: Selbstmord in der Erdinger Abschiebehaft
■ Ausreise durch Festnahme verhindert: Ukrainer erhängte sich im Gefängnis
München (taz) – Der Selbstmord eines ukrainischen Asylbewerbers im Knast von Erding bei München hat juristische Folgen: Die Tochter des Mannes hat Strafanzeige wegen Tötung durch unterlassene Hilfeleistung gestellt. Sie wirft den bayerischen Behörden vor, ihren depressiven Vater in Abschiebehaft genommen zu haben, obwohl er freiwillig in die Ukraine zurückkehren wollte. Außerdem seien die Beamten der JVA Erding von mehreren Besuchern auf die Selbstmordabsichten des Mannes hingewiesen worden. Trotzdem sei er weder von einem Arzt untersucht worden, noch hätte er die notwendigen Medikamente erhalten.
Juri P. war 1990 in die Bundesrepubik gekommen; im Juni 1996 wurde sein Asylantrag endgültig verworfen. Die Erdinger Ausländerbehörde setzte ihm daraufhin eine Ausreisefrist bis Ende August 96. Juri P. besorgte sich seine Ausreisedokumente bei der ukrainischen Botschaft und erklärte in der Erdinger Ausländerbehörde persönlich, daß er in die Ukraine zurückkehren wolle. Auch sein Anwalt hatte der Behörde die Ausreisewilligkeit des Mannes mitgeteilt.
Am 9. Juli wurde Juri P. trotzdem festgenommen – als in seiner Wohnung bereits Freunde aus der Ukraine eingetroffen waren, um ihm beim Umzug zu helfen. Der zuständige Sachbearbeiter des Erdinger Landratsamtes beantragte nach der Festnahme, Juri P. In Abschiebehaft zu nehmen. Der Richter am Amtsgericht Erding stimmte diesem Antrag zu: „Es besteht der dringende Verdacht, daß der Betroffene sich der Abschiebung entziehen will“, lautete die Begründung.
In Abschiebehaft hatte der schwer depressive Mann, der seit Monaten von einem Psychiater behandelt wurde, nach Angabe seiner Tochter keines seiner antidepressiven Medikamente dabei. Daß er an Selbstmord dachte, war mehreren Besuchern klar, weil er sie unter anderem nach einer Schere gefragt haben soll. All dies sei den Beamten der JVA mitgeteilt worden, sagt der Anwalt der Tochter, Hubert Heinhold: „Und obwohl der Mann mehrere Tage nichts gegessen hat und auch Mithäftlingen wegen seiner schlechten Verfassung auffiel, wurde er nicht einmal von einem Arzt untersucht“, kritisiert Heinhold. Selbst einen Gürtel habe man ihm gelassen. Mit diesem Gürtel erhängte sich Juri P. am 13. Juli, vier Tage nach seiner Festnahme.
Die Erdinger Ausländerbehörde hat inzwischen sogar das Sparbuch von Juri P. beschlagnahmt, um die Kosten für die Abschiebehaft zu finanzieren. Die Sprecherin der Behörde, Eva Hinterwimmer, hält die Vorwürfe trotz allem für unbegründet: „Wir wußten nichts von den angeblichen Krankheiten des Mannes“, sagt sie. Außerdem habe man Juri P. vor seiner Festnahme aufgefordert, bis Mitte Juli auszureisen, was er nicht getan habe. Juri P.s damaliger Anwalt, Sewarion Kirkitadse, hält diese Behauptung allerdings für falsch: „Mein Mandant hatte einen gültigen Ausreiseschein, nach dem er bis zum 30. August ausreisen mußte.“ Die Abschiebehaft Mitte Juli sei also unnötig und unrechtmäßig gewesen.
Seit der Asylrechtsänderung im Juli 1993 haben sich nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrats in der Bundesrepublik 28 Menschen in Abschiebehaft umgebracht, zehn davon allein in Bayern. Wie viele Selbstmorde es in normalen Asylbewerberheimen gegeben habe, sei mangels Statistiken nicht festzustellen. Felix Berth
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