: Subbotniks im Silicon Valley
Die Halbleiterplatte als Großstadt: Der amerikanische Computerjournalist Michael S. Malone hat den Nerds dieser Welt einen Gefallen getan und eine schwärmerische Biographie des Mikroprozessors geschrieben ■ Von Tilman Baumgärtel
Es gibt Technologien, die mehr tun als funktionieren. Einige technische Innovationen haben die Welt nachhaltig verändert: Schießpulver, Dampfmaschine, Webstuhl oder Ottomotor waren nicht nur technologische Revolutionen, sondern haben auch soziale Umwälzungen ausgelöst. Ein Buch des amerikanischen Computerjournalisten Michael S. Malone schildert die „Biographie“ einer Erfindung, die gerade dabei ist, unser Leben ordentlich umzukrempeln: der Mikroprozessor.
Mikroprozessoren steuern nicht nur als „Zentralhirn“ die Funktionen jedes Computers; kleine „Mikrokontroller“ stecken mittlerweile in fast jedem Haushaltsgerät wie Radiowecker oder Mikrowellenherd. Dabei ist es gerade mal 25 Jahre her, daß verschiedene Halbleiterfirmen in den USA an einem „Computer auf einem Chip“, wie der Mikroprozessor Anfang der siebziger Jahre genannt wurde, zu arbeiten begannen. Damals war es für die Entwickler ein ambitioniertes Ziel, einen Computer zu bauen, der „so groß wie eine Spülmaschine“ war. In großen Firmen, die die neue Technologie für sich zu nutzen begannen, füllten die riesigen IBM-Mainframes noch ganze Gebäudetrakte.
Die Ingenieure Frederico Faggin, Stan Mazor und Masatoshi Shima, die 1970 die Firma Intel gegründet hatten, waren die ersten, die es schafften, die wichtigsten Steuerfunktionen eines Computers auf einem kleinen Halbleiterplättchen zusammenzufassen. Malones Buch beschreibt die Entwicklung von diesem legendären Intel-Chip, dem 8080, zu den immer schnelleren Mikroprozessoren, deren Bezeichnungen inzwischen schon fast zu so geläufigen Namen wie Tesa oder Maggi geworden sind: der 386er, der 486er, der Motorola-Power-PC- Chip und der Pentium, der 1994 in einer gigantischen Marketingkampagne wie ein Markenartikel beworben wurde („Intel Inside!“).
Michael S. Malone hat als Reporter der San José-Mercury- News, der Lokalzeitung von Silicon Valley, die Entwicklung der Computerindustrie von Anfang an beobachtet. Man merkt, daß er mit dieser Szene außerordentlich vertraut ist, was dem Buch allerdings manchmal mehr schadet als nützt. An einigen Stellen kann Malone gar nicht aufhören, mit technischen Details um sich zu werfen. So hätte er es sich und uns ersparen können, den Herstellungsvorgang eines Mikroprozessors auf 40 öden Seiten zu schildern. Malone ist so stolz darauf, daß er verstanden hat, wie das funktioniert, daß er seinen Lesern auch die kleinsten Details dieses Spektakels nicht vorenthalten mag. Dabei soll „Der Mikroprozessor“ eigentlich kein Buch für Fachidioten sein, sondern „eine unterhaltsame Geschichte über menschliche Ambitionen, über Gier, Teamarbeit, Streit und Ruhm“, wie es in Malones Vorwort heißt.
Doch wie schreibt man die Geschichte eines winzigen Silikonscheibchens, dessen Funktion kein Mensch versteht, der nicht Informatik studiert hat? Malone macht aus der Geschichte des Chips eine Abenteuerstory. Er stellt die Marketingkampagne für den Pentium- Chip mit soviel Detailreichtum und Pathos dar, als ginge es um die Schlacht von Waterloo, und die Entwicklung des Intel 8080, als wären es die Dreharbeiten zu „Vom Winde verweht“.
Seine Silicon-Valley-Klientel dürfte es schätzen, daß sie in dem Buch als verwegene, fanatische, zu allem entschlossene Gang von Superingenieuren geschildert wird, die von ihren Vorgesetzten dazu gezwungen werden müssen, wenigstens sonntags mal zu Hause zu bleiben. Als Intel 1981 in eine schwere wirtschaftliche Krise geriet, sollen die Entwickler des Unternehmens mit Stirnbändern zur Arbeit erschienen sein, auf denen stand, daß sie in einer Art freiwilligem Subbotnik 25 Prozent mehr als die üblichen 60 Stunden pro Woche arbeiten wollten.
Die Bosse der Prozessorfirmen werden in Malones Schilderungen zu „gigantischen Persönlichkeiten“: Der Motorola-Manager Thomas J. Connors wird als „aus der Hüfte schießender, Krawatte tragender Cowboy“ beschrieben. Intel-Chef Andy Grove erscheint als formidabler Teufelskerl, der schon mal einer neugierig fragenden Journalistin mit den Worten „wenn Sie ein Mann wären, würde ich Ihnen die Beine brechen“ das Maul stopft.
Gilbert Hyatt, der es mit merkwürdigen Methoden schaffte, ein Patent auf den Mikroprozessor anzumelden, obwohl er nie ein funktionierendes Exemplar gebaut hat, wird als sonderbarer Computer- Nerd beschrieben, den sein eigener Pressesprecher mit den Worten charakterisierte: „Stellen Sie ihn sich ganz einfach als Marsmenschen vor, und Sie haben das richtige Bild von ihm.“
Und richtigen Computerfreaks wird es sicher vor Spannung eiskalt den Rücken runterlaufen, wenn sie lesen, wie der resolute Fairchild- Entwickler Jean Hoerni aufgebracht ausrief: „Na gut, die Bastarde wollen einen besseren n-p-n, ich werde ihnen einen geben. Ich werde den besten n-p-n bauen, den sie je gesehen haben!“
Um die komplizierten Vorgänge im Mikroprozessor zu erklären, greift Malone zu merkwürdigen und oft unfreiwillig komischen Vergleichen: Mal sollen wir uns die Halbleiterplatte als Großstadt vorstellen, in der die Befehle wie Millionen von Einwohnern herumwieseln. Dann müssen wir uns in das Innere eines Computers versetzen, wo wir, an einem Schreibtisch sitzend, auf Millionen von Glühbirnenreihen und Lichtschaltern achten müssen, weil wir plötzlich der Arbeitsspeicher des Rechners sind.
Malone ist kein brillanter Schreiber, aber er schafft es trotzdem über weite Strecken, den Leser für sein staubtrockenes Thema einzunehmen. Die dilettantische deutsche Übersetzung ruiniert allerdings viel von Malones Techno- Prosa, denn sie ist holprig und voller Stilblüten: „Die Grenzen der Physik lauern im verborgenen“, heißt es da, oder „Intel entwickelte sich wie eine Rakete mit einem außerordentlichen Wachstum“. Lektoriert worden ist dieses Buch offenbar nicht, und selbst peinliche orthographische Fehler haben sich in die augenscheinlich schnell hingepfuschte deutsche Fassung eingeschlichen. Um die Rechtschreibung in einem Text zu überprüfen, gibt es übrigens Computerprogramme.
Im letzten Kapitel seines Buches spekuliert Malone über die Zukunft des Mikroprozessors: Weitere Verkleinerungen sind technisch nicht mehr möglich, weil die Baupläne der Leitungsplatinen dann mit den Gesetzen der Quantenmechanik in Konflikt gerieten, schreibt er.
Das ist allerdings schon wieder Makulatur: Gerade hieß es in der Computerfachpresse, daß die Bell Labs jetzt Chips mit einem Elektronenstrahl beschreiben, die darum mindestens viermal kleiner sind als die derzeit handelsüblichen Pentiums.
Die „Biographie“ des Mikroprozessors scheint darum gerade mal am Anfang zu stehen; was Malone beschreibt, ist offenbar dessen Leben bis zur Pubertät.
Michael S. Malone: „Der Mikroprozessor – Eine ungewöhnliche Biographie“. Springer Verlag, Berlin-Heidelberg 1996, 58DM
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