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Brachenbiotope sind gefährdet

Von Farnen bis zu Füchsen: Auf stillgelegten Bahnanlagen und Gewerbegebieten entstanden artenreiche Naturnischen. Durch den Bauboom in Berlin ist ihr Bestand nun bedroht  ■ Von Volker Wartmann

„In der Berliner Innenstadt gibt es Pflanzen- und Tierarten, die bundesweit vom Aussterben bedroht sind“, sagt Ulrike Kielhorn, Biologin und Mitarbeiterin der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e. V. (BLN). Viele dieser seltenen Arten konnten auf den berlinspezifischen Brachflächen einen geeigneten Lebensraum finden.

Denn im Gegensatz zu anderen Städten wurden in Berlin die kriegsbedingten Brachen und Trümmergrundstücke nicht alle wieder bebaut. Aufgrund der besonderen politischen Situation konnten in Westberlin in vier Jahrzehnten wertvolle Naturlandschaften entstehen. Insbesondere auf nicht mehr oder nur teilweise genutzten Bahnanlagen sowie Industrie- und Gewerbestandorten haben sich außergewöhnlich artenreiche Brachenbiotope entwickelt. „Vor der Maueröffnung gab es in Westberlin etwa 550 Hektar Brachflächen. In Ostberlin waren es 1992 sogar noch 1.382 Hektar, was 3,4 Prozent der gesamten Stadtfläche sind“, erläutert Kielhorn. Herausragende Standorte mit großer Artenvielfalt und zahlreichen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten sind das Schöneberger Südgelände zwischen den S- Bahnhöfen Priesterweg und Papestraße und die Reste des Gleisdreiecks.

Auf dem etwa zwei Kilometer langen und zwischen 100 und 300 Metern breiten Südgelände wachsen rund 400 verschiedene Farn- und Blütenpflanzen. Dazu haben 23 Brutvogelarten und zwölf Säugetierspezies in diesem Biotop ihr Zuhause gefunden – inmitten der Stadt ziehen beispielsweise regelmäßig Füchse ihre Jungen auf. Auch Mauswiesel und Feldspitzmäuse haben sich auf dem Südgelände niedergelassen.

Seit dem Mauerfall sind jedoch nahezu alle Brachflächen durch die zunehmende Nutzungsintensivierung gefährdet. „Der Bebauungsdruck auf die Stadtbrachen ist enorm groß“, so Kielhorn. Viele Flächen sind durch die Wiederinbetriebname von Bahnanlagen zerstört worden, beispielsweise die Bahndämme in Frohnau, Lichtenrade und Düppel. „Große Teile des Gleisdreiecks sind inzwischen vernichtet, der Anhalter Bahnhof ist durch das Tempodrom gefährdet. Auch die Brachen Potsdamer Platz und Lehrter Güterbahnhof sind schon nahezu vollständig zerstört“, sagt Kielhorn. Sie hält viele der Bebauungsmaßnahmen für überflüssig. „Die Bürgerinitiative Westtangente hatte ein Ringbahnkonzept erarbeitet, durch das viele städtische Brachen erhalten werden können.“

Für die Zerstörung der Brachen leistet die Bahn oftmals keinen entsprechenden Ausgleich. Dies ist rechtlich nur möglich, weil eine Gesetzeslücke geschickt ausgenutzt wird. „Die Bahn interpretiert die Vernichtung der Brachen auf Bahngelände als Wiederinbetriebnahme, obwohl dort oft schon seit Jahrzehnten keine Gleise mehr liegen“, kritisiert Kielhorn. Dabei müsse auch jeder kleine Gartenbesitzer, der auf seinem Grundstück einen nach der Baumschutzverordnung geschützten Baum fällen möchte, dafür Ausgleichspflanzungen vornehmen.

„Das Artensterben nimmt in dem Maße zu, wie wertvolle Lebensräume zerstört werden“, sagt Kielhorn. Waren früher nur die von Natur aus stark spezialisierten Arten betroffen, ist heute zunehmend ein bestandsgefährdender Rückgang solcher Arten zu verzeichnen, die noch vor wenigen Jahrzehnten weit verbreitet waren. Denn die komplizierten Lebensgemeinschaften und Nahrungsketten bewirken, daß durch den Verlust von einer einzigen Pflanzenart im Durchschnitt 10 bis 20 Tierarten die Lebensgrundlage entzogen wird. Deshalb sei „der beste Artenschutz ein vernünftiger Biotopschutz“, so Kielhorn. „Das bedeutet, daß seltene und wertvolle Biotope nicht bebaut werden dürfen.“

Dem Erhalt der noch vorhandenen Stadtbrachen räumt auch Bernd Machatzi eine große Wichtigkeit ein. „In den Stadtbrachen spiegelt sich zum einen die historische Entwicklung der Stadt wieder. Zum anderen sind die Brachen im Vergleich zu den gepflegten Parkanlagen eine andere Art von Erholungsfläche, die insbesondere Kindern eine einzigartige Erlebniswelt eröffnen können. Dort finden sich bestimmte Pflanzen- und Tierarten, die ansonsten in der Innenstadt keine Überlebensmöglichkeiten hätten“, sagt der Landschaftsplaner und Mitarbeiter des Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege. „Zudem spielen die Brachflächen für das Kleinklima in der Stadt eine wichtige Rolle.“

Die derzeit größten bestehenden Brachflächen in der Stadt sind der Güterbahnhof Wuhlheide, das Schöneberger Südgelände und der Flugplatz Johannisthal. Der älteste deutsche Verkehrsflughafen im Bezirk Treptow ist mit 80 Hektar Fläche die größte Brache in Berlin. Der ehemalige Flugplatz wurde zu DDR-Zeiten teilweise militärisch genutzt und war bis 1989 nicht der Öffentlichkeit zugänglich. Allein schon aufgrund seiner Größe ist er als eines der wertvollsten Brachenbiotope einzustufen. Im Gegensatz zu den Westberliner Flächen sind die Brachenbiotope im Ostteil weniger untersucht. Ihnen droht bereits die Vernichtung, ohne daß zuvor die Möglichkeit bestand, den Wert dieser Flächen detailliert nachzuweisen. So sind etwa auf dem Gelände des Flugplatzes Johannisthal für die Zukunft Forschungs- und Gewerbeansiedlungen sowie Wohnungsbauten geplant. „Etwa 25 Hektar des Geländes sollen nach neusten Planungen jedoch in ihrer jetzigen Form erhalten und geschützt werden. Das ist aus unserer Sicht noch akzeptabel“, so Machatzi. „In den letzten Jahren ist der Wert dieser Flächen bei vielen stärkerins Bewußtsein gerückt.“

Die nächsten Führungen auf dem Brachenbiotop Gleisdreieck finden statt am Dienstag, den 25. Juni, 15 Uhr, Treffpunkt an der Kasse des Museums für Verkehr und Technik, Trebbiner Straße 9. Thema: Pflanzen und Tiere auf dem Gleisdreieck und am Samstag, den 6. Juli, 11, 13 und 15Uhr, Treffpunkt im Museum für Verkehr und Technik an der Holländer Mühle. Thema: Pflanzen und Insekten als Beispiel für Beziehungsgefüge in einer Großstadtbrache. Weitere Informationen sind beim Naturschutz- und Grünflächenamt Kreuzberg erhältlich, Tel.: 2588-8013

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