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Bis der Beton bricht

■ Bremer Forscher untersuchen auf dem „AG-Weser“-Gelände, ob alte Brücken nicht doch noch gut genug sind

Der Betonträger ächzt und biegt sich unter dem Druck überdimensionaler Schraubzwingen, die im Boden verankert sind. Bei einer Last von 92 Tonnen, das entspricht drei großen LKWs, hat sich die Unterseite der einstigen Drakenburger Weserbrücke um 20 Zentimeter gesenkt. Im normalen Straßenverkehr gibt der Träger höchstens 3 Zentimeter nach. Bei 300 Tonnen erwarten die Wissenschaftler, daß das 41 Meter lange Spannbetonteil auseinanderbricht.

Doch es ist nicht rohe Zerstörungswut, die auf dem Testfeld über einer soliden Bunkersohle auf dem ehemaligen AG Weser-Gelände in Gröpelingen waltet. Mit großem Aufwand wurden die Teile der im Dezember abgetragenen Brücke bei Drakenburg per Binnenschiff nach Bremen gebracht. Forscher der Hochschule Bremen und ihre Partner aus drei Hochschulen aus Dresden, Leipzig und Weimar testen Verfahren, um die Tragfähigkeit alter Brücken experimentell zu messen. Wenn man herausfindet, ob die Konstruktion noch hält, lassen sich frühzeitige teure Abrisse künftig zu vermeiden. Indem sie einmal in Gröpelingen einen Träger zerbrechen und mit speziellen Geräuschsensoren und Schwingungsmessern das Verhalten des Betons studieren, gewinnen die Forscher wertvolle Daten über die Bruchpunkte anderer Betonteile. Ein anderes Stück Brücke wird ständig auf und nieder gedrückt mit einer Last, die zwei gleichzeitig passierenden LKWs entspricht. So simulieren die Forscher die dynamische Bewegung, die eine Brücke aushalten muß. Extra-2 (Experimentelle Tragfähigkeits-Sicherheitsbewertung) heißt das Forschungsprojekt, das vom Bundesforschungsministerium bis 1998 mit gut drei Millionen Mark gefördert wird. Der Staatssekretär und Bremer CDU-Chef Bernd Neumann betont den Nutzen für Umwelt und öffentliche Kassen: Weniger Bauschutt müsse entsorgt werden, weniger staubige Abrisse nervten die Anwohner, Kommunen oder Wasser- und Schiffahrtsämter könnten Investitionen verschieben. „Wenn nur eine Brücke nicht abgerissen werden muß, sind die Kosten für die Forschung wieder drin“, lobt Neumann. Das sei anwendungsorientierte Forschung, wie sie besonders in Fachhochschulen geleistet werden könne.

Nach Angaben von Statik-Professor Dr. Klaus Steffens von der Bremer Hochschule sind von den 90.000 größeren Spannbetonbrücken in Deutschland 5.000 geeignet, mit der Extra-Methode untersucht zu werden. Auch die Tragfähigkeit etwa von gegossenen Fabrikhallendecken könnten getestet und gemessen werden. So hätte sich Mercedes in Bremen Millioneninvestitionen gespart, weil die Extra-Leute nachgewiesen hätten, daß ein für die Produktion vorgesehenes ehemaliges Lagerhaus in Hemelingen doch für den Gabelstaplerverkehr geeignet sei. Auch die ehemalige Zentrale der „AG-Weser“ war mit Extra-Hilfe für ihre neue Nutzung durch die Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) gecheckt worden.

Natürlich, so betont Professor Steffens, könnten die Extra-Methoden die normale Untersuchung von Brücken per Augenschein und Messungen äußerer Verformungen nicht ersetzen. Dazu sei das Meßgerät zu teuer. Nur einige Verfahren der Schwingungsmessung sollten in die regelmäßigen Checks integriert werden. Wenn aber eine Behörde am Scheideweg „Abriß oder Weiternutzung“ stehe, dann könnten die Forscher mit voller Ausrüstung anrücken. Das mobile Meßgeschirr würde montiert, schwere LKWs über die Brücke geschickt und nach einem halben Tag hätte man vielleicht schon Klarheit, ob man sich Millionen sparen und ein Verkehrschaos vermeiden kann, weil einfach noch ein paar Jahre mit dem alten Bauwerk geht. „Wir haben allein von Bremen aus 15 Brücken untersucht“, sagt Steffens, „alle können erhalten bleiben.“ jof

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