: Vollmer mahnt Verhandlungen mit Tschechien an
■ Der Bundeskanzler hat die „Schlußstrich-Erklärung“ zum Aussöhnungsprozeß zur Chefsache gemacht, aber nichts passiert, kritisiert die Bundestagsvizepräsidentin
Bonn (AFP/taz) – Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis90/Grüne) hofft dringend, daß Bundeskanzler Helmut Kohl noch in der Sommerpause die Störmanöver der Bayern gegen die gemeinsame deutsch-tschechische „Schlußstrich-Erklärung“ beendet. Es soll eine endgültige Aussöhnung zwischen den beiden Völkern begründen. Obwohl der Bundeskanzler die gemeinsame Deklaration zur Chefsache erhoben hat, gehe nichts voran. „Es liegt nur bei Kohl“, sagte sie, und „ich bin desillusioniert und depremiert“.
Antje Vollmer hat sich besonders intensiv um das Zustandekommen des Dokuments bemüht und ist innerhalb eines knappen Jahres elfmal nach Tschechien gereist. „Aus der Sicht der Tschechen liegt ein unterschriftsreifer Text seit einem halben Jahr vor“, sagte sie jetzt. Auf deutscher Seite haben bisher vor allem Forderungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft und der CSU eine Einigung verhindert. Es sei Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber gelungen, „bei Kohl ein Vetorecht Bayerns durchzusetzen“, sagte sie. Das gehe jedoch im Bereich der Außenpolitik nicht an. Die Sudetendeutschen hätten ein Recht, in die Verhandlungen einbezogen und gehört zu werden, dürften aber nicht die Möglichkeit haben, sie scheitern zu lassen.
Besondere Kritik übte Antje Vollmer daran, daß der Erklärungsentwurf zwar der CSU und der Sudetendeutschen Landsmannschaft zugänglich gemacht worden sei, nicht aber der parlamentarischen Opposition und der Öffentlichkeit.
Die Politikerin betonte, sie habe dennoch Kenntnis davon, daß die tschechische Seite bereit sei, wesentliche Forderungen ihrer deutschen Verhandlungspartner zu erfüllen. So beschränke sich in dem Dokument die Verurteilung nicht nur auf die bei der Vertreibung vorgekommenen Exzesse, sondern die Vertreibung insgesamt werde verurteilt. Darüber hinaus werde auch die These von der Kollektivschuld der Deutschen abgelehnt. „Ich habe den Eindruck, daß die Tschechen gar nicht mehr wissen, was sie noch zugestehen sollen“, meinte Antje Vollmer.
Wenn noch vor dem Herbst eine Einigung erzielt werden solle, dann sei jetzt die allerletzte Chance dafür. Für Anfang September ist eine Reise von Bundespräsident Roman Herzog nach Prag geplant. „Was soll Herzog in Prag eigentlich sagen?“ fragte Antje Vollmer. Die Reise sei in der Hoffnung vorbereitet worden, daß zu diesem Zeitpunkt die Aussöhnung gefeiert werden könne. „Wenn eine Einigung scheitert, dann wäre das desaströs, weil dann die Beziehungen schlechter wären als vorher.“ Bettina Gaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen