: Der lange Weg zur Gaumenfreuden
■ Mit 500 Spitzenprodukten aus 60 Ländern versorgt der "Rungis Express" gehobene Gastronomen in halb Europa
„St. Jacobsmuscheln und Dorade royale auf Bärlauch-Spitzkohl und Tomatencoulis“. „Salat aus Linsenkeimlingen mit sautierten Pilzen und Wachtelbrüstchen“. Ein kleiner Auszug aus der Tageskarte des Restaurants „L'Orchidée“, das seinen Michelin-Stern schon seit Jahren mit Erfolg verteidigt. Bloß: Auch der beste Koch braucht Produkte, die er verarbeiten und veredeln kann, ohne sich zu schämen. Woher kommen eigentlich – Sommer wie Winter – Lachs und Lotte, Hummer und Perlhühner, Rohmilchkäse und Taubenbrüstchen? In der „Orchidée“, am Bremer Bahnhofspatz beispielsweise, werden sie vom „Rungis Express“ angeliefert – einem Unternehmen, das seit mehr als 20 Jahren dafür sorgt, daß Top-Gastronomen und Feinkostgeschäfte a point beliefert werden. 6.000 Betriebe und Läden zählt der „Rungis Express“ mit Hauptsitz in Meckenheim mittlerweile zu seinen Kunden.
Angefangen hatte alles natürlich ganz bescheiden, wobei gar kein kaufmännisches Interesse im Vordergrund stand, als sich Karl- Heinz Wolf 1975 zum Großmarkt Rungis bei Paris aufmachte. Wolf fand für sein Restaurant „Chez Loup“ in seiner Bonner Umgebung einfach keine anständigen Produkte – und die sollte er auch noch teuer bezahlen. Ärger und Enttäuschung trieben ihn mit seinem Lieferwagen nach Paris. In Rungis fand er, was er brauchte – und zuhause auch Kollegen, die beliefert werden wollten. Mittlerweile hat „Rungis Express“ sogar eine Dependance im tschechischen Karlsbad.
Zweimal wöchentlich bewegt der Express 400 bis 450 Tonnen Frischware durch halb Europa. Allerdings kommen die Produkte – Fleisch, Fisch, Gewürze, Kaffee, Pasteten und Terrinen – nur noch zum geringsten Teil vom Pariser Großmarkt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht mehr, und auch die Auswahl nicht. Dafür sind 15 Einkäufer – sämtlich ehemalige Köche – weltweit unterwegs, um von 500 Lieferanten wöchentlich Waren im Wert von vier Millionen Mark zu ordern. „Food-Broker“ in der Zentrale kümmern sich darum, Angebot und Nachfrage in den Griff zu bekommen.
Kein leichtes Unterfangen, zumal „Rungis Express“ nicht mit Eisen oder Dachziegeln handelt, sondern mit leicht verderblicher Ware. Deshalb bleibt keine Ware länger als zwölf Stunden in den Kühlräumen des Unternehmens. Wenn schon nicht aus Rungis, kommen doch 50 Prozent der Produkte aus Frankreich; 30 Tonnen Fisch, 50 Tonnen Fleisch, fünf Tonnen Hummer und Langusten und 25 Tonnen Gemüse treffen per Flugzeug aus aller Welt ein. Die betriebsinterne Verzollung hilft, lange Wartezeiten für den Kunden zu vermeiden. Von dem logistischen Aufwand soll der Gast, der über der „Terrine aus Seezunge, Hummer und Bries“ oder der „Consommé vom Kalbsschwanz mit Kräuterpolenta“ schwelgt, natürlich nichts mitkriegen – und erst recht nichts von geschmacklichen Beeinträchtigungen.
Während der Geschmach vor Ort natürlich von der Kunstfertigkeit der Küchenbrigade abhängt, sorgen im Hintergrund die 600 „Rungis Express“-Mitarbeiter unter Hotelkaufmann und Geschäftsführer George W. Kastner dafür, daß die Ware für 120 LKW-Touren kommissioniert und dann – neben der bundesweiten Verteilung – nach Östereich, Italien, die Schweiz, die Niederlande und Tschechien gefahren wird. „Theoretisch ist alles möglich“, sagt Arnd Feye, Küchenchef in der Bremer „L'Orchidée“, wenn es um Bestellungen geht. Alles und zu jeder Jahreszeit. Feye bezieht 25 Prozent der Produkte vom „Rungis Express“, deren aktuelle Angebotslisten immer wieder neu interpretiert werden wollen: Ob die Avocados aus Israel wohl gut sind? Oder der Lachs aus Kanada? Das Gros der Produkte, die Feye zur anspruchsvollen Gestaltung seiner Karte braucht, stammt von der Bremer Firma Hinsch, die seit 1991 Edel-Gastronomie (zu 40 Prozent) wie Kantinen (zu 60 Prozent) beliefert. Statt mit 600, wie die Meckenheimer Konkurrenz, arbeitet er nur mit neun Mitarbeitern. Ein Vertrauensverhältnis zwischen Gastronom und Lieferant braucht es da schon.
Wenn um sechs Uhr in der Frühe die Ware kommt, kann Arnd Feye nicht danebenstehen und sich gleich den Rehrücken vorführen lassen. Denn in der regel steht er bis ein Uhr nachts am Herd. Auch auf dem Bremer Großmarkt treibt sich Feye nur noch selten herum. Die Zeit fehlt – und das nicht nur ihm. Erlauben könnten sich den Einkaufsbummel nur noch „Inhaber von Restaurants, die für ihre Küchenchefs einkaufen“. Andererseits könne eine kleine Lieferfirma wie A. Hinsch mit Sitz in Habenhausen nur „sehr schlecht“ von der gehobenen Gastronomie allein leben, räumt Ulrich Garske ein. Deshalb sind die 1.400 Angebote auf der Produktpalette, darunter 400 Sorten Wurst und auch Modisches wie Mini-Gemüse, teilweise auf die Bedürfnisse der Kantinen-Küche zugeschnitten: Convenience-Produkte, Fertigwaren. Doch im Convenience-Bereich ist auch der „Rungis Express“ aktiv: mit küchenfertigen Produkten,die dennoch Qualität haben. Falls die trotzdem mal zu wünschen übrig läßt, gibt's keine langen Diskussionen. Bei Beanstandungen geht die Ware geht zurück, oder es gibt Rabatt.
„Voraussetzung“, um den Michelin-Stern zu halten, der jedes Jahr für die Leistungen des vergangenen Jahres vergeben wird, sei der „Rungis Express“ freilich nicht, sagt Küchenchef Arnd Feye. Aber wohl eine Möglichkeit, zuverlässig einen hohen Standard zu halten, den eine „Sélection Spéciale für Rungis Express“ sogar noch steigern soll. Denn unter diesem Label werden all jene Produkte vertrieben, deren Erzeuger speziell für die Meckenheimer produzieren. Das heißt, daß die Firma Einfluß nehmen kann auf Anbauform oder Aufzucht. Denn die Ressourcen für jene Warenqualität, wie sie sich jene zwei Handvoll Gastronomen in Bremen vorstellen, die „Rungis Express“-Kunden sind, sind begrenzt. Neue Kräutergärten wollen erschlossen, handmassierte Rinderherden exploriert werden. Auf daß nicht irgendwann der Lachs wie Lotte schmeckt und das Milchlamm wie Hammel. A. Musik
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