: Liebe – wie am mittelalterlichen Hof
Couchpotato-Sex ist megaout, und auch die Kuschelvariante mit den Softies ist sehr öde. Der Neue Mann ist uns zu schlapp, sagen die Frauen der Kommune und surfen ab ins Reich der Phantasie ■ Von Peter Köpf
Auf dieses Geständnis haben Männer lange gewartet: „Frauen sind gemein, auch Frauen unterdrücken.“ Das Geständnis stammt von Gisela Getty und Jutta Winkelmann. Das Resümee der Kommune-Zwillinge nach dreißig Jahren Feminismus ist ein tragischer Filmtitel: Die starke Frau und das Weichei. Verloren die Erotik in Zeiten der „Teddybärisierung unserer Beziehungskultur“. Verloren haben beide, Frau und Mann. Jetzt hofft die Frau offenbar ebenso heimlich wie verzweifelt auf die Ankunft eines neuen Helden. Doch wie wird Sex in der Zukunft aussehen? Die „Getty-Zwillinge“ wissen eines sicher: „Die nächste Runde geht an die Männer.“ Oder hoffen sie es?
Das Ziel haben die Zwillinge fest im Auge, es ist nur noch nicht zu erkennen. Diffus schummert in ihrem Buch mit dem Titel „Future Sex“ das Morgenrot ihrer Vorstellungen von der wahren Liebe durch den Nebel. Denn soviel steht nach Lektüre der zahlreichen Interviews mit den „Sex-Experten“ der 68er fest: So kann es nicht weitergehen mit Couchpotato und langweiligem Routinesex.
Aber wie? Immerhin ist ja ein Erkennen von Fehlern der Anfang von Veränderung. Fehler benennen die Lust-Avantgardistinnen zuhauf. Getty und Winkelmann beschreiben, wie subtil Frauen ihre Siege erringen: Der Feminismus habe den Opferstatus der Frau gepflegt. Politically correct gelte heute: Alle Männer unterdrücken Frauen. Getty und Winkelmann aber schonen sich nicht: „Auch wir haben mit unserem Opferstatus kokettiert. Als Opfer läßt es sich gut leben.“ Es gebe auch Gewaltformen jenseits von Faustschlägen. Alle Frauen beherrschten sie. „Es ist ein Instinkt.“ Diese Frauengewalt basiere auf der Abhängigkeit des Mannes von der Frau. „Die Schönheit der Frau“, sagt im Buch auch der einstige Vorzeigemann der US-Frauenbewegung, Warren Farrell, „ist die stärkste Droge der Welt.“ Kaum eine Frau sei sich ihrer sexuellen Magie nicht bewußt. Es sei ihr Kapital, im Zweifelsfall sogar für eine Lebensversicherung in Form des Mannes. Wie das Kaninchen vor der Schlange aber sitzt der Mann, wagt nicht zu widersprechen, denn er fürchte sich vor nichts mehr als vor Liebesentzug.
Opfer Mann. Während die Frau sich von allen Abhängigkeiten verabschiedete, sei die Befreiung des Triebwesens Mann im Zuge der Gleichberechtigung auf der Strecke geblieben. Farrell plädiert für eine Männerbewegung, die dem angeblich starken Geschlecht aus der Zwangsjacke hilft. „Männer werden eine neue innere Stärke entwickeln müssen und den Mut, den Verlust von Liebe zu riskieren.“ Heute ziehe sich der Mann eher zurück, lasse sich nur auf kurze Beziehungen ein. Dabei wollten doch beide, Mann und Frau, am Ende nur eines: Liebe.
Der Traum der Gleichheitssexualität sei ausgeträumt, resümieren Gisela Getty und Jutta Winkelmann. Sie suchen nun wieder nach einer „Männlichkeit jenseits der alten, zerstörerischen, kriegerischen, imperialen Männlichkeit“, die Weiblichkeit dürfe sich nicht nur negativ von den Männern und gegen sie abgrenzen. Der Anspruch von „68“ wäre gerettet, die negativen Begleiterscheinungen wären behoben.
Also wohin? Wo ist die Liebesutopie? Der Blick in die Zukunft gerät den Getty-Zwillingen eher zwiespältig. Das magische Dreieck heißt: Virtualisierung (Cyber Sex), No Sex und Spiritualisierung. Online werde „der weltweite Onanist“ nie enttäuscht, solange die Festplatte nicht heißläuft. Wenn die Netsurfer über das derzeitige Niveau hinauskommen („Do you like it from behind or from the front?“), sehen die beiden Avantgardistinnen der Liebe sogar die Möglichkeit, „riesige Reiche der Phantasie“ zu entdecken – wie einst mit LSD. Liebe im Cyberspace als permanentes Vorspiel. Allerdings ein geistiges. Die Partner können sich nicht sehen, nicht riechen, nicht anfassen. Es sei faszinierend, welches Spielen der Phantasie dabei entstehe. Phantasie, ergänzt der Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz, sei der Stoff der romantischen Liebe, die alle wieder rehabilitieren wollen. Vielleicht sei es deshalb so: „Leben in einer virtuellen Realität ist die wahre romantische Liebe.“ Klaus Theweleit („Männerphantasien“) will das nicht wahrhaben: „Nach wie vor, die Straße, die Bars, die Betten, da findet es weiterhin statt“, ist er sicher, „nicht einfach am Bildschirm oder im Internet.“ Wie tröstlich.
Der Karren scheint verfahren. Die Zwillinge sehnen die geregelte Gesellschaft des Mittelalters herbei. Sie stellen sich eine Art höfische Gesellschaft vor, in der „Männer männliche Rollen spielen können und Frauen Frauen sind, ohne gleich in die alten Platitüden und Klischees zurückzufallen“. Wie am mittelalterlichen Hof lasse die Distanz zwischen den Geschlechtern und die Pflicht zur Einhaltung gewisser Regeln die Neugier aufeinander wachsen. Vielleicht muß man sich das so vorstellen: Der aristokratische, feine Hofherr und die junge Kammerzofe – undenkbar, aber es knistert. Oder: Die züchtig verhüllte, im Korsett eingezurrte Tochter des Hauses sitzt auf dem Klavierschemel; hinter ihr stehend, beugt sich der elegante Musiklehrer zu ihr herab...
Hat die Erotik noch eine Zukunft? Und, wenn ja, welche? Joachim Lottmann, Berufsjugendlicher und Schriftsteller, sieht alte Männerherrlichkeit am Horizont: „Bond is back!“ jubelt er. Erstmals seit fünfzehn Jahren sei 007 im neuen Film wieder offen männlich- sexistisch. Und alle Welt habe offenbar darauf gewartet. In zwölf Kinos sei der Film in München angelaufen und schon mittags überall ausverkauft. „Die Welt lechzt nach der Rückkehr des Mannes“, tönt er. „Vielleicht ist das schon der Wendepunkt.“ Die Rückkehr des Machos. Das haben Getty und Winkelmann nicht gewollt und die Feministinnen auch nicht.
Gisela Getty, Jutta Winkelmann: „Future Sex“. Metropolitan Verlag, Düsseldorf 1996, 245 S., 45 DM
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