: Die Macht der Sequenzen
■ Quasar Companhia mit der Langfassung von „Versus“: ein Höhepunkt beim Sommertheater
Eine Frau und ein Mann sitzen gelangweilt auf der Bühne. Sie warten auf ihr Publikum. Breitbeinig flezen sie in zwei Stühlen herum, die Augen hinter coolen Sonnenbrillen versteckt, und drehen langsam die Köpfe nach den Zuschauern, die nach und nach ihre Plätze einnehmen. Dann ruckt der Kopf des Mannes auf einmal rhythmisch nach rechts, nach links, wieder nach rechts, nach links. Die Frau folgt der Bewegung so lässig wie die Bezaubernde Jeannie. Musik setzt ein, ein Fuß zuckt, ein Arm schlenkert, zwei Beine heben sich, zwei Oberkörper fallen wie Marionetten nach hinten über die Stuhllehnen.
Tanztheater im Sitzen. Die siebenköpfige Gruppe Quasar Companhia de Danca aus Brasilien verwandelt selbst die vermeintlich trägste Körperhaltung in pure Dynamik. Was ganz langsam anfängt, steigert sich zu einer temporeichen Skizze über Macht und Gewalt, Sex und Körpergefühl in der brasilianischen Jugendszene.
Wer weiß noch, was Männlein, was Weiblein heute ausmacht? Da müssen sich die Tänzer schon gegenseitig in die Hose gucken oder in den Schritt fassen. Und auch der Zuschauer muß genau hingucken. In aller Selbstverständlichkeit springen und wälzen sich die vier Frauen und drei Männer erst in bunten Hosen, dann im kurzschwingenden, schwarzen Röckchen um die eigene Achse, hechten übereinander und verschlingen sich ineinander. Die Geschlechterrollen wirbeln durcheinander: Zwei Frauen kämpfen verbissen um eine Pistole, während zwei Männer gockelhaft und lasziv wie auf einem Laufsteg die Ärsche hin und her schwenken.
Faszinierend, wie lässig die Tänzer selbst in den rasantesten Momenten bleiben. Eine kleine Berührung, wie zufällig auf den Bauch eines wehrlos Daliegenden, endet in einer Gewaltorgie. Wie Gewalt in Sekundenschnelle explodiert, wie Macht binnen kurzem zerfällt, das zeigt die Quasar Companhia überzeugend im Zeitraffertempo. So lang wie ein durchschnittlicher Videoclip dauern die einzelnen Sequenzen, hochgepeitscht von Popsongs des Brasilianers Arnaldo Antunes und ekstatischer Burundi-Trommelmusik, grell ausgeleuchtet von blitzschnellen Scheinwerferwechseln.
Eine Kurzversion von Versus wurde bereits im Frühjahr beim lateinamerikanischen Tanztheaterforum Movimientos 96 gezeigt und mit dem Produzentenpreis von 50.000 Mark ausgezeichnet. Die jetzt uraufgeführte Langfassung kommt nach kurzweiligen 60 Minuten genau passend zur Ruhe. Dann sitzen wieder ein Mann und eine Frau gelangweilt auf zwei Stühlen, diesmal mit dem Rücken zum Publikum. Und sie zappen die letzten Zuckungen der Tänzer auf der Bühne einfach mit der Fernbedienung weg. Klick, aus, donnernder Applaus. Kira Moll
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