„Aufwändige“ Reform?

■ Erste Phase der Rechtschreibreform beginnt mit neuem Schuljahr / Selbststudium für LehrerInnen

Ein bisschen Acht geben und sich selbstständig einarbeiten sollen die Bremer LehrerInnen ab sofort, ihren SchülerInnen Angst machen allerdings nicht. Sitzen bleiben wird zunächst nämlich keineR wegen der neuen Rechtschreibregelungen.

Mit dem jetzt beginnenden Schuljahr wird die Rechtschreibreform eingeleitet, auch wenn sie erst im August 1998 umgesetzt werden soll. „Wir wollen vermeiden, daß bis 98 die alten Regelungen geübt werden“, begründet Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs den frühen Einstieg. Vor allem die ErstklässlerInnen sollen sich von Anfang an mit den neuen Regelungen vertraut machen können und nichts lernen, was ein paar Jahre später dann als „falsch“ geschrieben gilt.

Und selbst wer ein bißchen weniger achtgibt und nicht selbständigFluss statt Fluß, Brennnessel mit drei n oder rau ohne h schreibt, muß sich keine angst machen: Bis ins Jahr 2005 gilt die Toleranzphase. Erst danach kommt der Rotstift an den Tip ohne Doppel-p, an das zusammengeschriebene zuviel oder zuwenig oder das Greuel, das zukünftig Gräuel zu schreiben ist.

„Eine größere Toleranz bei der Rechtschreibung“ erhofft sich Ursula Helmke, Referatsleiterin für Schulgestaltung am Institut für Schulpraxis (WIS), möglichst auch nach der neunjährigen Übergangsphase. Ein „fehlertolerantes Nebeneinander“ verschiedener Schreibweisen soll das dudische Exaktheitsdenken ablösen. Vor allem bei Fremdwörtern bietet die Reform Alternativ-Schreibweisen zwischen ursprünglicher Schrift und neudeutscher Lautsprache an: Chicorée darf jetzt auch Schikoree geschrieben werden, Spaghetti und Joghurt auch ohne h und Geographie, Megaphon oder Delphin auch mit f. In der Zeichensetzung gibt es nun ebenfalls mehr Kann-Bestimmungen: Die Rechtschreibreform stellt es frei (,) hier ein Komma zu setzen (,) und auch beim durch ein und abgetrennten Hauptsatz ist das Zeichen keine Pflicht mehr.

Also Erleichterungen für alle? – „Insgesamt wird's leichter, aber es wird schwierig, die vielen Neuerungen zu lernen“, meint Ursula Helmke. Die I-Dötzchen, die gleich mit den neuen Fibeln lernen, werden dabei die geringsten Probleme haben. Für SchulabgängerInnen aber werden zusätzliche Kompaktkurse angeboten, in denen ihnen das, was sie jahrelang gelernt haben, nun wieder ausgetrieben werden muß bzw. muss. Die 5.000 Bremer LehrerInnen sollen sich im Selbststudium die Neuerungen aneignen, bei einer Fachtagung im Januar sollen sie ihre ersten Erfahrungen austauschen. Alle anderen müssen sich im neuen Duden oder bei Volkshochschulkursen über die neue rechte Rechtschreibung informieren, wenn sie auf den neuesten Stand kommen wollen. Denn: „Keine zusätzlichen Kosten!“ mahnt die Bildungssenatorin Kahrs.

Vereinfachung durch mehr Logik versprechen die ReformerInnen: radfahren wird mensch wie Auto fahren künftig mit zwei Worten und irgend etwas wird irgendwann wie dieses zusammengeschrieben. Daß (künftig dass, aber Schenke zu ausschenken mit e und zu Schänke mit ä geschrieben wird, macht das Lernen eher aufwendig (zu aufwenden) – oder aufwändig (zu Aufwand). sg