André Brie trifft den Nerv der PDS

■ Parteireformer fordert, die PDS für „Poststalinisten unerträglich“ zu machen – und erntet heftigsten Protest

Berlin (taz) – Dieser Ruf nach Klarheit über den zukünftigen Kurs der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) tut weh. Er schmerzt besonders, weil er vom PDS-Vordenker und Bundesvorständler André Brie stammt. Im jüngsten Stern redet der „Reformer“, der 1992 als Vorsitzender des Berliner Landesverbandes wegen seiner früheren Stasimitarbeit zurückgetreten war, Klartext: „Wir müssen endlich in der Bundesrepublik ankommen“ und „ein positives Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zum Grundgesetz finden“. Es gehe jetzt für die Reformer in der PDS darum, den „Modernisierungskurs“ parteiintern durchzusetzen und die Zeit der Formelkompromisse zu beenden. Seit 1993 drücke sich die Nachfolgepartei der SED vor diesem Klärungsprozeß. Die PDS werde nur dann eine Perspektive haben, „wenn wir die Auseinandersetzung mit den Poststalinisten“ führen.

Zu diesen Poststalinisten zählt Brie nicht zuletzt die rund 500 Mitglieder der „Kommunistischen Plattform“, deren politischer Einfluß in der PDS „weitaus größer“ sei, als die Zahl vermuten lasse. Deren Sprecherin Sahra Wagenknecht hatte die 89er Wende in der DDR noch 1994 als „Konterrevolution zwischen Elbe und Oder“ bezeichnet. Parteiausschlüsse dieser Gruppe hält Brie zwar für „unrealistisch“, aber wenn „wir Reformer uns durchsetzen, ist die ,Plattform‘ politisch am Ende“. Brie wörtlich: „Die PDS muß für Poststalinisten unerträglich gemacht werden.“

Bisher jedoch fühlen diese sich in der PDS noch sehr wohl – auch im Westen. Der PDS-Bundestagsabgeordnete Graf von Einsiedel hatte erst vor kurzem vor einer Unterwanderung der westdeutschen Landesverbände durch „parteifeindliche Kräfte“ gewarnt, die die PDS „in irgendeine Art von kommunistischer Partei zurückverwandeln“ wollen.

Mit seiner schonungslosen Kritik schickt Brie sich nun an, der PDS ihren pluralistischen Schleier zu rauben. Bisher war es der Parteiführung noch immer gelungen, die unter dem Label der PDS nebeneinander existierenden, völlig unterschiedlichen Politikmodelle als Pluralismus zu verkaufen. Die Reformer in der PDS wußten zwar immer, daß ein linkssozialistisches Politikkonzept mit dem von einigen Gruppen in der PDS befürworteten marxistisch-leninistischen Modell nicht kompatibel ist.

Doch offen für den Bruch mit den Totalitaristen und Poststalinisten in der Partei zu streiten, schien ihnen angesichts der unsicheren Mehrheitsverhältnisse bisher zu riskant. Brie hat die Leisetreterei nun satt. Im Vorfeld des nächsten Parteitages Anfang Januar 1997 will er die Diskussion forcieren.

Mit dem Reformflügel abgestimmt war seine Attacke nicht. Im Gegenteil, dort ist man von dem Interview geradezu entsetzt. Für die Reformer sei Bries Alleingang im höchsten Maße „konterproduktiv“, fürchtet etwa Wolfgang Gehrcke, einer der stellvertretenden PDS-Vorsitzenden. Auch bei den WählerInnen in Ostdeutschland komme die harte, personalisierte Streiterei nicht an. Gehrcke wörtlich zur taz: „Dieser Streit entspricht nicht dem, was die Leute von uns erwarten.“

Zusammen mit den weiteren stellvertretenden Parteivorsitzenden Sylvia Kaufmann und Angela Marquardt warf Gehrcke seinem Parteifreund Brie in einer schriftlichen Erklärung „Arroganz“ vor. Die Vorwürfe entbehrten „jeglicher politischer Substanz“ und seien „politisch schlichtweg falsch“. Die Aufgabe innerparteilicher Debatten sei es nicht, „die PDS für Teile der Mitgliedschaft unerträglich zu machen“. Die Partei setze weiter „auf demokratische Toleranz“, und dazu gehöre auch die „selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte“ und die „unmißverständliche Absage an Stalinismus und undemokratische und antiemanzipatorische Politik“.

Auch der PDS-Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, der zum Reformflügel zählende Helmut Holter, ging auf vorsichtige Distanz zu Brie. Dessen Thesen seien „sehr kraß und zu absolut formuliert“.

Wesentlich schärfer fiel die Kritik der Berliner PDS-Landesvorsitzenden Roswitha Steinbrenner aus. Sie warf Brie vor, „eine Steilvorlage für die konservativen Gegner der PDS und den Verfassungsschutz“ geliefert zu haben. Was der Leiter der PDS-Grundsatzkommission sich da geleistet habe, komme einer „Denunziation der PDS“ gleich. Vom Berliner Landesvorstand wurde Brie aufgefordert, „seine unhaltbaren Vorwürfe gegen die Partei öffentlich zurückzunehmen“. Walter Jakobs