte, daß die Überläufer als „ganz normale Bürger“ behandelt würden. Von einem Pardon war in der Mitteilung allerdings keine Rede.

Laut diplomatischen Quellen in der jordanischen Hauptstadt Amman soll Kamils Frau, die Tochter Saddam Husseins, wenige Stunden vor der Rückkehr versucht haben, ihren Vater anzurufen. Anstelle Saddams soll sie dann dessen Sohn Udai am anderen Ende der Leitung gehabt haben. Udai habe ihr und ihrer Familie dann eine sichere Rückkehr garantiert. Der Anruf soll für Hussein Kamils Rückkehr den endgültigen Ausschlag gegeben haben.

Kamil selbst fühlte sich in den letzten Monaten zunehmend „ausgequetscht und auf die Straße geworfen“. In seinen Sternstunden kurz nach seiner Ankunft in Amman hatte er zum Sturz des irakischen Regimes aufgerufen. US- Offizielle sollen sich mit ihm getroffen haben, um genauere Informationen über das irakische Waffenprogramm zu erhalten, für das Kamil maßgeblich verantwortlich gewesen war, bevor er Bagdad den Rücken kehrte.

Zwei Wochen nach seiner Ankunft in Amman traf sich Rolf Ekeus, der UN-Beauftragte zur Vernichtung der irakischen Waffensysteme, mit Kamil, um seine Informationen zu überprüfen. Zuvor hatte das irakische Regime den Vereinten Nationen Hunderttausende Seiten über ihr Waffenprogramm übergeben, die zuvor zurückgehalten worden waren. Bagdad wollte Kamil zuvorkommen.

Von diesem Zeitpunkt an ging es mit Kamil abwärts. Die irakische Opposition im Exil wollte mit der ehemaligen Regimestütze Kamil nichts zu tun haben. Es klebe Blut an seinen Fingern, lautete der allgemeine Tenor über den Überläufer. Auch die Gesandten, die Kamil letzten November in die Golfstaaten schickte, kamen mit leeren Händen zurück. Dort wollte man den Schwiegersohn nicht als Alternative zu Saddam Hussein akzeptieren. US-Diplomaten bezeichneten Kamil unterdessen inoffiziell abschätzig als „Schlägertypen im Armani-Anzug“.

„Eine Verschwörung, von Anfang an...“

Ende letzten Jahres überwarf sich Kamil dann auch noch mit seinem Gastgeber, dem jordanischen König Hussein, über dessen Vorschlag, im Irak föderative politische Strukturen zu schaffen. Der Überläufer geriet zunehmend in die Isolierung. Die USA und die Vereinten Nationen hatten bekommen, was sie wollten: Die irakische Opposition drehte Kamil den Rücken zu, und Jordanien wurde immer ungeduldiger. Alle Karten erfolglos ausgespielt, soll Hussein Kamil am Ende abgeschnitten in einem der Gästehäuser des jordanischen Königs vollkommen verzweifelt gewesen sein.

Noch Stunden vor seiner Rückkehr, so berichteten diplomatische Quellen in Amman, soll Kamil mehrere Wutanfälle gehabt haben. Eine jordanische Delegation, die ihn noch am Tag seiner Abreise nach Bagdad besucht hatte, um ihm klarzumachen, daß er in Jordanien zwar willkommen, es ihm aber nicht erlaubt sei, die jordanische Regierung zu kritisieren, beschrieb ihn als einen Menschen, der sich mit Selbstmordabsichten in die Ecke gedrängt fühlte. Nach der Kritik der Delegation kam Kamil in Rage und schlug sich ein Kissen auf die Brust und den Bauch und schrie laut: „Ich bin ein Mann, ich bin ein Mann, wie könnt ihr an diesem Tag des Ramadan-Festes zu mir kommen. Das ist eine Verschwörung, das war von Anfang an eine Verschwörung...“ Karim El-Gawhary, Kairo