: Lust, Deutschtum, Rama
■ Die wechselvolle Geschichte der schönen Vierländerin
Auf den ersten Blick scheint die Frau in Vierländer Tracht mit Frau Antje und Walter Sedlmayer nichts gemeinsam zu haben. Das täuscht. Alle drei machen Werbung für ein Markenprodukt und sind dabei zum überregional bekannten Symbol einer Region geworden. Das Vierländer Mädchen grinst uns seit mehreren Jahrzehnten von Rama-Bechern an – und seit gestern von den Wänden des Altonaer Museums. In der Ausstellung Die schöne Vierländerin – Eine Tracht wird zum Symbol kann man die Entwicklung ihrer Kleidung und der sie umgebenden Geschichten erfahren.
Vier Dörfer südöstlich von Hamburg – Altengamme, Neuengamme, Curslack und Kirchwerder – teilten seit dem späten Mittelalter eine außerordentlich günstige geographische Lage. Auf dem fruchtbaren Marschboden ließen sich Früchte und Blumen anpflanzen und die Nähe zu Hamburg ermöglichte deren problemlosen Absatz. Gemeinsame Fahrten zu Hamburger Märkten ließen die Dörfer zu den Vierlanden zusammenwachsen. Ende des 18. Jahrhunderts entstand dann eine gemeinsame Tracht. Aus kommerziellen Blickfanginteressen verschönten die cleveren Landleute sie bald mit einem breitrandigen Strohhut und seitlich überstehender Schleife. In dieser Ausstattung fuhren vor allem die Töchter auf die Märkte.
Die Vorstellung des einsamen fremden Blumenmädchens vom Lande und die körperbetonte Vierländer Kleidung gaben Anlaß zu vielen Spekulationen darüber, was die Mädchen außer Blumen wohl noch anböten. Entsprechend entwickelten sich Darstellungen der Vierländer Frauen zu Postkartenmotiven, Kalenderblättern und Liebesromanen, die das Abbild eines verführerischen Mädchens transportierten.
Währenddessen verschwand die Tracht zunehmend aus der Realität der Vierlande. Um 1860 wurde sie fast nur noch auf dem Markt getragen und 1904 mußte sich die meisten Teilnehmerinnen eines Trachtenfests regelrecht verkleiden.
Schade für die aufkommenden Fotodokumentaristen, die Ende letzten Jahrhunderts traurig feststellten, daß das Trachtenidyll gar nicht mehr existierte. So vermitteln zwar viele Photos aus dieser Zeit den Eindruck von Schnappschüssen ländlichen Lebens, sind aber das Produkt penibler Inszenierungen eines Trachtenfolklorismus.
Der erlebte dann seine wahre Blüte in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Erntedankfest 1936 in den Vierlanden wurde durch den Besuch Adolf Hitlers zu einer riesigen Volkstümelei mit 700.000 Zuschauern. Werke eines lange Zeit mäßig erfolgreichen Vierlandekünstlers wurden plötzlich populär und ein blonder Zopf der neue Blickfang manches Vierlandebildes. Das Landmädchen wandelte sich zum Sinnbild für Heimat und Deutschtum.
Schon früher hatte auch die Werbeindustrie die Vierländerin als Sympathieträgerin entdeckt. So zeigt die Ausstellung neben Originaltrachten und vielen Abbildungen auch alte Kekspakete, Oblaten, Spielkarten und – viele Margarinebecher. Matthias von Hartz
Altonaer Museum, bis 17. November
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