Beweisführung in der Werbung Von Carola Rönneburg

Die braunstichige Fotografie einer Mädchenklasse, darüber ein heutzutage ähnlich antiquiert wirkender Regenbogen – so sah die Spiegel-Ausgabe Nr. 19/96 aus. Die dazugestellte Frage auf dem Titelblatt lautete „Zurück zur Mädchenschule: Mehr Chancen für Frauen?“.

Der Spiegel hat herausgefunden, daß die Koedukation gescheitert ist. Der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen, so das Nachrichtenmagazin, schade vor allem den Mädchen. Schüler unterdrückten mit Macho-Gehabe ihre Mitschülerinnen und verleideten ihnen so „den Spaß an Zukunftsfächern wie Informatik und Physik“. In der Folge widmete sich nur ein geringer Prozentsatz von Schülerinnen diesen Gebieten in ihrem späteren Berufsleben.

Ganz anders dagegen verhielten sich Mädchen, wenn sie von Jungen getrennt und mit mädchengerechtem Material unterrichtet würden. Zum Beweis führt die Titelgeschichte Beispiele von solchen Schulversuchen an, die regelmäßig die gleichen Ergebnisse brächten: rege Beteiligung der Mädchen am Unterricht und überdurchschnittlich gute Noten in den angeblich traditionellen Männerdomänen Chemie, Physik und Mathematik. Allerdings ist nie die Rede davon, wie groß die Mädchengruppe ist, die da plötzlich derartig durchschlagende Erfolge erzielt. Und die Frage, ob Lehrer und Lehrerinnen, die sich an einem solchen Schulversuch – sicherlich freiwillig – beteiligen, nicht auch unter Erfolgsdruck stehen und von daher ihren Schülerinnen mehr Aufmerksamkeit und Geduld entgegenbringen, als sie es sonst mit ihren normalen Klassen tun, spielt ebenfalls keine Rolle.

Das Ergebnis dieser Schulversuche kann nicht höher bewertet werden als die Beweisführung in der Werbung, wenn etwa blaue Flüssigkeiten auf zwei Damenbinden treffen. Der Beweis ist allenfalls blau. Mehr nicht.

Wie dürftig das „Scheitern der Koedukation“ belegt ist, schwante vermutlich auch dem Spiegel, weshalb er Heide Simonis um einen Gastbeitrag gebeten hatte. Die SPD-Politikerin, Absolventin eines Mädchengymnasiums, untermauert die These vom Erfolg durch Geschlechtertrennung. Fast alle Mitschülerinnen ihrer Abitursklasse haben studiert, schreibt sie. Heide Simonis hatte elf Mitschülerinnen.

Seit noch nicht einmal hundert Jahren in der Geschichte des vielbeschworenen jahrtausendealten Patriarchats dürfen Frauen wählen und alle Studiengänge belegen. Und ungefähr 35 Jahre ist es jetzt her, daß Jungen und Mädchen frühzeitig aufeinander losgelassen wurden, um gemeinsam zu lernen – und schon soll sich das Rad wieder zurückdrehen.

Mit etwas Glück kommt es nicht dazu. Anlaß zur Hoffnung geben die Briefe von Schülerinnen in der neuen Ausgabe des Spiegels. „Meine Freundinnen und ich“, schreibt eine der jungen Leserinnen, „halten es für absurd, naturwissenschaftliche Bücher für Mädchen extra umschreiben zu wollen.“ Es sei „absolut nicht einsehbar“, warum sich Mädchen „beispielsweise weniger für Hubkräne interessieren sollten als Jungen“.

Falls diese junge Dame kurz vor dem Abitur stehen sollte und vorhat, in die Poltik zu gehen, würde ich mich sehr freuen, wenn sie möglichst bald Heide Simonis ablösen könnte.