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Arme sollen selber Geld verdienen

■ Die britische Labour-Opposition tritt in US-Fußstapfen

Die Ideologen der US-amerikanischen Wohlfahrtsreform sind von ihrer Mission überzeugt: „Wir setzen Maßstäbe nicht nur für das Land, sondern für die Welt“, tönt Clay Shaw, republikanischer Kongreßabgeordneter aus Florida und einer der Architekten der Sozialreform. Und das Wall Street Journal kommentiert die US-Sozialstaatsdebatte: „Die Länder des europäischen Kontinents werden genau nach Lektionen Ausschau halten.“

Dabei geht es nicht allein um die Frage der Einhaltung der Maastricht-Kriterien, nach denen Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion ihr staatliches Haushaltsdefizit auf unter drei Prozent ihres Bruttosozialprodukts begrenzen müssen. Die weitgehendste Debatte findet im euroskeptischen Großbritannien statt, wo zwischen den regierenden Konservativen und der oppositionellen Labour-Partei ein faktischer Konsens über Sozialreform entstanden ist.

„Die Sozialausgaben“, warnte unlängst der Labour-Vorsitzende des Sozialausschusses im britischen Unterhaus, Frank Field, „wachsen in einem Tempo – zweimal so schnell wie die Gesamtwirtschaft –, das, wenn es nicht gebremst wird, die nächste Labour- Regierung finanziell aus den Gleisen werfen wird.“ Die konservative Regierung rühmt sich zwar, das Wachstum der Sozialausgaben bereits zu verlangsamen – Sozialminister Peter Lilley spricht von Einsparungen von bis zu neun Milliarden Mark jährlich bis ins Jahr 2000. Aber Labour schwebt eine dauerhafte Ausgabensenkung vor, um Geld für Investitionsprojekte freizustellen. Armutsbekämpfung, so Labour-Chef Tony Blair im Juni vor dem deutschen Industriellenverband BDI, sei „nicht durch höhere Sozialhilfen“ zu erreichen, „sondern indem man den Leuten die Möglichkeit gibt, ihren eigenen Unterhalt zu verdienen“.

Ähnlich wie in den USA vorgesehen, geht es Labour darum, das Recht auf dauerhaften Bezug von staatlicher Unterstützung abzuschaffen. Im derzeit gültigen Labour-Wahlprogramm, das vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde, werden arbeitslosen britischen Jugendlichen vier Optionen angeboten: normale Arbeit mit Lohnkostenzuschuß für den Arbeitgeber; gemeinnützige Arbeit; Studium; Mitarbeit in einer zu gründenden „Umwelt-Task Force“. „Es wird keine fünfte Option geben, mit vollen Bezügen permanent arbeitslos zu bleiben.“

Frank Field arbeitet bereits zusammen mit dem konservativen Abgeordneten Ralph Howell an einem Gesetzentwurf, der einige dieser Ideen unter dem Titel „Recht auf Arbeit“ als eine Art freiwilligen Testlauf für ein „Workfare“-Programm bündelt. Hatte die Regierung unter Premierminister John Major solche Ideen bisher als „unpraktikabel“ abgelehnt, sagte sie vor einer Woche zu, die nötige Kostenprüfung für einen solchen Gesetzentwurf durchzuführen. Wenn sie rechtzeitig zur Eröffnung der neuen Sitzungsperiode des Unterhauses im Oktober fertig wird, könnte das „Workfare“-Gesetz noch vor den nächsten Wahlen verabschiedet werden. Dominic Johnson

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