: „Tuten und Blasen“ on the roof
■ Hans Schneidermann über Hausbesetzung und gute Nerven
Die taz führte aus Anlaß des 20-jährigen Jubiläums von Tuten und Blasen – den Straßenkindern der Blasmusik – ein Interview mit dem Gründungsmitglied Hans Schneidermann.
taz :Wie fing alles an?
Hans Schneidermann: Es begann mit Mieterkampf und Hausbesetzerbewegung. Wir waren damals Musiker und haben eine Moritat begleitet. Ich hab' mich damals musikalisch mit Ornette Coleman und Frank Zappa befaßt. Jetzt mußte ich aber eine hübsche Klarinetten-Begleitstimme zur „Ballade von der schönen Lorelei“ spielen. Ich kann nicht sagen, daß das die Erfüllung meiner musikalischen Träume war. Alles war eben der politischen Aussage untergeordnet – und ich war als vom Rauswurf bedrohter Mieter selbst betroffen.
Wir haben uns als Orchester dann sehr schnell vergrößert, so daß wir vielleicht schon nach 2 Jahren die jetzige Anzahl von 16 bis 18 Musikern hatten. Die Unterschiede in der Beherrschung der Instrumente waren natürlich enorm groß. Aber wer Lust hatte, durfte mitspielen, vorausgesetzt, die politische Einstellung stimmte.
Rhythmus ist also nicht wichtig für dich?
Absolut. Es gibt ein altes arabisches Sprichwort: „Wer einen Fehler macht, ist trotzdem noch unser Freund. Wer einer Melodie etwas hinzufügt oder wegnimmt, ist immer noch unser Freund. Wer aber einen Rhythmus zerstört, ohne es zu merken, kann nicht mehr unser Freund sein.“ Ich muß das nicht näher erläutern. Es ist ein langer Prozeß gewesen, bis alle den Wert einer guten Percussion erkannt haben.
Wie viele sind in den 20 Jahren ausgestiegen?
Mehr als 30. Die meisten sind freiwillig gegangen. Viele haben jetzt noch mit Musik zu tun. Ernst Bechert ist heute quasi „Hauskomponist“ bei Kampnagel, Hendrik Lorenzen arbeitet mit der portugiesischen Tänzerin Angela Gurerreiro zusammen. Hannes Glogau und Hans Jünger arbeiten als Musiklehrer. Hannes war es bei uns zu laut, und Hans war es bei uns zu leise.
Mehr als die Hälfte eures Repertoires sind von dir komponiert. Wie setzt du das innerhalb der Gruppedurch?
Ein gewisses Talent gehört natürlich dazu. Und gute Nerven. So begnadete Komponisten wie Hendrik und Ernst haben das eben nicht durchgehalten. Die konnten es nicht ertragen, wenn Stücke von ihnen auch nach 10 Proben immer noch falsch gespielt wurden. Mein Ehrgeiz geht dahin, Musik zu komponieren, die sich gut anhört, egal, ob die 2.Trompete statt „fis“ ein „f“ spielt. Und ich bedenke immer: Wie hoch kann jemand auf seinem Instrument spielen? Sind Tonarten mit vier Kreuzen schon zuviel?
Du bist also unzufrieden?
Manchmal frage ich mich, was wir in den 20 Jahren mit einer Probe von zwei Stunden pro Woche eigentlich gemacht haben. Siebenhundertmal am Donnerstag auf dem Dachboden der Haynstraße erschienen, das war nicht immer Lebenszeit mit Hochgefühl.
Ihr habt dennoch durchgehalten.
„Don't feel the pain, feel the music! Fragen: Elsa Freese
Heute abend: Jubiläumskonzert, Fabrik, 21 Uhr, Sonntag, 11.30Uhr
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