Öffentlich-rechtliche Sendestörungen

■ Unvollständige Chronik kurzfristiger, aber wohlgewollter Programmänderungen

Sollte die Sendung „Schreinemakers live“ heute kurzfristig unterbrochen werden, wäre das ein Novum im deutschen Fernsehen. Einzig in Talkshows wurde schon mal hin und wieder der Ton abgedreht. Gängiger ist die Gepflogenheit des Bayerischen Rundfunks, der schon öfter Unliebsames aus dem Programm nahm.

Schon im Januar 1961 übte der Münchner Sender vornehm Zurückhaltung, während der Hessische Rundfunk, der NDR, Radio Bremen und der SFB „Die Sendung der Lysistrata“ auf dem Programm hatten. Fritz Kortner hatte Aristophanes' Evergreen für das Fernsehen bearbeitet. Romy Schneider rollte darin rücklings auf einem Lotterbett, und die Kamera stand dabei so tief, daß ungebührliche Einblicke in Romys ohnehin freizügiges Dekolleté unvermeidlich waren. Aber womöglich mag anderes ausschlaggebend für die Absetzung gewesen sein, hatte sich Kortner doch erkühnt, den klassischen Stoff mit einer zeitgemäßen Rahmenhandlung zu versehen, die Lysistratas pazifistische Manöver mit der Wiederbewaffnung der BRD in Zusammenhang brachte.

Nicht immer waren die Fälle der Einflußnahme so spektakulär und offensichtlich. Kabarettsendungen wie „Hallo Nachbarn“ wurden bereits vor der Sendung auf Linie gebracht. Nur selten ließen sich die Streichungen so ohne weiteres ausmachen wie bei jener Ausgabe, die statt der vorgesehenen 45 Minuten nur noch zirka 30 währte. Auch in der „Panorama“-Sendung vom 9.11. 1964 fehlten einige Meter Film, die eine Aktion der Ostermarsch-Bewegung dokumentierten. Die Episode „Besuch aus der Ostzone“ der Sendereihe „Ein Herz und eine Seele“ ausgerechnet am Tag der deutschen Einheit auszustrahlen, fand der Rundfunkrat des SFB nicht redlich und intervenierte, unter tatkräftiger Mithilfe des SPD-Vertreters, beim Intendanten. Der allerdings bewahrte kühlen Kopf. Dieter Stolte, 1976 noch Programmdirektor des SWF, gab nicht viel auf Politlyrik und unterband persönlich den Vortrag von Alfred Andersch' „Artikel 3 (3)“. 1977 wechselte die Sendung „Glashaus“ recht unvermittelt ihr Thema – statt über das Verhältnis von Arbeiterschaft und Fernsehen wurde über Talkmaster parliert. 1980 mußte Wolf Biermann unverrichteter Dinge abziehen, weil er nicht dem Geschmack des BR- Chefredakteurs Mühlfenzl entsprach. Derselbe Mühlfenzl boxte im Folgejahr eine Sendung über die Nürnberger Hausbesetzerszene aus dem Programm. Erst recht mochten die Bayern Dieter Hildebrandt nicht leiden, als der im Mai 1986 auf Tschernobyl zu sprechen kam. Man tat, was besser die Sowjets hätten tun sollen: Man schaltete ab. Harald Keller