: Chez Schorsch Von Carola Rönneburg
„Dreh dich nicht um“, warnt mein Begleiter und hört sich plötzlich an wie Klinsmann nach dem EM-Finale, „ich glaube, hinter uns läuft Schorsch.“ Schorsch! Wir beschleunigen unseren Gang, bemühen uns, nicht zu rennen, doch die Panik siegt. Hals über Kopf stürzen wir davon. Schorsch! Gestern waren wir in seinem Restaurant essen, im „Chez Schorsch“. Seither ist nichts mehr, wie es einmal war. Fünf Minuten haben unser Leben verändert, und alles begann mit einem Cognac, den Schorsch spendierte.
Der Ausschank von kostenfreien Schnäpsen gehört zu den ältesten gastronomischen Regeln der Welt – schlechte Restaurants verbuchen diese Getränke unter „Schadensersatz“. Nachdem der Wirt eben noch versucht hat, seinen Gast mit einer Portion überfälligen Fleisches zu vergiften, stellt er mit breitem Lächeln mehrfach Hochprozentiges auf den Tisch und schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Weder sein Opfer noch dessen Magen werden sich jetzt noch groß beschweren. Natürlich riskiert der Gastronom, daß sein Gast nicht wiederkommt. Er weiß aber auch, daß er auf eine Klientel setzen kann, die genau deshalb, weil sie hier noch ordentlich für umsonst bechern kann, immer wieder bei ihm einkehren wird. Das nennt man Gleichgewicht des Schreckens, und aus diesem Grund sind übrigens griechische Restaurants bis heute nicht ausgestorben.
Im Einzugsgebiet der gehobenen Küche geht es ähnlich zu. Da sich die Gäste hier ihren Digestif leisten können wollen, spart der Restaurantbesitzer so manche Einladung. Damit er trotzdem nicht zu billig wegkommt, fordern seine Besucher gewöhnlich andere Gegengeschenke, nämlich einen Aufmarsch des Küchenpersonals an ihrem Tisch, nach Größen geordnet. Zu diesem Zweck zieht der Koch eine frische Jacke an und erkundigt sich dann artig, ob alles zur Zufriedenheit war. Aber auch hier gilt das Prinzip der friedlichen Koexistenz, denn wer das nicht mag, verlangt einfach nicht nach übertriebener Betreuung. Und der Wirt wiederum wehrt sich ohnehin gegen allzu hohe Anforderungen, indem er bei allen Gästen einen Aufschlag für seine Bemühungen erhebt.
Nur im „Chez Schorsch“ weiß man leider nichts von diesen einfachen Gesetzen. Im „Chez Schorsch“ wirken ein begnadeter Koch, ein akzeptabler Kellner und – Schorsch. Schorsch rauscht dann herein, wenn man gerade gehen möchte. Er wedelt mit den Armen und entschuldigt sich lauthals, zu spät gekommen zu sein – dabei kannten wir ihn bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal. Das war Schorsch egal: „Jetzt trinken wir Cognac“, beschloß er, setzte sich zu uns, nannte uns „meine lieben Freunde!“ und begann, meinen schon vorher schockgefrorenen Leidensgenossen unter dem Tisch zu befummeln. Mit der freien Hand deutete er auf eine Fotosammlung an der Wand: Schorsch neben George Michael, Schorsch, untergehakt bei Brigitte Bardot, Boris Becker im Würgegriff von Schorsch. Dazu eine Reihe von Menschen wie er und ich, und natürlich Schorsch.
Muß ich noch mehr erzählen? Von unseren vergeblichen Versuchen, Schorsch zu entfliehen oder wenigstens richtig betrunken zu werden? Das ist sicher nicht nötig. Bloß: Wir haben versprechen müssen, heute wiederzukommen.
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