: Herrisch und machtvollkommen gegen alles „Nichtdeutsche“
Claus Peter Volkmann alias Peter Grubbe war kein kleines Licht im besetzten Polen. Dokumente aus polnischen Archiven beweisen: Er lügt ■ Von Jürgen Voges
Bogdan Musial zögert keinen Augenblick. Claus Peter Volkmann, der seit 1945 Peter Grubbe heißt, ist ein „Kriegsverbrecher“. Aber es sind nicht dessen Taten als Kreishauptmann der Nazi-Zivilverwaltung im besetzten Polen, die ihn empören. Unbegreiflich sind dem aus Polen stammenden Historiker „die Lügen, die dreisten Behauptungen“, mit denen der spätere linksliberale Journalist Grubbe seine Nazi-Vergangenheit als Besatzer-Landrat zu beschönigen versucht.
In den Archivalien, die Bogdan Musial in Polen für seine Dissertation über die deutsche Besatzungsverwaltung sichtete, ist er auf zahlreiche öffentliche Aufrufe des zunächst kommissarischen und später regulären Kreishauptmanns Volkmann gestoßen. Die sind in herrischer Besatzersprache gehalten. „Die ständige Ichform, das ,Ich ordne an...‘, ,Ich untersage...‘, ,Ich werde bestrafen...‘, findet sich immer wieder in Volkmanns Bekanntmachungen.“ Dezentral war die Nazi-Verwaltung im besetzen Polen, erklärt Musial. Und die Kreishauptleute waren kleine Herren mit freier Hand zur Unterdrückung, „die keineswegs nur von oben vorgegebene Anordnungen einfach unterschreiben mußten“. Genau dies behauptet Grubbe.
Die der taz vorliegenden Dokumente zeigen den jungen Volkmann (Grubbe) als Antisemiten, der die „arische Bevölkerung“ durch „umherwandernde Juden, die im steigenden Maße Flecktyphus verbreiten“, bedroht sieht. Von Volkmann unterzeichnete Anordnungen beweisen, daß er persönlich Mitte 1941 Zwangsarbeitslager errichten ließ und aus eigener Machtvollkommenheit Juden und Polen mit Zwangsarbeit bestrafte.
Der Kreishauptmann, der sich heute als im Rahmen seiner damaligen Möglichkeiten gutwilliger Besatzer darstellt, brach damit sogar das in Polen geltende Nazi- Recht. Denn offiziell hatten die Kreishauptleute – die Zivilverwaltung im polnischen Generalgouvernement – lediglich die Befugnis, Geldstrafen bis zu 1.000 Zloty zu verhängen, was etwa 500 Reichsmark oder fünf Monatslöhnen entspach.
Der Peter Grubbe von heute will nur zufällig in die deutsche Unterdrückungsmaschinerie im besetzen Polen geraten sein. Nachdem die taz im vergangenen Jahr über seine Nazi-Vergangenheit berichtete, erzählte er dem Spiegel: „1939 meinte ein Bekannter: Im ehemaligen Polen gibt's jetzt ein Generalgouvernement oder so was, geh doch mal dahin.“ Erst nach „einer Weile“ will er gewußt haben, was mit den Juden geschah, und ihnen dann im Rahmen seiner Möglichkeiten geholfen haben, „heimlich Pässe“ zu besorgen. Eine ganze Reihe von Zeugen widersprachen diesen Rechtfertigungsversuchen. Sie berichteten von Mißhandlungen durch den Kreishauptmann.
Als Volkmann Ende 1939 in Krakau seinen Dienst im zentralen Amt des berüchtigten Generalgouverneurs Hans Frank antritt, wird er dort nicht irgendein Assessor zur „Ausbildung“, wie er es heute behauptet. Volkmanns NS- Personalakte, die in Warschau bei der „Hauptkommission zur Untersuchung der Verbrechen am polnischen Volk“ archiviert ist und ebenso ein Personalfragebogen der NSDAP, weisen den damals 25jährigen Assessor aus, als „Persönlicher Referent des Chefs des Amtes“. Die Vertrauensstellung als „Persönlicher Referent“ besitzt Volkmann auch beim zweiten Mann im besetzten Polen, beim Frank-Stellvertreter und später hingerichteten Kriegsverbrecher Josef Bühler. Auf der Wannseekonferenz, auf der 1942 die letzte Entscheidung zum millionenfachen Judenmord fiel, drängt ebenjener Bühler darauf, die „Judenfrage“ im Generalgouvernement „so schnell wie möglich zu lösen“, da „der Jude als Seuchenträger eine eminente Gefahr bedeutet“.
Schon auf den Karriereposten bei Bühler gelangt Volkmann nicht zufällig, wie sein Parteifragebogen von 1940 beweist. „1933/34 habe ich die Hochschulgruppe des Bundes Deutscher Osten in München geleitet“, schreibt der schon mit 19 Jahren in die NSDAP eingetretene „Blockleiter“ in die entsprechende Sparte. In dem Fragebogen rühmt er sich, es schon in jungen Jahren zum „politischen Leiter der Ortsgruppe Potsdam“ und zu „vielfachen“ Arbeiten „für die nationalsozialistische Presse“ gebracht zu haben.
Dieser Vorgeschichte folgt eine rasche Karriere im Generalgouvernement. Nach nicht mal einem Jahr ist Volkmann stellvertretenden Kreishauptmann in Radzyn. Fünf Monate später wird er „vorübergehend nach Krasnystaw zur Vertretung“ des dortigen Kreishauptmanns überwiesen. Weitere drei Monate danach wird er mit 27 Jahren der jüngste der uniformierten Besatzer-Landräte überhaupt. In Krasnystaw springt Volkmann für einen Kreishauptmann ein, der sich nach einer Korruptionsaffäre krank ins Reich heimgemeldet hat. In diesen wenigen Monaten zwischen Ende April bis Anfang August 1941, in der er im Kreis Krasnystaw das Sagen hat, werden dort zwei Zwangsarbeitslager errichtet: am 23. Juni eines für Polen in Zolkiewka und im Juli ein Lager für Juden in Augustowka.
Für die „Zusammenstellung der Wachmannschaften“ der beiden Zwangsarbeitslager wirbt Volkmann in einem Aufruf persönlich im Juli 1941 „noch Ukrainer“ an. In einem Bericht der Kreishauptmannschaft Krasnystaw an den Chef des Distrikts Lublin finden sich die exakten Gründungsdaten der beiden Lager. Über das Zwangsarbeitslager für Polen in Zolkiewka heißt es dort auch ausdrücklich: „Die verantwortliche und unterhaltende Dienststelle ist die Kreishauptmannschaft.“ Das Lager für Juden in Augustowka ist ebenfalls einer Zivilbehörde des Kreises, einer Wasserbauinspektion, unterstellt.
Das Lager in Zolkiewka nutzt Volkmann zur Disziplinierung polnischer Bauern, die nicht für Hungerlöhne arbeiten wollen. In einer öffentlichen Anordnung vom 14. Juli 1941 fordert er alle Behörden und Bürgermeister seines Kreises auf, „mir (...) solche Personen namhaft zu machen“. Und er droht höchstpersönlich: „Ich werde die Betreffenden sofort in das Arbeitslager Zolkiewka einweisen.“
Der Distrik Lublin ist zu dieser Zeit das Gebiet mit der radikalsten „Judenpolitik“ im Generalgouvernement. In der Stadt Krasnystaw selbst existiert bereits ein Juden- Ghetto. Mitte März, kurz bevor Volkmann dort seinen Dienst antritt, sind in die Stadt 1.000 alte und kranke Wiener Juden deportiert worden, was für viele einem Todesurteil gleichkommt. Generell aber verstehen die Nazi-Besatzer Mitte 1941 unter der „Endlösung der Judenfrage“ immer noch die Aussiedlung, die Vertreibung, wohin auch immer. In einer „Anordnung betreffend das Umherwandern der Juden“ setzt Volkmann am 17. Juli 1941 eine Verordnung seines Lubliner Distriktchefs um. Er droht allen Juden, die ohne Erlaubnis der Kreishauptmannschaft ihren Wohnort verlassen, Geldstrafen an. Juden allerdings, die wiederholt gegen die Einschränkung ihre Bewegungsfreiheit verstoßen, erwartet eine Volkmannsche Sonderstrafe: „Solche Juden (...) werden von mir in das Zwangsarbeitslager Augustow eingewiesen werden.“ Das Zwangsarbeitslager für Juden in Augustowka zählt bald 180 Häftlinge.
Die Zwangsarbeitslager, in die Volkmann zu dieser Zeit einweist, waren keine Vernichtungslager, in denen systematisch gemordet wurde. Aber Mißhandlungen durch die Wachmannschaften, die tödlich enden konnten, waren in den Lagern der deutschen Zivilverwaltung nicht selten. „Normal“ war in jedem Fall der Hunger. Für die kleinen, von Stacheldraht umzäunten primitiven Barackenlager, die die Kreishauptleute oder andernorts auch Distriktchefs in Eigenregie errichteten, stand kein Geld der Zentralverwaltung zur Verfügung. Die Mittel für ihre Verpflegung sollten die Häftlinge theoretisch durch ihre Zwangsarbeit selbst erwirtschaften. Nur manche wurden von außerhalb von ihren Verwandten verpflegt. Als eine Runde beim Generalgouverneur Hans Frank im April 1942 „eine legale Grundlage“ für diese eigenmächtig für „Schleichhändler (Juden, d. Red.) und Drückeberger“ errichteten Lager fordert, hält man im Protokoll in der üblichen indirekten Rede fest: „Man dürfe aber nicht große Konzentrationslager schaffen, für die ein erheblicher Kostenaufwand notwendig sei, sondern es genügten einige Baracken, damit die Insassen ihren Unterhalt durch eigene Arbeitsleistung verdienen könnten.“
Die Akten der Regierung des Generalgouvernements belegen immer wieder, daß Kreishauptleute wie Volkmann keineswegs verpflichtet waren, Zwangsarbeitsstrafen zu verhängen. In internen Vermerken wird zwar gefordert, die offizielle Strafbefugnis der Kreishauptleute von Geldstrafen auf „Haftstrafen, Zwangsarbeit usw.“ zu erweitern oder zumindest die Distriktgouverneure zu ermächtigen, „für Nichtdeutsche Arbeitslager zu errichten“. Aber noch am 30. Mai 1944 beklagt ein zynisch anmutender Vermerk der „Hauptabteilung innere Verwaltung der Regierung“, daß Kreishauptleute durch die Verhängung von Zwangsarbeit „selbst fortgesetzt grobe Ordnungswidrigkeiten begehen“.
Nach zwei Jahren als Verwaltungschef im damals galizischen, heute ukrainischen Kolomea, wo unter seiner Kreishauptmannschaft 30.000 Juden deportiert werden, ist Volkmann ab Mai 1943 Kreishauptmann im polnischen Lowitsch. Für die erfolgreiche Rekrutierung von Zwangsarbeitern im Kreis Lowitsch erhält er 1944 das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse. „Ich habe den Polen gesagt, ihr müßt die Leute selber aussuchen, die am ehesten entbehrlich sind“, beschönigte er im Interview mit dem Spiegel diese Zwangsrekrutierungen zum Bau von Verteidigungsanlagen. Diese Behauptung ist dreist gelogen: Am 16. September 1944 schildert der Kreishauptmann Volkmann in einer öffentlichen „Bekanntmachung“, daß er mit Hilfe eines Polizeieinsatzes sämtliche arbeitsfähigen Einwohner des Dorfes Belchow zu Schanzarbeiten hat abtransportieren lassen. Ebenfalls zu lesen ist in dieser „Bekanntmachung“, daß das gesamte Vieh des Dorfes „beschlagnahmt und eingezogen wurde“. Gemeinden, die ihm nicht genug Arbeitskräfte stellen, droht Volkmann das gleiche Schicksal an. Als drei Monate später die Stadt Lowitsch „von dem ihr auferlegten Soll“ an Arbeitern zum Stellungsbau nur ein Drittel gestellt hat, ordnet der Kreishauptmann auf Plakatem an, „daß durch ständige Polizeikontrollen und -razzien (...) alle auf den Straßen sich herumtreibende arbeitsfähige Elemente aufgegriffen und nach Malszyce (zur Zwangsarbeit, die Red.) gebracht werden“. Zwei Wochen später verlangt er von der Stadt noch einmal ein Kontingent von 1.200 Personen für Schanzarbeiten und kündigt wiederum an: „Im übrigen wird jede Person, die während der Schanzzeit in der Stadt aufgegriffen wird, von den Polizeistreifen rücksichtslos aufgegriffen und nach Malszyce eingeliefert werden.“
Wer Zwangsarbeitslager errichten ließ, und dies selbst nach deutschem Besatzer-Recht ohne „legale Grundlage“, wer „Nichtdeutsche“ mit Zwangsarbeit, Hunger, Mißhandlung bestrafte, und dies auch nach Nazi-Recht „grob ordnungswidrig“, hat sich zweifellos Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Seit der öffentlichen Diskussion um Peter Grubbes Vergangenheit als Claus Peter Volkmann, ist der für ihn zuständigen Darmstädter Staatsanwaltschaft ein „Haufen von Ablichtungen“ mit „Erkenntnissen und Dokumenten“ zugegangen. Gesichtet hat die Staatsanwaltschaft das Material bisher nicht. Sie hat bislang ebenfalls noch nicht über die Möglichkeit, ein in den 60er Jahren beendetes Vorermittlungsverfahren wiederaufzunehmen, entschieden. Nicht verjährt wäre ohnehin nur ein persönlich begangener oder persönlich angeordneter Mord.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen