: Juristisches Hickhack um Priebke
Sobald ein rechtskräftiges Urteil gegen den früheren SS-Offizier in Italien vorliegt, sinken die Chancen für Auslieferung nach Deutschland. Verfolgtenverbände wollen dies nicht ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Wir haben einen entsprechenden Tatverdacht gegen die Herren, und wir werden und müssen diesen kraft Gesetzes auch verfolgen.“ Generalstaatsanwalt Karl Schacht von der zuständigen Stelle in Dortmund will den früheren SS- Offizier Erich Priebke und den Ex- SS-Sturmbannführer Karl Hass per Auslieferungsbegehren nach Deutschland holen. Hier sollen sie sich dann wegen ihrer Beteiligung an der Erschießung von 335 Menschen im März 1944 in den Ardeatinischen Höhlen vor Gericht verantworten. Laut Schacht haben die argentinischen Behörden bereits ihre Zustimmung zu einer Auslieferung Priebkes erteilt und damit ein wichtiges Verfahrenshindernis aus dem Weg geräumt. Da aber die italienische Justiz bestrebt ist, das Verfahren gegen Priebke durch alle Instanzen zu ziehen, rechnet man in Bonn vorerst nicht mit einer Überstellung des ehemaligen SS-Mannes.
Falls der jetzt vom römischen Militärgericht erfolgte Freispruch oder ein anderes Urteil eines italienischen Gerichts gegen Priebke rechtskräftig wird, ist eine Überstellung an die deutschen Behörden nach europäischem Auslieferungsrecht sowieso unmöglich. Entsprechend Artikel 9 des Abkommens kommt dann der juristische Grundsatz „ne bis in idem“ zum Tragen, wonach niemand wegen derselben Tat zweimal verurteilt werden darf.
Dieses Prinzip gelte jedoch nicht, wenn Priebke im jetzigen Stand des Verfahrens ausgeliefert wird, betonen übereinstimmend Schacht und Willi Dressen von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Schon in den 50er Jahren, als Bundeskanzler Konrad Adenauer deutsche Kriegsgefangene aus der Sowjetunion freibekam, wurden einige von ihnen wegen derselben Delikte von deutschen Gerichten verurteilt, wegen der sie schon von russischen Gerichten abgeurteilt worden waren. Einen entsprechenden Überleitungsvertrag, der dieses Vorgehen untersagt, hatte die Bundesrepublik nur mit den USA, Großbritannien und Frankreich abgeschlossen. Aber nicht mit Italien. Eine europäische Übereinkunft zum Verbot der Doppelbestrafung ist zwar in Arbeit, wurde jedoch von den EU-Mitgliedsstaaten noch nicht unterzeichnet.
„Wir harren der Dinge“ lautet nun Schachts Devise. Einen Freispruch wie in Rom, damit begründet, daß Priebke sich in den letzten 50 Jahren nichts zuschulden kommen ließ, werde es seiner Meinung nach hier nicht geben. „Das ist nach deutschem Recht allenfalls eine Strafzumessungserwägung.“ Auch das Argument, daß Priebkes Taten, wie schon bei vielen NS-Verfahren zuvor, von deutschen Gerichten als Totschlag gewertet werden könnten und damit als verjährt gelten, läßt Schacht nicht zu: „In der Vergangenheit sind viele NS-Verbrecher verurteilt worden, das werden wir bei Priebke und auch bei Hass zu erreichen versuchen.“
Im Fall des früheren SS- Sturmbannführers Karl Hass, der als Zeuge im Priebke-Verfahren ebenfalls zugegeben hatte, an der Erschießung von Geiseln mitgewirkt zu haben, sieht Schacht eine ähnlich „gute Beweislage“ wie bei Priebke. Nach dem Auftritt von Hass vor dem römischen Militärgericht hat die Dortmunder Staatsanwaltschaft sofort einen Haftbefehl, als Grundlage für ein Auslieferungsersuchen, erwirkt.
Hass galt lange Zeit als verstorben, nachdem ein Standesamt in Berlin ihn am 13. November 1953 offiziell für tot erklärte. Als Todeszeitpunkt war der 30. Juni 1947 aufgeführt. Deshalb hatte auch die Dortmunder Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Hass, die sie 1963 im Zuge eines Verfahrens gegen viele Angehörige der deutschen Sicherheitspolizei in Italien eingeleitet hatte, längst eingestellt. Hass bestritt gegenüber italienischen Medien, er habe sich 50 Jahre lang versteckt. Die deutsche Regierung wußte, wo er zu finden sei, denn in ihrem Auftrag habe er Soldatenfriedhöfe in Süditalien ausfindig gemacht.
Inzwischen haben sich das Auschwitz-Komitee als auch der Bund der Antifaschisten gegen eine Auslieferung nach Deutschland gewandt. Mit Blick auf die früheren milden Urteile für NS-Verbrecher hoffen sie vielmehr auf eine Verurteilung in nächster Instanz in Italien.
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