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Gestalten und verwischen

Sehen rund aus, aber Vorsicht! „Klotz“-Bücher zur Fotografie und Kunst im 20. Jahrhundert  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Fette Bücher von kleinem Format: „Klötze“ nennt der Benedikt Taschen Verlag (Köln, Lisboa, London, New York, Osaka, Paris als Erscheinungsorte) treffend seine Reihe, in der jetzt „Photographie des 20. Jahrhunderts“ und „Kunst des 20. Jahrhunderts“ erschienen sind. Beide Bücher haben den Zusatztitel: „Museum Ludwig Köln“. Die Publikationen sind aber nicht, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, Bestandskataloge. Es sind populäre Zuschnitte in alphabetischer Sortierung, wobei der Kunstband belegt, daß der Sammler Peter Ludwig und seine Berater aus der internationalen Kunst – vor allem nach 1945 – eine gewaltige Scheibe herausgeschnitten und zu einer Sammlung mit wenig Lücken und erheblichem Gewicht zusammengefügt haben: Kabakov, Anselm Kiefer, Yves Klein, de Kooning, nur als einige der Einträge unter K, aber natürlich auch Paul Klee und Ernst Ludwig Kirchner. You name it, they have it.

Für den Fotografieband, mit 760 Seiten genauso stark, kann man das nicht behaupten; Peter Ludwig interessiert sich nicht für Fotografie. Deshalb ist der Titel: „...des 20. Jahrhunderts“ entweder eine Übertreibung, oder man sollte den Querschnitt aller anderen bedeutenden Fotosammlungen unter demselben Titel publizieren. Die Sammlung hat wichtige Arbeiten von Richard Avedon, Erich Salomon und Wols, aber Totalausfälle unter Diane Arbus, Michael Schmidt und Cindy Sherman. Insofern ist der Fotografie-Klotz auf keinen Fall ein taugliches Lexikon.

Von 9.300 Fotografien des Museumsbestands zeigt der Bildband 860. Dabei tauchen wichtige Ikonen der Fotogeschichte auf, wie der aus dem Bild rasende Rennwagen von Lartigue (1912) oder der wie eine Königskrone in den Stillstand geblitzte „Milchspritzer“ Harold Edgertons von 1936. Es gibt auch wunderbare Überraschungen, wie das Bild eines reichlich verträumt wirkenden Peter Handke, mit fettigen langen Haaren, in einer grotesk möblierten Wohnung – eine Meisterinleistung von Barbara Klemm (1973).

Je extensiver man den Foto- Klotz studiert, desto inkonsistenter wirkt das Ensemble. Auch wenn die alphabetische Abfolge gewisse Zwänge schafft, fragt man sich trotzdem, ob eine solche Doppelseite Sinn macht: links ein schwarzweißes Reportagebild, das eine vaterlose kambodschanische Flüchtlingsfamilie zeigt, die versucht, sich aus einem Strom zu retten (1960); rechts das farbige Bild eines blonden Mädchens auf der Treppe zu einem englischen Adelsgut – eine Illustrationsfotografie zu einer Serie von 1973, die „Alice“ heißt. Hinter dem einen Bild steht ein Tokioter, der für seine Bildberichterstattung im Vietnamkrieg sein Leben lassen mußte, auf der anderen Seite ebenfalls ein Tokioter, der „als Photograph junger Mädchen und Frauen“ (Buchtext) internationalen Kitsch herstellt. Sie werden gegenübergestellt, weil ihre Namen beide mit „Sawa...“ anfangen.

Die Inkonsistenz einer Sammlung hat immer Gründe: Entweder fehlt es an Geld oder an Geschmack und manchmal an beidem. Große Stücke des Kölner Bestands stammen aus der Sammlung Renate und L. Fritz Gruber, Ankauf oder Stiftung. Gruber war von 1950 bis 1980 der entscheidende Mann der Photokina in Köln, einer Messe, die später unter dem Titel „Kultur, Technik und Kommerz“ dokumentiert worden ist. Die Grubers haben zweifellos tragende Stücke in die Sammlung gebracht, aber eben auch eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf Kultur oder Kommerz mit eingeschleppt: die albernen Mapplethorpe-Portraits von Herlinde Koelbl zum Beispiel.

Die Sammlung hat einen starken Hang zum Epigonalen, zur drittklassigen Modefotografie und zu Gefälligkeitsportraits, zu rasch verblaßten Sachaufnahmen und halbseidenem Inszenierungsgedöns, wie die Selbstdarstellung eines immer lauten, aber nie präzisen Fotolehrers namens Pan Walther als „Der deutsche Michel“ (1983). Vor allem ist der Foto- Klotz eine auf die Strecke entnervende Arsch- und Tittenschau. Wenn man Lucien Clergues glattem Fetischismus und Jan Saudeks morbider Bilderbucherotik mehrere Seiten gibt, ließe es sich doch vielleicht vermeiden, daß auch noch Man Ray und Franco Fontana mit milchigen Frauenpos Flagge zeigen dürfen und ausgerechnet der schwule Platt Lynes das Brustkontingent um drei Beispiele erhöht. Sehr starke Gegentrends kommen von Gundula Schulze (ihr Nacktportrait der alten und faltigen „Tamerlan, Berlin, 1984“) und von Renate Zeun, die einen weiblichen Torso nach der Amputation der rechten Brust zeigt: gegen landläufige Annahmen eines der schönsten Bilder der Sammlung – übrigens zeigt das Bild die Fotografin selbst. Beider Biographien – Schulze und Zeun – sind durch die DDR geprägt.

Die Texte zu den einzelnen FotografInnen, obwohl von acht AutorInnen beigesteuert, verfahren fast sämtlich nach dem chronologischen Raster der simpelsten Art. So lautet die erste Zeile unter dem Selbst-Torso mit nur-noch-einer Brust: „Renate Zeun erlernte nach dem Abitur den Beruf der Kosmetikerin...“; oder, auch nicht sehr raffiniert: „Nach seiner Schulzeit begann Lucien Clergue in seiner Freizeit zu photographieren.“ Im anderen Ludwig-Band, dem Kunst-Klotz, sind viele Texte ähnlich verfaßt; aber es gibt auch Modelle der Alternative: „Eine Arbeit Roy Lichtensteins hat man sich als Bild eines Bildes vorzustellen“ (erster Satz zu Lichtenstein). Im Fotografie-Klotz ist leider zu den Bildern Eugene Atgets der Text zu Ansel Adams noch einmal abgedruckt – typisch für die eiligen Publikationen des Taschen Verlags, die inzwischen besser aussehen als sie sind.

Während im Kunst-Klotz die Geschichte des Museums und auch dessen Vorgeschichte Platz hat, gibt es in den Vorworten des Foto- Klotzes keine Nazizeit, keine Emigration und keine Konzentrationslager, obwohl genau diese in den letzten zehn Jahren zu den wichtigen Themen der Autorenfotografen gehören. Davon allerdings keine Spur in der Sammlung, die Reinhold Mißelbeck seit 1980 leitet. Sein Text bestätigt seinen engen Horizont, seine lokale Verstrickung, seine eifrig gepflegte Dankbarkeit gegenüber den Stiftern, die das Profil der Sammlung gestalten und verwischen.

Die Bücher sind beide systematisch, aber relativ auskunftsarm. Sie könnten gern zwanzig Bildseiten weniger haben – wenn der Gesamtbestand der jeweiligen Sammlung im Anhang (ohne Illustration) vollständig verzeichnet wäre. Es wäre doch interessant zu wissen, ob das Museum Ludwig nur den einen Mattheuer besitzt – einer der vier nach 1989 so umstrittenen „Staatskünstler“ der DDR – oder vielleicht zwanzig; und ob die fotografische Sammlung von W. Eugene Smith nur die einzelnen Prints besitzt, die im „Klotz“ vorkommen, oder eventuell einen fotografischen Essay, dessen Erfinder Smith ist.

„Photographie des 20. Jahrhunderts, Museum Ludwig Köln“. „Kunst des 20. Jahrhunderts, Museum Ludwig Köln“. Taschen Verlag 1996. Jeweils 760 Seiten, Schwarzweiß und Farbe, 39.95 DM

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