: Neulich in der Hormonfalle Von Carola Rönneburg
Er sieht verdammt gut aus, wie er da so lässig auf seinem Hocker balanciert. Ohne den Blick von mir zu wenden, nimmt er einen tiefen Schluck aus der Flasche, läßt sie langsam sinken und lächelt mir dann zu. Wie kann ich da länger widerstehen? „Hallo, Kleiner“, raune ich und erwarte keine Antwort, weil mein Flirt bestimmt noch nicht sprechen kann. So ist es: Knapp einjährig, schwenkt er nur freundlich grunzend seine Milchbuddel.
In solchen Momenten wird mir manchmal etwas unwohl. Was mache ich hier eigentlich? Wieso möchte ich von diesem kleinen Hosenscheißer beachtet werden? Weil das ganz natürlich ist, erkläre ich mir mein blödsinniges Grinsen, und weil man gefälligst nett zu den Moppels sein soll – jedenfalls, bis sie eingeschult werden. Aber ist das wirklich alles? Stehe ich nicht vielmehr am Rande der Hormonfalle, die Mutter Natur gegraben und, wie wir aus unzähligen Abenteuerbüchern wissen, mit großen Palmenblättern getarnt hat? Ein Schritt zuviel, und schon gibt der Boden nach. Und im Laufe der Jahre, das weiß die gewiefte Fallenstellerin, darf die Grubencamouflage immer nachlässiger ausfallen. So manches Opfer tappt absichtlich hinein.
„Mr. Kleinkind“, sage ich also, „ich weiß, daß Sie eine Gehirnwäsche mit mir planen. Sie machen mir ja nur schöne Augen, damit ich Ihnen Gesellschaft verschaffe; noch dazu eine, die entsprechend jünger sein wird als Sie und die Sie dann mit Sand bewerfen wollen.“ Mr. Kleinkind quiekt zustimmend. „Wahrscheinlich würden Sie auch gern zur Schaufel greifen und Ihrem Spielkameraden heftig auf den Kopf hauen?“ Mein Gesprächspartner wiegt sich fröhlich hin und her. „Und Ihre ausnehmend hübschen Füße mit diesen reizenden kleinen Zehen“, fahre ich fort, „halten Sie mir doch auch nur entgegen, damit ich schwach werde und beginne, von ausnehmend hübschen Füßen in daumengroßen Stoppnoppensocken zu träumen.“ Ich tippe ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. „Das ist doch klar wie Kindertee!“ Mr. Kleinkind umklammert seufzend meinen Finger. In den Kulleraugen dieses abgebrühten Burschen erkenne ich kein Schuldbewußtsein.
Um festzustellen, ob er noch einen Funken Anstand in seinem Strampelanzug hat, komme ich ihm mit Fakten: „Kann man Sie überhaupt eine Minute unbeobachtet lassen? Verzichten Sie darauf, solange die Luft anzuhalten, bis alle um Sie herum wahnsinnig werden? Geben Sie zu: Sie denken doch jetzt schon an Ihr erstes selbstfrisiertes Mofa!“
Ich glaube, ich habe ihn. Er zieht einen Flunsch und legt die Stirn in Falten. Er atmet tief ein und wird plötzlich sehr, sehr rot im Gesicht... „Bitte, nehmen Sie meinen Haustürschlüssel“, versuche ich sein Gebrüll zu übertönen, „Sie können gern damit herumrasseln! Ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen!“
Himmel, wer konnte auch ahnen, daß Mr. Kleinkind gleich so empfindlich reagiert? Außerdem nehme ich jetzt einen strengen Geruch wahr. „Verzeihen Sie bitte,“ sage ich und erhebe mich von meinem Platz, „aber Sie stinken ganz schön.“ Und überhaupt, fällt mir ein, bin ich nicht schon spät dran? Auf dem Weg zur Tür sehe ich auf meine wasser- und stoßfeste biologische Uhr. Ach was – noch jede Menge Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen