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Ist da ein Kannibale in dir?

■ Was steckt hinter der Faszination von Feuer und Schrott? Was ist das Extreme am Extremtheater? Was bewirkt die Provokation? Vorbemerkungen zu einem Festival

Es lodert wieder. Nach vier Jahren Pause kommt das Feuer und Schrott-Festival, das 1992 auf dem Marx-Engels-Platz veranstaltet wurde, nach Berlin zurück. Ab nächstem Mittwoch kann man in der Treptower Arena zehn Tage lang Theater der extremeren Sorte erleben.

Etwa die 18köpfige multinationale Gruppe D.N.T.T., die vom Straßentheater kommt und vor vier Jahren eine „International Postmodern Pyroacrobatic Performance“ präsentierte. Diesmal stellen die Feuer-Akrobaten ihre neue Produktion „F 88“ vor, eine wirre Reise von Cape Carneval über Wüsten- und Insektenplaneten bis in eine brennende Stadt. An Flammen, Krach und Schrottkonstruktionen wird es nicht mangeln.

Anders bei der Berliner Gruppe RA.M.M., die in den vergangenen zehn Jahren nicht weniger als 34 Produktionen auf die Beine gestellt hat. In der Arena spielen sie ihre bereits letztes Jahr vorgestellten „Short Shocks“ – ein Stück, das sich von der Ästhetik aus Flammen und Kampf löst und mit Internet und Video-Beam in Richtung „High- Tech-Performance“ strebt. Das Antagon-Theater aus Frankfurt/ Main hingegen zielt mit „Schreie Niemandsland“ auf „ein ritual der neuzeit – archaisch, mythisch und erschreckend lebendig“. Daneben treten Live-Bands und Techno- und House-DJs auf, und gleich am ersten Abend laden die Werbestrategen von Chesterfield zur „Creative Party“.

Kaum bekleidete, muskulöse Leiber ringen auf eigentümlichen Fuhrwerken, die sich durch das Publikum drängen. Tote Fische fliegen in die Menge, Mehl und Blut (oder ist es doch nur eingefärbtes Wasser?) werden verspritzt. An Tauen stürzen die Akteure von der Decke und pendeln haarscharf an den Köpfen der Zuschauer vorbei. Eine Trennung von Bühne und Publikum ist nicht auszumachen, das Geschehen findet mal hier, mal dort, meist gleichzeitig an verschiedenen Orten statt, die Leute rennen ihm nach oder fliehen davor, je nachdem, wie bedrohlich sich die Aktion gestaltet.

Dies sind Splitter einer Inszenierung, die La Fura dels Baus im Herbst 1988 in Barcelona präsentierte. Mit ihrem Theater bereiteten die Katalanen vor, was die zum Feuer und Schrott-Festival geladenen Gruppen wie D.N.T.T., RA.M.M. oder der Performer Kain Karawahn mittlerweile weiterspinnen. Um ein Theater geht es, das provoziert, das einen körperlichen Angriff vorgibt und so ein überlebenstraining simuliert, auf das der Zuschauer mit beschleunigtem Herzschlag, weichen Knien und – oft genug – mit Begeisterung reagiert.

Doch mit der Provokation im Theater ist es so eine Sache. Was beim ersten Mal abendfüllend schockiert, kann beim zweiten Mal schon wirkungslos verpuffen. Nicht umsonst finden sich alle Formen, die in avantgardistischer Manier mit der bürgerlichen Kunsttradition brechen wollen, bald in deren Kanon wieder, und es ist sicher bezeichnend, daß La Fura dels Baus genauso wie D.N.T.T. am Kulturprogramm der olympischen Spiele 1992 in Barcelona mitwirken durften.

Das allein bereitet noch kein Unbehagen. Schwierig ist hingegen, daß derjenige, der sein Publikum – noch dazu mit (gespielter) Gewalt – schockieren und an Grenzen führen will, sich etwas anmaßt: nämlich das Wissen sowohl über den Verlauf solcher Grenzen als auch über den Weg dorthin. Ist da auf seiten des Akteurs nicht paradoxerweise eine Selbstgerechtigkeit im Spiel, die beim Zuschauer gerade ausgeräumt werden soll?

Szenenwechsel: Ein Abend im Sommer 1992 auf dem Berliner Marx-Engels-Platz. Auftakt des ersten Feuer und Schrott-Festivals. D.N.T.T. stellt eine „pyro-akrobatische Performance“ vor. Von einem apokalyptischen Reiter geführt, schiebt sich ein Drache aus Eisengestänge durch die Menschenmenge. Wieder und wieder speit er Feuer, dazu ertönt ein animalisches Röhren. Eine Hohepriesterin schnallt ihr Opfer auf einen zum elektrischen Stuhl umfunktionierten Einkaufswagen. Funken sprühen, die Hinrichtung wird vollzogen. Der Schädel des Opfers wird geöffnet, das Hirn verspeist. Auszüge aus Orffs „Carmina Burana“ geben die musikalische Kulisse, und Feuer lodert überall. Eine krude Mischung von ur- und endzeitlichen Mythen, von Ritterschaukampf und Zirkusakrobatik, Archaik und Science-fiction. Und – wie bei La Fura dels Baus – der Versuch, den Zuschauer aus der Position des Betrachters herauszureißen, ihn der Inszenierung einzuverleiben.

D.N.T.T. bedient sich aus dem, was andere wegwerfen. Autowracks, Maschinenteile und Müll verwandeln sich in theatertaugliche Requisiten und Kostüme. Schmutz, habe ich einmal gelesen, sei nichts anderes als Materie am falschen Ort, und jedes Bedürfnis nach Reinheit ein kleiner Wahn. Diesem Wahn stellt sich D.N.T.T. entgegen, und das ist eine durchaus sympathische Tendenz.

Neues Leben kommt in Material, das ausgesondert und als unbrauchbar abgestempelt worden ist. In der Freude am Schrott mag vieles aus den Tagen des Punk nachhallen: Was der Gesellschaft nutzloser Überrest geworden ist, stellt sich an deren Rand und zelebriert sich selbst als Müll. Wird das Weggeworfene aber zu oft gefeiert, kommt auch hier Erstarrung auf; was gestern noch unverbraucht erschien, kann sich heute, in einer Flut von Orten und Aktionen, die sich der Schrott-Ästhetik verschreiben, als Industriekitsch entpuppen.

Vom Schrott als Chiffre industrieller Zeiten springt D.N.T.T. in archaische Welten. Es ist kein Zufall, daß das Feuer im Mittelpunkt der Inszenierungen steht, flackern darin doch allerlei mythische Funken auf. Für Sigmund Freud bedeutet die Zähmung des Feuers eine erste, wesentliche kulturelle Tat, der wiederum eine erste Triebunterdrückung vorausging. Denn der Urmann, so erfahren wir aus einer Fußnote zum Aufsatz „Das Unbehagen in der Kultur“, vergnügte sich „im homosexuellen Wettkampf“, indem er auf die phallisch züngelnden Flammen urinierte. Erst als er sich dieses Vergnügen versagte, konnte er das Feuer nutzen, und um nicht weiter in Versuchung zu kommen, wurde es der Sphäre des Hauses und damit der Urfrau unterstellt. Dieser blieb das sexuelle Vergnügen an den Flammen verwehrt, hätte sie sich doch beim Versuch, auf das Feuer zu pinkeln, den Hintern verbrannt.

Wenn D.N.T.T. oder auch Kain Karawahn mit dem Feuer spielen, so mag dabei die Lust der Urmänner mitschwingen. Noch wird kein Trieb gezügelt, kein Gedanke an einen ökonomischen Nutzen verschwendet, und so läßt es sich freudvoll mit den Flammen toben. Was da aufersteht, ist eine Zeit irgendwann vor der Kultur: eine Fiktion, die sich aber im extremen Theater nicht unbedingt als solche zu erkennen gibt.

Noch eine andere Zeit klingt an: die des Rituals, als zwischen Akteuren und Betrachtern noch keine Grenze verlief. Aus der Ferne winkt Artaud, in dessen Skizze eines „Theaters der Grausamkeit“ rituelle Handlungen eine große Rolle spielen. Dahinter steht die Suche nach einem Theater, das, so Artaud, „dem Zuschauer der Wahrheit entsprechende Traumniederschläge liefert, in denen sich sein Hang zum Verbrechen, seine erotischen Besessenheiten, seine Wildheit, seine Chimären, sein utopischer Sinn für das Leben und die Dinge, ja sogar sein Kannibalismus auf einer nicht bloß angenommenen und trügerischen, sondern inneren Ebene Luft machen“.

Das Theater als Psychoschock: Es stößt sein Publikum absichtsvoll in dessen tiefste Abgründe und Triebwelten, ohne diese weiter zu betrachten oder gar zu analysieren. Was aber, wenn das, was sich da „Luft machen“ soll, nun gar nicht da ist? Was, wenn ich, selbst in meinem tiefsten Inneren, gar keine Kannibalin bin? Cristina Nord

Feuer und Schrott-Festival: 14.–24.8., Arena, Eichenstraße 4, Treptow. Informationen unter Telefon: 615 88 18

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