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Ein Junkie mit geballter Faust

Celia-Bernecker-Medaille für Werner Hermann, den Gründer des Drogen-Selbsthilfenetzwerkes JES.  ■ Von Manfred Kriener

Das Halbrund der Gratulanten empfängt ihn mit der ganzen Wärme und Ängstlichkeit, die dem Todkranken gebührt. Werner Hermann geht, fast getragen von den Blicken, stockend und mit kleinen, langsamen Schritten auf die Sitzbank im Vorraum der Krankenstation zu. Er nimmt, mit der brennenden Zigarette in der Hand, genau dort Platz, wo ein Verbotsschild mit abgeschabten Lettern gebietet: Das „Rauchen auf der Station ist untersagt“. Hier sitzt er richtig, einen passenderen Platz hätte er nicht finden können. Werner Hermann hat die zweite Hälfte seiner 53 Jahre ohne Unterbrechung mit der und gegen die „fanatische Verfolgung von Drogenkonsumenten“ gelebt. Er eröffnet die Feierstunde, vermutlich ohne es zu merken, mit einem kleinen, aber hochsymbolischen Regelverstoß.

Ein wenig in sich versunken, den Kopf auf die Seite gelegt, wartet er auf die Lobreden – von der Aidserkrankung schwer gezeichnet, aber aufrecht und beinahe gelassen. Er stehe irgendwo dazwischen, sagt er kaum hörbar, zwischen den Lebenden und den schon an Aids Gestorbenen.

Werner Hermann wird auf der Aids-Station des Berliner Auguste-Viktoria-Krankenhauses mit der Celia-Bernecker-Medaille ausgezeichnet: Sie wird alljährlich herausragenden Persönlichkeiten aus der Drogenarbeit verliehen, Menschen, die mit ihrem „unermüdlichen Einsatz den drogenkonsumierenden Frauen und Männern den Glauben an sich selbst wiedergegeben haben“. Mit dem Preis werden „Humanität, Entschlossenheit und tatkräftige Unterstützung“ für HIV-Positive und Aidskranke gewürdigt, sagt Mischa Hübner vom Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe (DAH).

Die liebevollen Reden können den Gründer, Motor und Dreh- und Angelpunkt des Drogen- Selbsthilfenetzwerkes JES (Junkies, Ehemalige, Substituierte) in seiner schillernden Persönlichkeit kaum fassen. Er habe hartnäckig und verbissen für seine Sache gekämpft, manchen dabei vor den Kopf gestoßen. So kann man es auch nennen. „Da sitzt der hier mit seinem fetten Arsch und erzählt diese Scheiße, während unsere Leute verrecken“, blaffte er einen ideologisch verbohrten Vertreter der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren während einer Podiumsdiskussion an. Typisch Werner Hermann.

Wer Werner Hermann auf einer Diskussionsveranstaltung erlebt hat, wird seine bellende Rhetorik nicht so schnell vergessen. Einer, der immer um Leben und Tod zu diskutieren schien. Laut, heftig, giftig und in Hochgeschwindigkeit. Hingeguckt und hingehört haben alle, wenn er redete. Die einen entsetzt und abgestoßen, die anderen voller Bewunderung. Kein Rüpel, aber ein großer Provokateur. „Er hat wegen seiner begrenzten Lebenszeit einfach keine Zeit, um diplomatisch zu sein“, sagt Gundula Barsch, Drogenreferatsleiterin der DAH. Mit seinen grandiosen Auftritten hat sich Hermann Respekt verschafft, kompetent war er sowieso. Mit ihm als Frontmann ist JES schnell zu einer Institution geworden, die auch von den Bonner Ministerien immer wieder – zumindest – angehört wird. Der Junkie als Experte. Das muß man erst mal hinkriegen. Das Irritierende an Hermanns öffentlichen Debatten war sein Selbstbewußtsein. Er redete als Junkie, ohne ins Raster des verelendeten Underdogs zu passen. Schon gar nicht rhetorisch. Er verweigerte die ihm zugewiesene Stellung des reuigen Sünders und Gestrandeten. Er verlangte sein Recht. Selbstbewußt verteidigte er seinen Rauschmittelkonsum, bezeichnete einige Drogenerlebenisse als „Diamanten meines Lebens“, forderte kulturell-ästhetische Schutzräume, um dem zivilisierten Menschen des 20. Jahrhunderts mit Halluzinogenen sonst „unzugängliche Erlebnisebenen und Empfindungstiefen zu öffnen“. Droge als Genuß, als aufregende Expedition ins Denken, aber vor allem auch als anthropologische Konstante, die fest und unausrottbar zum Leben der Menschen gehört.

Sein wichtigster Satz: „Nicht die Droge, sondern die Drogenpolitik treibt die Menschen ins Elend.“ Diesem Elend setzt er seine Visionen entgegen: Produktion, Handel und Konsum von Drogen sollten legal sein und nach anerkannten Regeln stattfinden, „risikobewußt, mit Warnungen, wo Warnungen nötig sind, und mit Hilfen, wenn jemandem eine ausweglose Lage droht“.

Über den Konsum von Heroin redete er mit der Selbstverständlichkeit wie andere über den von Gummibärchen. Um sein süchtiges Ich mit diesem und anderen Stoffen zu bedienen, ließ er in seinem Leben nichts aus: Dealen, Stehlen, Fälschen, Arbeiten, Schmuggeln, Leihen, Betteln, Absitzen, Entziehen. Mehr als sieben Jahre saß er im Gefängnis. Daß Drogenkonsum und Sucht nicht Episode bleiben können, überwindbares Experimentierstadium, sondern für viele zum schweren Schicksal werden, bestimmend für den Verlauf eines ganzen Lebens, dafür machte Hermann die restriktiven Gesetze und die gesellschaftlichen Bedingungen verantwortlich.

Daß er selbst ein Opfer dieser Drogenpolitik geworden ist, an deren Folgen er jetzt stirbt, konnte er nie ganz sicher beweisen. Aber für ihn ist klar, daß er sich Anfang der 80er Jahre im Berliner Gefängnis Tegel mit der verseuchten Stationspumpe, sagt er ein wenig spöttisch, „das Virus zugelegt hat“. Eindrucksvoll hat er geschildert, wie die Spritze von Infizierten und Nichtinfizierten während des Umschlusses ohne Desinfektion unter höchstem Zeitdruck hintereinanderweg benutzt wird: „Jeder schützt sich, so gut es geht, und oft geht nichts.“ Vor drei Jahren schrieb er: „Die Aufmerksamkeit für umherfliegende Viren ist unterentwickelt, wenn die gesellschaftliche Ächtung Drogenkonsumenten zu Russisch-Roulette-Spielern macht, die mit dem täglichen Gedanken an das eigene Ableben vertraut sind.“

Jetzt werden dem Preisträger die Blumensträuße überreicht. Sonnenblumen, Gräser, eigentlich hätte der Mohn dazugehört, aber der welkt so schnell. Werner Hermann blickt auf die Blüten und berichtet von seinen Ausfällen. Ganz langsam, die Worte mühsam suchend. An manchen Tagen ist er fast blind. Bestimmte Farben verschwinden, auch die Perspektiven. Aber „die Furcht und Angst vor dem Verfall sind schlimmer als der Verfall selbst“. Das ist Trost für die Freunde, die doch eigentlich ihn trösten müßten.

Nicht Trost, sondern Anstiftung zur Gegenwehr hat der Geehrte mit dem vierteljährlichen JES- Rundbrief verbreitet. Eine zusammengeheftete Blättersammlung für die eigene Gemeinde, immer ein wenig mit der geballten Faust geschrieben, aber strotzend vor Information. Und in seiner ganzen, rührenden Unvollkommenheit das wichtigste und authentischste Druckerzeugnis über Drogenpolitik in Deutschland. Ein Thema taucht immer wieder auf: die Substitution.

Vielarbeiter Hermann hat als einziger in der Deutschen Aidshilfe ein Einzelzimmer. Dort rackerte er täglich von 10 bis 20 Uhr, sammelte und kommentierte akribisch alle Nachrichten zum Thema. Je erfolgreicher und zahlreicher die legalen Ersatzdrogen wie Methadon eingesetzt werden, desto dringender werde die Nachfrage, schrieb er: „Je mehr sich die Erfahrung ausbreitet, daß ein Leben ohne Verfolgung und Heimlichkeit und Ächtung möglich ist für unsereins, desto weniger läßt sich diese Reform noch aufhalten.“ Er wetterte gegen die engen Zulassungskriterien der Methadonprogramme, versammelte „Drogenkriegspazifisten und Reformdenker“ zu Seminaren und Kongressen, formulierte Aufrufe und Proteste gegen die offizielle Drogenpolitik.

Änderungen müßten millimeterweise errungen werden, gab er als Parole aus. Er hatte Erfolg. Daß sich der Wind gerade in den letzten Jahren gedreht hat, daß tatsächlich Bewegung in die Drogenpolitik gekommen ist, war zuletzt unübersehbar. Die Gesellschaft nahm die Vorgaben auf, erweitert langsam die Substitution, erste Druckräume sind eingerichtet. Es wird über Originalstoffvergabe und Haschisch-Verkauf in Apotheken diskutiert.

„Was Werner vor zehn Jahren eingeklagt hat und wofür er ausgelacht und geprügelt worden ist, das wird heute von Drogenpolitikern wie Voscherau ganz selbstverständlich gefordert“, sagt Mischa Hübner. Auch die in Bonn geplante und überall gefürchtete Novellierung zur Betäubungsmittelverschreibungsverordnung wird diese Entwicklung nicht mehr zurückschrauben können.

Der Preisträger sitzt immer noch unter dem Rauchverbotsschild. Er ist inzwischen bei seiner dritten Kippe angekommen. Die Grußbotschaften werden verlesen. Das niederländische „Institut for Alcohol and Drugs“ gratuliert: „Du hast den Usern Beine gemacht und hast ihnen vorgemacht, daß man auch als Junkie seine Interessen vertreten kann.“ Dann wünschen sie Werner Hermann noch glückliche Stunden. Und einen guten Abschied.

Hermann hat die Medaille in seinen Schoß gelegt und betrachtet sie immer wieder. Auf ihrer Rückseite steht: „Drogengebraucher besitzen ebenso wie alle anderen Menschen ein Recht auf Menschenwürde. Sie brauchen es nicht erst durch abstinentes und angepaßtes Verhalten zu erwerben.“

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