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„Meine Mutter war vorbelastet“

Sie sind jung und lieben Frauen: Sonja (22), Antje (19), Nicole (21) und Andrea (20) aus Berlin plaudern über ihr leichtes Coming-out, die harte Lesbenszene, anstrengende Politik, ganz annehmbare Männer und Blümchensex  ■ Von Silke Stuck

taz: Wann habt ihr gemerkt, daß ihr Frauen liebt?

Antje: Mit 14 habe ich es gemerkt, weil ich mich einfach in eine Frau verliebt habe. Ich hab' gleich mit der Praxis angefangen und mir erst dann Gedanken gemacht.

Sonja: Also ich bin mit einem lesbischen Zertifikat auf die Welt gekommen. Ich habe es immer geahnt und wußte es schnell, da mich Jungs nicht interessieren. Die waren für mich lächerlich, und ich konnte mit ihnen irgendwie nichts anfangen. Ich habe dann mit 14 angefangen, mich für das Thema zu interessieren. Die Vorstellung, lesbisch zu sein, fand ich gar nicht so schlimm, ich bin relativ tolerant aufgewachsen. Mit 15 habe ich dann meine erste Freundin kennengelernt, und so fing das an. Sie war wesentlich älter, 32. Ich bin dabei geblieben, weil's mir gefällt.

Nicole: Ich hab' mit der Theorie angefangen. Als ich fast noch Kind war, so mit 13, habe ich mir die Frage gestellt, ob ich nun lesbisch bin beziehungsweise was mit Jungs oder Mädchen ist. Mit 18 machte es Klick, das war ein Aha-Erlebnis – ganz komisch.

Was heißt Theorie?

Sonja: Man fängt halt an, lesbische Literatur zu lesen, ein bißchen feministisch zu werden.

Antje: Ich meine das ein bißchen anders. Man merkt, ich bin irgendwie anders, und denkt über die Problematik nach, bevor man überhaupt eine Beziehung hat. Das ist Theorie. Ich bin einfach in eine Beziehung reingestolpert und hab' dann erst gemerkt: Oh, was is'n nun? Und dann habe ich angefangen zu überlegen und nicht schon vorher.

Sonja: Ich hatte ein ziemlich einfaches Coming-out. Ich hatte nicht so dolle Selbstzweifel und hab' mich auch nicht gefragt, ob ich krank bin. Ich hatte mich schon vorher über Lesbenthemen informiert, mit rotem Kopf in Bibliotheken gesessen und Rita Mae Brown gelesen. Der Rest kam ziemlich schnell, das hat mich fast überrumpelt. In die Szene gehen, die ganzen Frauen sehen. Da habe ich gedacht: Oh Gott, so viele!

Nicole: Ich fand's befreiend zu merken, ich bin lesbisch. Ich glaube, die meisten Frauen empfinden es erleichternd. Ich habe dann überlegt, wie ich an Frauen rankomme, und bin zum Fußball gegangen. So bin ich in die Szene reingekommen.

Was wissen eure Familien von eurem Liebesleben?

Sonja: Mein Daddy hatte am Anfang ganz schöne Probleme damit. Er hat gefragt, ob ich ein Junge sein möchte. Meine Mutter war selber ein bißchen vorbelastet und beglückwünschte mich. Sie hat mir gestanden, daß sie bisexuell ist. Bei mir war das also noch relativ locker, da habe ich schon schlimmere Sachen gehört.

Antje: Bei meinem Vater war's okay, dem war's egal, ob ich nun eine Frau oder einen Mann liebe. Meine Mutter hat das typische „Was habe ich falsch gemacht“ losgelassen. Ich hatte zufällig Glück, weil sich meine Mutter dann mit einer alten Freundin getroffen hat, deren Sohn schwul ist. Ich find's schön, daß ich von meinen Schwestern gefragt werde: „Na, wie geht's deiner Freundin“, daß es einfach ein Thema ist, wie mein Liebesleben aussieht.

Sonja: Ich durfte in der ersten Zeit keine Freundin mit nach Hause bringen, ich hätte ja schlimme Sachen mit ihr anstellen können. Ich bin mit 16 dann ausgezogen.

Und in der Schule? Habt ihr da Probleme gehabt, oder jetzt im Berufsleben?

Nicole: In der Schule habe ich es nicht allen gesagt. Wenn ich es erzählt habe, war's okay. Ich denke, daß man dadurch manchmal interessanter wurde für die anderen. Eine Lesbe ist halt nicht so alltäglich.

Sonja: Ich hatte in der Kleinstadt, aus der ich komme, einigen Streß: Ich habe im Kaufhof gelernt. In der Berufsschule habe ich dann einen Vortrag über Homosexualität gehalten und mich vor der Klasse geoutet. Meine Chefin hat darauf nahezu homophob reagiert. Seitdem mußte ich nur noch blöde Arbeiten machen, obwohl ich schon im dritten Lehrjahr war.

Antje: Was ich bei uns in der Schule interessant fand, war: Die Leute haben es einfach nicht gemerkt, obwohl ich es ziemlich offen gelebt habe. Das fand ich eigenartig, selbst wenn man sich auf dem Schulhof küßt, schnallen es die Leute nicht.

Sonja: Vielleicht wird das ein bißchen als Spielerei abgetan, und die Leute denken: Ach, das sind doch nur gute Freundinnen.

Nicole: Ich habe mich neulich auf meiner Arbeit geoutet. Meine beiden Kollegen fanden es okay. Der eine meinte, er würde ja auch 'ne Frau lieben.

Sonja: Im Berufsleben ist das immer so eine Sache mit dem Outing. Wenn ich mal wieder einen konventionellen Job habe, werde ich mir schon überlegen, wem ich das sage.

Nicole: Es ist besser, wenn du es sagst, weil du ja sonst irgendwann gar nichts mehr erzählen kannst.

Antje: Ich arbeite zur Zeit in einem Betrieb, da werde ich es garantiert nicht sagen. Also die Leute, mit denen ich eng zusammenarbeite, die wissen das schon, aber wüßte es der Chef, wäre ich meinen Job los. Da dürfen keine Lesben oder Schwulen arbeiten, das ist klar.

Sonja: Ich renn' ja nicht auf jeden zu und sage: „Hallo, ich bin lesbisch.“ Und ich frage andere Leute genausowenig, ob sie heterosexuell sind.

Ist Lesbischsein für euch auch eine politische Haltung?

Sonja: Ja. Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus ist die Praxis, sage ich immer. Jede Lesbe hat ein Stück Feminismus in sich, muß sie auch. Man wird mit viel mehr Diskriminierung konfrontiert. Eine Lesbe ist doppelt diskriminiert, als Frau und als Lesbe.

Nicole: Ich überlege oft, ob mir das Politische zu anstrengend ist oder nicht. Manchmal ist es mir zu nervig. Ich bin immer noch am Rätseln, ob es zum Beispiel sinnvoll ist, so doll hinter der korrekten Sprache herzusein. Das blockiert unheimlich viel und wird umständlich.

Antje: Mir rutscht immer wieder „man“ oder so was raus, ich bin da selber nicht konsequent. Ich engagiere mich lieber anderweitig, wie in einem Projekt, mit dem wir durch die Schulen gehen und schwul-lesbische Aufklärung machen.

Wie würdet ihr die Lesbenszene beschreiben?

Antje: Die Lesbenszene ist nicht gerade ein weiches Polster, sondern ganz schön hart.

Sonja: Es gibt ganz unterschiedliche Lesben, so wie es auch unterschiedliche Charaktere gibt. Es gibt Lesben die total dumm sind, es gibt die „Vokuhilas“ (Vorne-kurz- hinten-lang), die sind meistens sehr prollig, Ökos, Punks, und das splittert sich noch viel mehr auf.

Antje: Im Prinzip die gleichen Gruppen, die es sonst auch gibt. Manchmal ist die Szene anstrengend. Viele haben dieses obercoole Gehabe drauf. Damit habe ich Probleme.

Nicole: Vieles läuft über Diskussionen, so hab' ich es kennengelernt. Man kommt dann immer an den Urschleim seines Lebens. Manchmal fehlt da der nötige Fun.

Andrea: Die diskutieren nur immer alles aus.

Nicole: Und wenn du die dann das nächste Mal siehst, ist es, als ob nichts gewesen sei.

Ist das Kapitel Männer für euch abgeschlossen?

Antje: Für mich nicht.

Sonja: Für mich ist das Thema Männer schon gegessen. Man sollte zwar niemals nie sagen, aber ich kann's mir nicht vorstellen und will es eigentlich auch nicht.

Antje: Ich konnte es mir auch nicht vorstellen, aber ich bin zur Zeit in einen Mann verknallt – tolle Sache. Es fällt mir total schwer, das jetzt zu sagen.

Sonja: Das ist auch total schwierig. Bisexuelle Frauen werden bei den Lesben nicht besonders anerkannt und bei Männern auch nicht.

Antje: Ich würde mich aber trotzdem noch als lesbisch bezeichnen, auch wenn ich jetzt mit einem Mann eine Beziehung habe. Aber ich träume von Frauen und guck' mir nur Frauen an.

Nicole: Wenn du mit 'nem Mann zusammen bist, wirst du ja schon von der Frauenszene ausgegrenzt, weil du ihn nicht mitnehmen kannst.

Sonja: Und wie viele Lesben sagen: Nie mit 'ner Bi-Frau. Ich finde das intolerant. Und genauso viele sagen, daß jeder Mensch bisexuell veranlagt ist; das klingt so nach Freud, und den mag ich nicht.

Andrea: Aber irgendwann mußt du dir anhören, ja, der andere ist ein Mann, und er hat was, was du nicht hast. Das tut weh.

Mit welchen Vorurteilen gegenüber Lesben werdet ihr konfrontiert?

Sonja: Es heißt, daß alle Lesben sportlich sind und Fußball spielen.

Andrea: Und Tennis.

Sonja: Oder diese typischen Fragen: „Wer ist der Mann und wer ist die Frau bei euch?“ Ich sage immer, die mit den größeren Schuhen. Das schärfste Vorurteil ist aber immer noch, daß Lesben absolute Männerhasserinnen sind.

Antje: Dabei kann man hervorragend mit Männern über Frauen herziehen, gerade wenn es einem dreckig geht.

Sonja: Manche Typen stehen total darauf, unter allen Umständen eine Lesbe ins Bett zu kriegen.

Nicole: Und wenn sie dann abgewiesen werden, sagen sie, daß Lesben eh nur schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hätten.

Antje: Viele denken, Sex zwischen Frauen ist nur gefühlvoll, Gänseblümchensex eben. Aber daß es auch richtig leidenschaftlich und hart zur Sache gehen kann, will keiner wissen.

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