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Gerechtigkeit statt Geld

■ Angeklagte hatte die Gabe, ihre Mitmenschen für sich einzunehmen

Die spektakulärste Zeugin im Prozeß gegen die des mehrfachen Betruges angeklagte Altenpflegerin (siehe taz 9.8.) tritt erst zum Schluß des zweiten Prozeßtages in Erscheinung. Sie ist die letzte von insgesamt elf Zeugen und Zeuginnen, die versuchen, wenn schon nicht ihr verlorenes Geld, dann doch wenigstens Gerechtigkeit zu bekommen.

Während einige der Geprellten ihre Verluste - teilweise mehrere tausend Mark - abgeschrieben haben, geht es bei der ehemaligen Kollegin und Freundin aber um die stolze Summe von 90 000 Mark! Die hat sie der Angeklagten über mehrere Jahre hinweg geliehen. Ohne Schuldschein, ohne Zinsen. Die größte, auf einmal ausgehändigte Summe, waren nicht weniger als 60 000 Mark, die die gutgläubige Frau geerbt hatte. Sie ging sogar so weit, ihr Blanko-Schecks auszustellen: „Ich dachte, man könne damit so maximal 1.500 Mark abheben.“ Daß sie zudem noch „einige andere Unterschriften blind getätigt“ hatte, unter anderem für eine American-Express-Karte, mit der die damalige Freundin sie zusätzlich ausnahm, kann sie sich heute „auch nicht mehr so ganz erklären.“

„Es muß wohl an der besonderen Fähigkeit der Angeklagten liegen, die den Prozeß scheinbar teilnahmslos verfolgt, ihre Mitmenschen so für sich einzunehmen, daß sie ihr fast blind vertrauten. Die ausgebildete Altenpflegerin verstand es offensichtlich, sich um Menschen zu kümmern, ihnen auch in Extremsituationen zu helfen (so bei den Alkoholproblemen der damaligen Freundin), und so schließlich eine emotionale Bindung aufzubauen, die es ihr ermöglichte, das in sie gesetzte Vertrauen für ihre Zwecke zu mißbrauchen – das ergibt sich jedenfalls aus den Zeugenaussagen. So auch geschehen im Fall des älteren Ehepaares, in dessen Haushalt sie sich um den, inzwischen verstorbene Mann, der völlig aufgelöst im Zeugenstand stehenden alten Dame gekümmert hatte. „Sie war so eine gute Pflegerin, ich mochte sie richtig. Wir haben sogar zusammen geweint.“ Daß die Frau ihr immer wieder Geld gab - angeblich für Miete, Strom und Licht - lag nicht zuletzt daran, daß „sie mir immer sagte, mein Mann würde sterben, wenn sie ihn nicht mehr pflegte. Ich wollte sie nicht verlieren, und aufgrund von Pfändungen konnte sie ihre Miete wohl nicht bezahlen.“ Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob sie denn geglaubt habe, das Geld - über 100.000 Mark - jemals wiederzusehen, kann die alte Frau nur entgegnen, ihr „alles geglaubt“ zu haben.

Doch nicht nur auf privater Ebene soll die Angeklagte betrogen haben: Die Zahlung einer Krankenkasse für einen Pflegeauftrag, der normalerweise an die Pflegebedürftigen selbst geht, wurde direkt an die inzwischen selbständigeFrau überwiesen. „Sie hatte ein so freundschaftliches Verhältnis zu der Familie, daß wir da kein Problem sahen“, so die Sachbearbeiterin der Krankenkasse.

Einen Taxifahrer, der sie regelmäßig durch die ganze Stadt chauffierte, des öfteren sogar bis nach Oldenburg, bezahlte sie „nur am Anfang.“ Von ihm ließ sie sich zudem noch eine Videoausrüstung besorgen -auf die 2.300 Mark (inklusive der Fahrten) wartet der Mann noch immer. „Sie wollte es mir am Ende des Monats geben, alles was ich bekam, waren 100 Mark.“ Einen kleinen Teilbetrag ihrer Außenstände bekam auch die Firma Karstadt für ein Fernsehgerät samt Podest im Wert von ca. 3.000 Mark zurück: „Nachdem wir eine Inkassofirma beauftragt hatten, wurde eine Rate von 65 Mark bezahlt.“ Zuvor hatte die Angeklagte versucht, Karstadt mit zwei Schecks zu bezahlen, die sie mit der Unterschrift ihrer eingangs erwähnten Freundin versehen hatte. Da sie ein Faible für - nicht billige - Mode hatte, kleidete sie sich gerne in exklusiven Boutiquen ein. Für mehrere tausend Mark, die die Angestellte nun einzutreiben versucht. Bei zwei Rolladenfirmen hatte sie sich für über 10.000 Mark Spezialanlagen einbauen lassen: „Zum Schutz vor gewalttätigen Männern hilfebedürftiger Frauen die sie bei sich aufgenommen hätte.“ bez

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