: Steuerreform: Kohl wiegelt ab
■ Die Regierungsparteien streiten über erhöhte Mehrwertsteuer und den Beginn der Steuerreform. Der Kanzler kritisiert die FDP, FDP-Chef Gerhard und Graf Lambsdorff kritisieren den Kanzler
Bonn (dpa/AFP) – Abwarten und Tee trinken, scheint das Motto des Kanzlers zur geplanten Steuerreform zu sein. Während sich innerhalb der Regierungskoalition der Streit über eine mögliche Erhöhung der Mehrwertsteuer und den Zeitpunkt der geplanten Steuerreform zuspitzte, riet Kohl in einem Interview der ZDF-Sendung „Bonn direkt“, die Diskussion in der Steuerkommission unter Leitung von Bundesfinanzminister Waigel (CSU) abzuwarten. Diese werde ihre Reformvorschläge bis Jahresende vorlegen.
Zugleich kritisierte Kohl den Koalitionspartner FDP, da dieser bisher nur Forderungen erhoben, aber „keinen einzigen Vorschlag gemacht“ habe. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer komme – wenn sie denn notwendig werde – nicht in dieser Legislaturperiode und auf gar keinen Fall vor 1999, betonte Kohl. Ansonsten sei er in dieser Frage „gegen ein Dogma“. Grundsätzlich aber gehe es darum, im System von direkten und indirekten Steuern wieder zu einem ausgeglichenen Verhältnis zu kommen und insgesamt die Steuern zu senken.
Vor zwei Wochen hatte Kohl noch angekündigt, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sei unumgänglich. Am Wochenende handelte er sich dafür harsche Kritik aus den Reihen des Koalitionspartners ein. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt sagte in Interviews, er könne sich Kohls Einschätzung „nicht anschließen“. Zunächst müßten Steuern gesenkt werden. Wer jetzt schon beginne, „die Mehrwertsteuererhöhung für unumgänglich zu halten, bei dem ist der Durchsetzungswille einer Steuerentlastung eher fraglich“.
FDP-Wirtschaftssprecher Otto Graf Lambsdorff bezeichnete eine Mehrwertsteuererhöhung als „Schub für die Inflation und Schub in Richtung Schwarzarbeit“. Beide FDP-Politiker unterstrichen noch einmal, daß die geplante Steuerreform schon 1998 umgesetzt werden müsse. Vorrangiges Ziel müsse es dabei sein, Steuererleichterungen herbeizuführen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. „Da ist jede zeitliche Verzögerung falsch“, sagte Lambsdorff.
Gerhardt betonte, bevor über eine Mehrwertsteuererhöhung geredet werde, wolle er „zunächst auf dem Papier und in einer Vereinbarung und in der Wirklichkeit die Steuerentlastung sehen“.
Auch in der Union hielt die Kritik an Kohl an. CDU-Präsidiumsmitglied Christa Thoben sagte dem Nachrichtenmagazin Focus: „Ich bedaure, daß die Mehrwertsteuerdebatte unsere wichtigste Aufgabe zu erschlagen droht, nämlich niedrigere Steuersätze und eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.“ Niedersachsens CDU-Chef Christian Wulff sagte dem Inforadio in Berlin: „Auch der Kanzler ist ein Mensch. Menschen machen Fehler, und damit darf man es durchaus als Fehler bezeichnen, jetzt über eine Mehrwertsteuererhöhung zu reden, wo wir revolutionär das Steuerrecht vereinfachen und auch Steuersätze senken wollen.“
Rückendeckung erhielt Kohl von Bayerns Ministerpräsident Stoiber (CSU). Er sagte, eine Mehrwertsteuererhöhung sei notwendig, weil „wir ein Land mit exzellentem Verbrauch und Schwierigkeiten in der Produktion sind“. Deswegen sei eine Verschiebung der Steuerstrukturen nötig: „Weg von den direkten, hin zu den indirekten Steuern.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen