piwik no script img

Bremer Polizei bricht Polizeirecht

■ Verwaltungsgericht: Die bei den Chaostagen erteilten Platzverweise verstoßen gegen landeseigene Gesetze

Bremen (taz) – „Auf jeden entsetzt ausgestreckten Finger auf diese Typen kommt eine ganze Hand, die auf den Zeiger zurückweist“, so formulierte es Bremens Bürgermeister Henning Scherf noch vor wenigen Jahren, als er Sozialsenator war. „Und da sind eine Unmenge von Fragen, die die Punks uns zu stellen haben. Selbstgerechte Empörung geht nicht durch – wer über Punks reden will, muß beginnen, von sich zu sprechen und gegen sich zu fragen.“

Heute sitzt der als Linker in der SPD bekannte Henning Scherf der Großen Koalition in Bremen vor, und er tut das mit Überzeugung. Er spiele als Regierungschef der Koalition mit der CDU eben eine andere Rolle, erklärte er einmal auf die beharrliche Nachfrage, wie man Brüche in einer Persönlichkeit unterbringt.

Überhaupt kein Problem hat Scherf auch damit, daß die Bremer Polizei an jenem zum Chaostag ausgerufenen ersten Augustwochenende alle „punktypisch“ am Bremer Hauptbahnhof anreisenden Menschen zur Personenkontrolle in Empfang nahm und postwendend in den Zug zurück setzte. „Platzverweis“ sollte das sein, polizeirechtlich, und der „Platz“ war in diesem Falle die gesamte sonst auf ihre Weltoffenheit stolze Stadt Bremen.

Bedenken, daß es auch Menschen mit buntgefärbten Haaren an diesem Wochenende geben könnte, die nicht vor allem Bierflaschen werfen wollen, hatte auch Scherfs forscher Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) nicht. „Bei einem Platzverweis geht man eben nach Hause“, erläuterte Borttscheller einige Tage später dem verständig nickenden Publikum einer CDU-Stadtteilversammlung sein Rechtsempfinden. Borttscheller, der offenbar den Journalisten in den Reihen seiner zustimmenden Zuhörer übersehen hatte: „Wir machen hier CDU-Innenpolitik reinsten Wassers.“

Die 476 Platzverweise an diesem Wochenende waren möglicherweise 476 Rechtsverstöße: Mit seiner Praxis der pauschalen Platzverweise für die gesamte Stadt hat die Polizei gegen geltendes Bremer Polizeirecht verstoßen, stellte das Bremer Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung fest. Bunte Haare allein reichen nicht als Verdachtsmoment.

Auch die Bremer Richter und Staatsanwälte haben sich zu Wort gemeldet. Denn während „auswärtige“ Staatsbürger schlicht rausgeschmissen wurden aus den Grenzen der Freien Hansestadt Bremen, wurden Landeskinder, die auf dem Kopf so aussahen, als würden sie eine Straftat begehen, in eine Polizeigarage verfrachtet und mußten dort bis zu 20 Stunden auf kaltem Steinboden ausharren. Zu trinken gab es aus einem Waschbottich. „Für Gewalttäter sieht das Polizeirecht kein Drei-Sterne-Hotel vor“, bemerkte Bremens Innensenator dazu.

Schon bei den Antifeiern zur Einheit im Oktober 1994 hatten Richter die Polizei an die Rechtslage erinnert: „Unverzüglich“ müsse jemand, der ohne konkreten Vorwurf von der Polizei seiner Freiheit beraubt wird, dem Richter vorgeführt werden. Das stehe eindeutig im Polizeigesetz. „Befremdlich“ sei, daß die Verantwortlichen der Bremer Polizei aus der Verletzung des Polizeirechts 1994 „keine Konsequenzen“ gezogen hätten, formulierte ein Sprecher der Richter. Die überwiegende Anzahl derer, die so in Bremen ihre vielleicht erste Erfahrung mit Recht und Polizei machen mußten, sind zwischen 14 und 21 Jahre alt, teilte die Polizei in ihrer Erfolgsstatistik mit. Klaus Wolschner

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen