: Auf der Suche nach Erfolg und Aktiven
Sowohl die Gruppe „BürgerInnen beobachten die Polizei“ als auch die „Antirassistische Initiative“ haben oft Mühe, mehr zu bewirken, als Übergriffe gegen Ausländer in die Öffentlichkeit zu bringen ■ Von Barbara Bollwahn
Sechs Männer und zwei Frauen sitzen um einen Tisch. Meist geht ihren Sätzen ein Schweigen voraus. „Wir müssen an Leute aus dem Apparat rankommen“, sagt einer. Gewiß. Das Kopfnicken der anderen reicht aus, um Einverständnis zu signalisieren. „Es ist sicher nicht verkehrt, einen informellen Kontakt aufzunehmen“, sagt ein anderer. „Aber wer soll das tun?“ fragt der nächste. Die Stille wirkt lähmend. Endlich erbarmt sich einer: „Ich kann ja mal versuchen, den Kontakt aufzunehmen.“ Die Falten auf der Stirn der anderen glätten sich. Als dann noch der Satz „Den Sommer über ist eh nicht viel zu erwarten“ fällt, ist dieser Punkt erst einmal abgehakt.
Einmal im Monat trifft sich die Gruppe „BürgerInnen beobachten die Polizei“. Es ist sozusagen eine Auferstehung. Bereits 1979 wurde ein gleichnamiger Verein, damals jedoch ohne das große I, gegründet. Doch der Verein als „eines der vielen Strohfeuer linker Auseinandersetzung mit staatlicher Gewalt“ ging Mitte der achtziger Jahre sang- und klanglos unter. „Das lag ausschließlich an der damals einsetzenden Politiküberdrüssigkeit“, konstatiert Otto Diederichs vom 1978 gegründeten Informationsdienst Bürgerrechte und Polizei/CILIP. „Die Leute haben sich in ihre Familien und den Beruf zurückgezogen.“ Es sei so gut wie aussichtslos gewesen, der Polizei etwas nachzuweisen. Deshalb war Diederichs, der während der rot-grünen Koalition in der Polizeiarbeitsgruppe der Alternativen Liste mitarbeitete und später zum Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit an der Freien Universität ging, lange dagegen, erneut eine solche Gruppe ins Leben zu rufen.
Trotz seiner Vorbehalte treffen sich seit etwa einem Jahr acht bis zehn Leute. Sie dokumentieren hauptsächlich Übergriffe gegen Ausländer und versuchen, diese publik zu machen. Doch weil die meisten von ihnen „Multifunktionäre“ sind – Mitglieder der Liga für Menschenrechte und der Antirassistischen Initiative e.V., einige Jungdemokraten und ein alter Antifaschist aus Treptow –, scheint Diederichs Befürchtung gerechtfertigt. Viel passiert nicht. Die Umsetzung von guten Absichten und Plänen scheitert oftmals am Mangel an Zeit und Leuten.
Die Mitarbeiter des 1988 eingerichteten Antirassistischen Telefons, damals erste Meldestelle für rassistisch motivierte Diskriminierungen und Gewalt in der Bundesrepublik, beklagen, daß es immer schwieriger werde, „den sogenannten alltäglichen Rassismus“ in den Medien unterzubringen. Die Schwerpunkte des Notruftelefons, das heute zu der Ende 1989 gegründeten Antirassistischen Initiative (ARI) gehört, sind das Sammeln von Informationen über rassistische Diskriminierungen, über Aktivitäten rassistischer Organisationen, das Vermitteln von Rechtsanwälten und das Informieren über Treffen zum Thema Antirassismus. Ein „selbstverständlicher Bestandteil“ der Arbeit der Initiative sind Demonstrationen. Die letzte fand vor knapp zwei Wochen in Mahlow statt. In dem Dorf südlich von Berlin wurden Mitte Juni drei britische Bauarbeiter von rechten Jugendlichen angegriffen. Ein Brite ist seitdem querschnittsgelähmt (die taz berichtete).
Erfolgserlebnisse bei gemeinnützigen Vereinen wie der ARI sind selten. Der Fall eines libanesischen Flüchtlings, der auf einem Sozialamt vergeblich versuchte, eine Bestätigung zur Übernahme von 7,89 Mark zu bekommen, die über der bewilligten Miethöhe lagen, und statt dessen gewaltsam von Zivilbeamten rausgeschmissen wurde und letztendlich doch eine Wohnung bekam, ist eher die Ausnahme. Im März dieses Jahres, so dokumentierte ARI, suchte der Flüchtling, der an einem Arm handamputiert, am anderen durch Fingeramputationen erheblich beeinträchtigt ist und ein Glasauge hat, das Sozialamt Wedding auf. In einer „für ihn völlig ausweglosen Situation“ weigerte er sich zu gehen, bevor sein Wohnungsproblem geklärt sei, und setzte sich auf den Boden. Das Sozialamt rief die Polizei. Zwei Zivilbeamte, so die Dokumentation, zwangen ihn mit Gewalt aufzustehen. Sie zerrten ihn an den Armen und brüllten. Der Libanese weinte und zitterte am ganzen Körper. Ein Beamter drehte ihm den Arm auf den Rücken und stieß ihn mit solcher Gewalt auf eine Sessellehne, daß sein Glasauge herausfiel. Dann wurde er gewaltsam aus dem Sozialamt gezerrt und dabei am Arm verletzt. Das nochmalige Betreten der Behörde, um den blutenden Arm zu versorgen, verhinderten die Beamten und zogen statt dessen ihre Dienstwaffe.
Nach Angaben von ARI hat das Behandlungszentrum für Folteropfer nach diesem Vorfall eine „Reaktualisierung der Magenkrämpfe und Alpträume“ bei dem libanesischen Flüchtling festgestellt. Auch wenn der Mann letztendlich eine Wohnung bekam, ist für ARI die Geschichte nicht zu Ende. Die Initiative will den Fall nach dem Sommer in die Bezirksverordnetenversammlung einbringen. Denn Thomas von der ARI ist überzeugt: „Es ist kein Zufall, daß das in einer abgeschlossenen Ecke des Sozialamtes stattfand.“
Geradezu demotivierend fiel beim letzten Treffen der Gruppe „BürgerInnen beobachten die Polizei“ die Bilanz der 1.-Mai-Demo und der Gelöbnisfeier vor dem Brandenburger Tor aus. Keiner war als Beobachter vor Ort. Mit Eigenkritik wurde nicht gespart: „Jeder machte am 1. Mai, was er wollte, wo er sich politisch am besten aufgehoben fühlte“, stellt Otto Diederichs lapidar fest. „Die Demo haben wir nicht als Beobachtung angesetzt“, widerspricht ein Jungdemokrat. Das sei „ein Feldversuch“ gewesen nach dem Motto „Wir schulen uns selbst“. Auch für die Abwesenheit bei der öffentlichen Rekrutenvereidigung vor dem Charlottenburger Schloß hat Karsten eine Erklärung. Das Treffen zwei Tage vorher sei zu kurzfristig angesetzt gewesen. Doch sein Vorschlag „weiter im Vorfeld zu planen“, stößt bei Otto Diederichs nicht auf Zustimmung.
Statt dessen legt dieser den Finger in die offene Wunde: Die richtige Planung sei nicht das entscheidende Problem. Die eigentlich „spannende Frage“ sei die: „Ist es prinzipiell aussichtslos, Leute zu kriegen?“ Während die anderen noch mit den Schultern zucken, nimmt er die Antwort gleich selbst vorweg. „Ich bin ein unverbesserlicher Optimist“, sagt er. „Wir sollten die Anstrengung aufrechterhalten, Leute zu gewinnen, und es auf jeden Fall noch mal versuchen.“ Das schweigende Nicken der anderen heißt Zustimmung, auch wenn keiner so richtig weiß, wo man beginnen soll.
Den größten Optimismus strahlt der Älteste in der Runde aus. Der 65jährige Klaus Stengert von der Antifa Treptow schlägt vor, in der „Wabe“, die oft „proppenvoll“ sei, zu werben. „Die werden zwar nicht alle hierherströmen“, sagt der Rentner, „aber immerhin.“ Doch dieser Vorschlag wird genauso verworfen wie die Idee des Rentners mit viel Zeit, das nächste Treffen an einem Wochenende zu machen. Etwas enttäuscht von den jungen Leuten, tippt er als nächsten Termin den 13. August in sein elektronisches Notebook. Daß dies ein historisches Datum ist (an diesem Tag vor 35 Jahren wurde die Mauer errichtet), fällt weder ihm noch den Jüngeren auf.
Konkrete Dinge wie Termine oder Flugblätter sind ohne Frage leichter zu diskutieren und zu klären als die Suche nach dem Sinn des eigenen Tuns. So geht die Endredaktion eines Handzettels über „Verhalten bei Demonstrationen“ relativ schnell über die Bühne. Rechtschreibfehler, ein Verantwortlicher für den Druck und das Übersetzen in Fremdsprachen sind rasch gefunden.
Auch mit dem Rundschreiben, das an Rechtsanwälte geschickt werden soll, um rassistische Übergriffe von Polizisten besser dokumentieren zu können, hält sich die Gruppe nicht länger als nötig auf. Von dem Rundschreiben mit einem ausführlichen Fragebogen erhofft man sich Aufschluß darüber, ob die negativen Erfahrungen der Gruppe, daß Ermittlungen gegen Polizisten häufig eingestellt, Opfer von Übergriffen dagegen oft wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt werden, „herausragende Einzelfälle oder ein weitverbreitetes Phänomen“ sind. Das würde wenigstens etwas Gewißheit bringen und das Gefühl, nicht ganz umsonst zu arbeiten.
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