■ Daumenkino: Die Grasharfe
Truman Capote war ein Biest. Zickig, stets betrunken und voller Größenwahn, durchlebte der Schriftsteller und Warhol-Freund die New Yorker Sixties und starb 1984 mit 59 Jahren, zufrieden vermutlich. Im Vergleich zu ihrem Schöpfer nehmen sich die Südstaaten-Figuren seines Romans „Die Grasharfe“ erstaunlich schlicht aus. Das Alabama der dreißiger Jahre ist mit ältlichen Tanten, wuchtigen schwarzen Hausmamsells und pensionierten Richtern bevölkert, ein paar Jugendliche versuchen sich in kleineren Zärtlichkeiten, und auf all das schaut die Sonne hernieder, während der Herbstwind in den Gräsern brummelt. Eine Idylle, wo selbst das Böse, das als pomadiger Handelsreisender daherkommt, noch Jack Lemmon heißt. Und der Richter eben Walter Matthau.
Die beiden haben nur einen sehr kurzen gemeinsamen Auftritt, bei dem sie sich den Screwball zuspielen können (es geht um einen unglaublich langsamen Chemikerwitz). Der Rest neigt eher ins Melodramatische. Schon in den ersten Minuten sterben Mütter, brechen Väter vor Särgen weinend zusammen, und Waisenkinder werden verschickt. Die Grasharfe ist Erziehung zum Gefühl: Schnell hängt der Knabe Collin Fenwick (vom Terminator-2-Söhnchen Edward Furlong gespielt) der sanftmütigen, feenleicht in Wallewalle-Kleidern dahinfliegenden Tante Dolly (Piper Laurie) am Rockzipfel. Sissy Spacek als hoch zugeknöpften und gestrengen kapitalistischen Drachen aber verschmäht er.
Die eine pflückt Kräuter und kennt die Zaubersprüche der Zigeuner, die andere zählt nur immer ihr Geld. Als sie schließlich auch die Kräutertees ihrer Schwester Dolly vermarkten will, flüchtet die halb Entrückte mit dem Jungen in ein Baumhaus und flicht sich dort Blumen ins Haar. Zunächst geht zwar ein empörtes Raunen durch die Gemeinde, aber am Ende verstehen doch alle Tante Dollys Sorge um die Geheimnisse der Natur, Matthau herzt sie sogar ein bißchen, und selbst die Spacek wird weich unter der Nickelbrille. Dann müssen wieder liebe Menschen sterben, und Tränen pflastern ihren Weg.
Doch bevor es nur mehr trieft und schnieft, findet Matthaus regieführender Sohn Charles immer wieder einen Dreh, um jede Sentimentalität in ein Windspiel aus Melancholie aufzulösen – ganz alte Schule à la Vincente Minnelli. Vermutlich liegt es auch an der Souveränität, mit der sein Star-Personal agiert, als wäre Film eine ganz und gar private Angelegenheit. „Irgendwie war es, als säße ich zu Hause im Wohnzimmer bei meiner Familie, von den Kameras und Scheinwerfern mal abgesehen“, so Charles Matthau über die Produktion. Das sind nicht die schlechtesten Bedingungen für einen Film, der mehr mit Stimmungen als Effekten spielt. hf
„Die Grasharfe“, Regie: Charles Matthau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen