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Arbeit am Paradies

Staub abschütteln. Tips für Stadtflüchtige. Heute: zur Bildergalerie in Sanssouci. Enges Nebeneinander von Heiligen, Heroen und geraubten Frauen  ■ Von Katrin Bettina Müller

Zielstrebig durch den Park von Potsdam Sanssouci zu laufen ist mir noch nie gelungen. Diesmal bleib' ich auf dem Weg zur Bildergalerie an einer mit Muscheln ausgekleideten Grotte hängen. Die gestaffelten Becken an der Seite verraten noch das Vorhaben, Wasser über die Grotte plätschern zu lassen. Doch mit den geplanten Fontänen kamen die Wassertechniker Friedrich des Großen nicht zu Potte. So ist die Grotte zu einem Denkmal der Vergeblichkeit geworden, die Natur ins Rokoko-Ornament einzupassen.

Muscheln und steinerne Krusten überziehen auch die Stützmauern der Terrassen unterhalb der Bildergalerie. Denn als Friedrich 1755 eine Truppenbesichtigung in Wesel nutzte, um anschließend – inkognito! – nach Holland zu reisen, studierte er dort nicht nur private Bildergalerien, sondern engagierte vom Fleck weg einen Gärtner, der auf Korallendekorationen und Grottierarbeiten spezialisiert war. Denn den Traum von der Versöhnung zwischen Kultur und Natur zu verwirklichen war schließlich kein Kinderspiel.

Zum Plan der Verschmelzung von Architektur und Landschaft gehörte auch die Bildergalerie, die dem Bau des Schlosses und der westlich gelegenen Orangerie folgte. Die raumhohen Fenster ließen den Blick zwischen Gemälden und Garten schweifen. Das für die Betrachtung der Bilder zu grelle Tageslicht dämpfen heute allerdings Gardinen.

„Nicht gleich so viel reden, erst mal schauen“, raunzt ein ergrauter Kunstliebhaber, vertieft in rosige Engelshintern, seine Frau an. „Rubens“ seufzt die mit dem Verzeichnis der Gemälde gerüstete Dame noch, bevor sie beleidigt schweigt. Von heutigen Museen unterscheidet die Bildergalerie nicht allein die dichte Hängung, sondern auch das Fehlen von Schildchen, die Künstler und Titel nennen. Seit die Kunstgeschichte die Malerei in Werke einzelner Meister zergliedert, hat man verlernt, sich dem Gesamteindruck hinzugeben. Das enge Nebeneinander von auf Delphinen reitenden Nymphen, von Heiligen und Heroen, von Madonnen und geraubten Frauen in der Bildergalerie aber vermittelt einen anderen Umgang mit der Kunst: Wer sattelfest in den Motivgeschichten der Bibel und der Antike war, fand hier eine satte Bildlektüre. Sein Wissen und die Erkenntnis der moralischen Lehren wurde mit dem verlockenden Schimmer des Fleisches belohnt, das so frei nur in der Kunst zu haben war. Ein barocker Abglanz vom Paradies strahlte in ein Preußen hinüber, das bis zur Entwicklung eigener Kunstformen noch ein Jahrhundert brauchte. (Bis dahin mußten die Erfolge in der Kunst der Kriegführung reichen.) Landschaftsbilder finden sich hingegen nicht, denn sosehr man sich um die Inszenierung der Natur bemühte, machte sie für den auf Repräsentation bedachten König als Gegenstand der Malerei nicht genug her.

Heute bedauern die Kunsthistoriker, daß sich Friedrich Kopien und Fälschungen andrehen ließ, wo er Raffael, Tizian und Leonardo da Vinci zu kaufen glaubte. Schuld war die Eile, mit der er anderen fürstlichen Sammlern nacheiferte. Als die Wände der 1763 vollendeten Galerie mit Niederländern und Italienern gefüllt waren, erlosch sein Kaufrausch.

Schon die Zeitgenossen beeindruckte vor allem das Gesamtbild, das mit der dreijährigen Restaurierung weitgehend seinem ursprünglichen Zustand angenähert wurde. Gemälde, Skulpturenschmuck und Bausubstanz hatten im Laufe der Jahrhunderte starke Schäden genommen. Die Wände waren feucht, die Vergoldung blätterte von den Putti, die unter der Decke mit Pinsel und Fernrohr Kunst und Wissenschaft spielen, die Sandsteinskulpturen auf dem Dach bröselten, innen lösten sich Farbschichten von den Gemälden. Vor allem aber sollte der Fußboden aus weißen und gelben Marmorrauten wiederhergestellt werden. Zwar hatte man sich schon 1961 um seine Restaurierung bemüht, doch statt des unerreichbaren italienischen Marmors einheimischen Kalkstein genommen. In Rot. Den kaum noch erhältlichen gelben Marmor in einem Steinbruch bei Siena zu kaufen ermöglichte eine Spende des Vereins der Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten e.V. Zehn Millionen Mark kostete die Restaurierung der Galerie.

27.000 Besucher kamen schon im ersten Monat nach der Wiedereröffnung. Sie pilgern andächtig über eine Brücke aus Panzerglas, die den schönsten Teil des Fußbodens wie ein Bild sehen läßt. Dort bringen zierliche Ranken und Voluten, aus fünf Steinsorten eingelegt, Bewegung in den hellen Grund. Da gelingt für einen Moment die Illusion, daß Schönheit glücklich macht.

Wird fortgesetzt

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