: „Die hat doch einen reichen Mann“
■ Eine der beliebtesten Professorinnen der TU muß womöglich gehen: Professoren wollten nicht nach GEW-Modell Stunden abtreten, Unibürokratie handelte nicht
Die Universitäten gehören zu den härtesten Männerdomänen. Daß diese alte feministische Behauptung gerade in ökonomischen Krisenzeiten zutrifft, muß derzeit die TU-Professorin Ilse Schimpf- Herken erleben. Die knapp 50jährige Entwicklungssoziologin ist die einzige Professorin an der gesamten TU, die sich fachbereichsübergreifend mit Menschenrechten, internationaler Migration, Geschlechterpolitik, Kolonialismus und Eurozentrismus beschäftigt. StudentInnen verehren sie geradezu wegen ihrer engagierten Art, DiplomantInnen und DoktorantInnen rennen ihr die Tür ein. Dennoch – oder gerade deshalb? – muß sie Ende September gehen, wenn die Unibürokratie nicht doch noch eine schnelle Lösung findet.
Ilse Schimpf-Herken ist der typisch untypische Professor, weil nämlich die seltene weibliche Variante dieser Zunft. Ihre wissenschaftliche Karriere verlief mehr verschlungen als geradeaus. Sie koordinierte sieben Jahre lang ein ländliches Entwicklungsprojekt in den Kapverden, organisierte als Lateinamerika-Referentin der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt Kampagnen zur Rettung des Regenwaldes, engagierte sich in der Flüchtlingsarbeit und zog nebenher ihre Kinder groß. Vor sechs Jahren fragte man sie, ob sie am Fachbereich Erziehungswissenschaften die Vertretung von Professor Manfred Liebel übernehmen wolle. Altachtundsechziger Liebel ging nach Nicaragua, um ein Straßenkinderprojekt aufzubauen. Dr. phil. Schimpf-Herken stürzte sich in die Arbeit und wurde nach einem habilitationsähnlichen Verfahren mit dem Professorentitel bedacht.
Jetzt will Liebel im Herbst zurückkehren. Um seine Kollegin nicht zu verdrängen, sicherte er ihr schon letztes Jahr zu, eine Viertelstelle an sie abzutreten. Bei soviel Solidarität müßten sich doch weitere ProfessorInnen finden lassen, die – ähnlich wie jetzt manche LehrerInnen auf Initiative der GEW – eine Stunde Arbeitszeit abgeben würden. Dachte jedenfalls eine Studentinneninitiative, die bereits im September 1995 zugunsten „ihrer“ Professorin Unterschriften sammelte und sich in Unigremien einmischte. Auf ihr Drängen hin forderte der Fachbereichsrat Erziehungswissenschaften seine ProfessorInnen in einem Beschluß im Februar förmlich auf, je eine Unterrichtsstunde abzugeben. „An die 60 Professoren“, so die Initiative, hätten sie abgeklappert. Man sei „bewußt nur zu den Männern gegangen, weil es eh so wenig Professorinnen gibt“. Doch kein einziger hätte mitmachen wollen. „Die einen sagten, das sei beamtenrechtlich nicht möglich. Die anderen verwiesen auf die weiblichen Professoren. Die dritten sagten: Die hat doch einen reichen Mann.“
Auch in der Universitätsbürokratie schien man ähnlich zu denken. Bereits im Februar hatte der Fachbereich einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt, doch der landete erst drei Monate später bei der Personalstelle. Dort verging wieder ein Monat, bis dem Fachbereich signalisierte wurde, der Antrag sei nicht sachgerecht formuliert und werde nicht bearbeitet. Und das, obwohl dort inzwischen Briefe von zahlreichen TU- HochschullehrerInnen anderer Disziplinen wie Informatik oder Elektrotechnik eingetroffen waren, die sich ebenfalls für die Professorin einsetzten. Tenor: Schimpf-Herkens interdisziplinäre Arbeit, ihr Nachprüfen, ob hiesige Technologien in der Dritten Welt als Herrschaftsinstrument wirken, sei gerade für eine Technische Universität unerläßlich.
Inzwischen hält TU-Vizepräsident Ulrich Steinmüller einen neuen Antrag des Fachbereichs in den Händen, in dem die Weiterbeschäftigung der Entwicklungssoziologin auf andere Weise gefordert wird. „Angesichts der massiven Haushaltskürzungen kriegen wir keine neuen Professuren durch“, so Steinmüller. „Wir müssen also Vorhandenes umdefinieren. Hier sehe ich durchaus Perspektiven. Aber ein positives Ende der Geschichte ist damit noch nicht vorprogrammiert.“ Ute Scheub
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