: Klein Hollywood in Hoya
■ Kino auf dem Lande (1): In Hoya und Syke bekommt man gute Filme zum heißen Kaffee serviert. Oder auch zum Cocktail mit Zigarette ...
Nichts gegen das Cinemaxx! Aber wir können auch anders. Zum Beispiel mal ins Umland gehen, wo die Kinos noch klein sind, der Service groß und die KundInnen König. Da, wo die Zeit sich am Weidezaun schuppert, ist freilich auch das Kino andere Wege gegangen. Die taz stieß allerdings auf ihrer Rundreise durch Lichtspielhäuser und Filmkunsttheater nicht nur auf verschlafen putzige Tradition oder gar ranzige Romantik, sondern auch auf modernstes Management. Zum Beispiel im Filmhof Hoya:
Das Beste daran sind die Sitze darin: gut gepolstert, breit und freies Beinspiel garantierend. Wer es sich darin kommod macht, wird von einer Art Nachttischlämpchen beschienen, die auf einer Holzleiste vor den Sitzgruppen stehen. Sie beleuchten auf der Raucherseite saubere Aschenbecher und, das gilt auch für die nikotinfreie Zone, kleine weiße Knöpfe: Die Klingel, einmal gedrückt, bringt dir zu jeder Zeit deines Kinobesuches ein frisches Bier, einen heißen Kaffee, einen Cocktail. Allein 64 Getränke stehen zur Auswahl, zusätzlich umfaßt das Sortiment natürlich Schokoriegel, Popcorn und Fruchtgummis – die Grundausstattung für jeden Kinobesucher, hier wird sie wie von Feenhänden an den Sessel gebracht.
Das ist hier schon seit zwanzig Jahren so. Und das wird auch so bleiben, beteuert Irene Möller, Hausherrin im Filmhof Hoya. „Hinter den Standard können wir nicht mehr zurück.“ Will Frau Möller aber auch gar nicht, schließlich haben Raucherlaubnis und Getränkeservice das kleine Kino weit über die Grenzen der 3.000 Seelen zählenden Gemeinde hinaus berühmt gemacht. Der Filmhof Hoya ist, letztlich auch durch ein Portrait im Fernsehen, in der Branche bundesweit bekannt. So bekannt, daß immer mal wieder namhafte SchauspielerInnen, RegisseurInnen oder Leute aus dem Business anreisen, um Irene Möller zu ihrem riesigen Publikumserfolg zu gratulieren. „Ginge es nach Umsatz und Ausstattung, ich hätte jeden Bundesstart“, kommentiert die versierte Unternehmerin ihre Bilanz.
Natürlich hat der Filmhof Hoya auch schlechte Zeiten erlebt. Schließlich wurde er bereits 1929 gegründet. Im August jenen Jahres entdeckte Willi Baumeister, Vater von Irene Möller, eine Kleinanzeige in der Hannoverschen Zeitung, in der eine „Gastwirtschaft mit kinematographischen Vorführungen“ zum Verkauf geboten wurde. Vater Baumeister schlug zu und setzte den Kinematographen in der Wirtschaft fortan regelmäßig ein. Mit „Pat und Patachon in Pelikanien“ begann die Filmgeschichte von Hoya. Ein Jahr später, mit Beginn der Tonfilmära, gabs in Hoya bereits viermal die Woche Kino, und zwischendurch auf der Bühne vor der Leinwand Theater. Am 30. September –39 jedoch fand das fröhliche Leben in der Gastwirtschaft ein jähes Ende: Ein Brand zerstörte Theater und Hotel. Fast bis auf die Grundmauern, denn die Helfer, die an einen Fliegeralarm glaubten, kamen zu spät, und die zugefrorene Weser gab kein Wasser. Doch schon 14 Tage später eröffnete Willi Baumeister mithilfe von Bettlaken und geliehenen Koffermaschinen ein improvisiertes Kino im Speisesaal des Gasthofes. Am 13.6.1941 wurde „der Weserlichthof“ wiedereröffnet und aufgrund der aktuellen Nachrichtenfilme als „kriegswichtiger Betrieb“ eingestuft.
In der Folgezeit florierte das Geschäft so gut, daß Irene Möller, die nach dem Tode des Vaters Kino und Hotel übernommen hatte, 1952 einen zweiten Vorführsaal eröffnen konnte: Die „Kammerlichtspiele“ befanden sich im ehemaligen Speisesaal und zeigten besondere Filme, solche, die sich von der Massenware abhoben. Die aber wurden, bedauert Irene Möller noch heute, in den 70er Jahren hinfortgespült von jener aufklärerischen Modeerscheinung, die als Oswald-Kolle-Welle über das Publikum kam. „Die Filme waren damals so weit runter, daß wir nicht mehr wußten, was wir in der Auslese zeigen sollten.“ Irene Möller handelte konsequent und schloß die Kammerlichtspiele. Der harmlose Sex der Schulmädchenreports durfte im Weserlichthof weiterdudeln.
Das Publikum nahm angesichts dieser Schmalkost zusehends ab. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Misere bereiste Irene Möller mit ihrem Gatten ganz Deutschland. Dabei stieß sie in Schleswig-Holstein auf die beiden ersten Kinos mit Raucherlaubnis und Getränkeservice. Die Idee zündete, und so waren bald die 230 Sitzplätze in Hoya wieder gut gefüllt. Gleichzeitig erweiterte die findige Unternehmerin ihre Angebotspalette und setzte dafür immer häufiger die alte Bühne vor der Leinwand ein. Da fand Theater zum Anfassen statt. Hier hatten Karl John, Ernst Schröder, Karl Raddatz, Hardy Krüger ihre ersten Auftritte, hier baute Rosel Zech, die zwei Häuser nebenan wohnte, regelmäßig die Bühne auf und schaute fasziniert dem Treiben zu. Konzerte, Lesungen, Stargastspiele und Feuerwehrbälle sorgten für ein volles Haus.
Ein Konzept, das sich bis heute bewährt hat. Schier unerschöpflich scheint die Phantasie der 72jährigen agilen Kinochefin. Immer wieder bietet sie dem Publikum neue Varianten des Wohlbefindens an. Reservierungen mit Platzkärtchen etwa sind eine Selbstverständlichkeit für sie. Sie veranstaltet Feten für jede Altersgruppe und bringt dazu den passenden Film auf die Bühne. Zuweilen, wie bei Schlafes Bruder, mitsamt dem Hauptdarsteller. Es gibt Kino-Kaffee-Nachmittage, bei denen Kuchen und Kaffee im Eintrittspreis enthalten sind. Frühstücks-Kino mit Sekt und Brötchen, Kinderfilmtage mit Pumuckeleis und Mäusebecher. Im Kino finden Modeschauen statt, Jazz-Frühschoppen, Kongresse, Klassentreffen, Weihnachtsmärkte und natürlich lange Filmnächte mit Lifebands.
Wenig erstaunlich, daß ganze Busse ihre Ladungen vorm Kino Hoya ausspucken. Während allerorten das Sterben der kleinen Kinos beklagt wird, kann sich Irene Möller über mangelndes Publikum nicht beklagen und eröffnete vor einiger Zeit im Hause einen zweiten Kinosaal mit 80 Plätzen. „Kinos gibt's überall. Man muß etwas Besonderes machen“, lautet ihr Rezept. Weg von Hoya, etwa in eine große Stadt mit einem großen Kino, wollte sie nie. „Hier sind wir unser eigener Herr“, sagt sie resolut. Wir, das sind Ehemann Möller und Tochter Beate. Sie sorgt dafür, daß der Kinobetrieb in die dritte Generation geht und baute jüngst das familieneigene Kino Syke ebenfalls zu einem modernen Service-Kino um. Sie habe „aus einem Saustall eine Perle des Filmgeschäftes“ gemacht, lobt anerkennend Mutter Möller.
Ans RentnerInnendasein denkt sie noch lange nicht. Noch immer ist die 72jährige mit vollem Elan dabei. „Wer einmal Filmkitt gerochen hat, kommt nie wieder los“, zitiert sie ihren Vater. Und so verbringt Irene Möller, selbst begeisterte Filmerin, einen großen Teil ihrer knapp bemessenen Freizeit in „Klein Hollywood“, ihrem Schmalfilmraum im Obergeschoß des Kinos. Hier kann, wer will, die Kinogeschichte von Hoya auf Video verfolgen, kann eintauchen in die Historie von Hollywood, Hawai oder niedersächsischem Hinterland.
Fürs Reisen hatte Irene Möller schon immer ein Faible. Das bildet, meint sie. Nicht anders das Kino, wenn man es richtig anstellt. „Ich will die Leute erziehen“, sagt die forsche Dame, die von Schlägerfilmen und Billigproduktionen wenig hält. „Ich zeige, was ich will“, hält sie dagegen. Und das ist ein Programm, das auch einem Stadtkino gut anstehen würde, und mit dem Irene Möller bereits drei Preise errungen hat. Das läßt sie zuversichtlich in die Zukunft und liebevoll über ihr Kino blicken: „Was meinen Sie, wie oft ich hier den Stuck abgehängt habe und wieder zum Vorschein gebracht habe, weil die Leute das wollten. Aber das ist nun mal bei uns so. Der Kunde ist König.“ dah
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen