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Vernichtende KZ-Rituale

■ SchülerInnen der Gesamtschule Brinkum haben die Degradierung zur Nummer bei der Einlieferung in KZs studiert / Buch-Dokumentation und Ausstellung im WIS

Weiße Gipshände strecken sich mir verkrampft aus dem Dunkel eines alten Eisenbahnwaggons entgegen, große Hände neben kleinen Kinderhänden.

Die Handgelenke verletzen sich fast an dem spitzen Stacheldraht. Sie greifen nach etwas, sie sprechen zu mir. Nur eine kleine Luke verbindet sie zur Außenwelt. Ein Frachtbrief ist auf dem Waggon befestigt. Darauf steht: Bezeichnung des Gutes: Häftlinge. Art der Verpackung: 50 Wagen.

„Vom Namen zur Nummer“ heißt die Ausstellung der Projektgruppe „Judenverfolgung“ der kooperativen Gesamtschule Stuhr-Brinkum. In ihr dokumentieren 15 OberstufenschülerInnen das Einlieferungsritual der Nazis in den Konzentrationslagern: Die Beraubung der Freiheit, des Eigentums, der Haare, der Würde. Diese Degradierung zum Nichtmenschen, die ungeheure Demütigung, die Wegnahme des eigenen Ichs bringen neben sachlichem Archivmaterial bewegende Zeichnungen und Berichte der Opfer zum Ausdruck.

Ein Regal veranschaulicht die Hierarchie der Häftlinge und das „Schubladendenken“ der Nazis. Ganz oben in der Abfolge steht der Berufsverbrecher, ganz unten der Jude. In jedem Fach liegt ein persönlicher Lebenslauf mit Foto und verleiht dem Ganzen einen persönlichen Bezug.

Die Schüler haben letztes Jahr einen Teil ihrer Sommerferien dazu genutzt, insgesamt fünf Konzentrationslager aufzusuchen und dem Ritual anhand von Archiven und Betroffenenberichten nachzugehen. Sie suchten den Kontakt zu Überlebenden, trafen sich persönlich mit ihnen oder kommunizierten brieflich miteinander. „Dabei sind richtige Freundschaften entstanden“, sagt Antje Ahrends, die demnächst einen alten Mann in Paris besucht. „Wir waren erstaunt, wie offen wir mit einigen ehemaligen Häftlingen reden konnten“, sagt Antje Burat. „Mit einem trafen wir uns im KZ Buchenwald; der forderte uns sogar auf, keine Scheu vor Fragen zu haben.“ Einmal wöchentlich, am Freitagnachmittag, trafen sich die OberstufenschülerInnen; damit war es jedoch nicht getan. Zu Hause ging die Arbeit weiter. „Mit der Zeit ist das Projekt für viele von uns zum Hobby geworden und hat nur noch indirekt etwas mit Schule zu tun“, sagt Antje Burat.

Dieses Projekt unter der Leitung der Religionslehrerin Ilse Henninger hat bereits eine dreijährige Tradition. Letztes Jahr lief eine Ausstellung unter dem Thema „Vom Nachbarn zum Juden“, die den Spuren ehemaliger Juden aus Syke nachging. Die jetzige Austellung erhielt den Förderpreis für demokratisches Handeln von Frau Hamm-Brücher und steht unter der Schirmherrschaft von Rita Süssmuth. „Uns kommt es gar nicht auf die Auszeichnungen an, am wichtigsten ist uns die Anerkennung ehemaliger Häftlinge und der Beitrag zum Nicht-Vergessen unserer Vergangenheit“, meint Antje Burat.

Aus den eigenen Reihen erhielt die Projektgruppe bisher keine große Unterstützung. „Der Schulleitung ist es bereits ein Dorn im Auge, wenn wir wegen einer Eröffnung wieder einen Tag frei nehmen müssen“, sagt Antje Burat. Und von Seiten der übrigen SchülerInnen kommt auch keine große Rückmeldung: „Die sind oft genervt. Die schon wieder hieß es oft, als wir die zweite Ausstellung eröffneten.“

Im Gästebuch haben sich ehemalige Häftlinge verewigt. „Nie wieder – Gegen das Vergessen“, steht da und daneben mit zittriger Schrift eine nichtssagende Nummer. Julia Reichardt

Die Ausstellung ist noch bis Mitte September zu sehen: Institut für Schulpraxis, Am Weidedamm 20 in Bremen.

Das Buch zur Ausstellung ist im DONAT-Verlag (für DM 14,80) erschienen.

Es ist für 14.80 DM im Handel erhältlich.

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