: "Berlin setzt einen Meilenstein"
■ Das geplante Internationale Solarzentrum ISC soll den Dialog über Sonnenenergie fördern. Berlin könnte erste Adresse für die Solarbewegung werden. "Wir haben Resonanz aus aller Welt." Interview mit ISC-Ges
„Wir wollen, daß diese Einrichtung zur ersten Adresse für alle Fragen der Sonnenenergie wird“, verkündete Berlins Umweltsenator Peter Strieder anläßlich der Präsentation der Pläne für ein Internationales Solarzentrum in der Hauptstadt. Als Träger fungiert die im Dezember letzten Jahres gegründete gleichnamige GmbH. Das künftige Sonnenzentrum in Berlins Mitte soll – an Hauptbahnhof und Spree verkehrstechnisch ideal gelegen – die aktive und passive Nutzung von Solarenergie vorbildhaft demonstrieren und, wie es heißt, „zugleich Anregungen für eine neue, energiesparende sowie ökologisch orientierte Baukunst geben“. Andreas Lohse sprach mit dem Geschäftsführer der Solarcenter GmbH und Umweltminister a.D. des Saarlandes, Jo Leinen.
taz: Herr Leinen, das Internationale Solarzentrum soll „Impulse für eine solare Architektur setzen und in der Region Berlin- Brandenburg als Schaufenster für eine ökologische Wirtschaft“ dienen – so jedenfalls wirbt man dafür. Hat Berlin das nötig?
Jo Leinen: Berlin braucht als Metropole des 21. Jahrhunderts ein Profil. Da ist es wünschenswert, daß die Stadt nicht im gleichen Trott – und damit in den gleichen Krisen – wie die übrigen Metropolen versinkt. Berlin ist im Umbau und im Ausbau. Die Stadt hat große Chancen und beste Voraussetzungen, Solararchitektur und ökologisches Bauen von vornherein fest zu verankern. Es werden 400.000 neue Wohnungen gebaut, ein ganzes Regierungsviertel entsteht neu – welche Stadt der Welt hat so gute Bedingungen, die ökologischen Herausforderungen von grundauf zu meistern?
Worauf fußt Ihr persönliches Engagement? Fehlt Ihnen in Ihrer politischen Karriere noch die Krönung als Berliner Sonnenkönig?
Die Energiepolitik war vor 20 Jahren der Ursprung meines ökologischen Engagements. Es begann mit dem Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl. Jetzt gelten alle Anstrengungen dem Einstieg in das Solarzeitalter. Insofern ist das Engagement für ein Internationales Solarzentrum eine logische Folge angesichts der ökologischen Herausforderungen.
Wollen Sie auch der Regierung – zumindest räumlich – künftig etwas näher sein?
Wir wollen bewußt in die Nähe des Regierungsviertels, damit die erneuerbaren Energien in Zukunft nicht so vergessen werden, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Die Lobby für eine umweltfreundliche Zukunft muß sich mehr Gehör verschaffen, und Berlin als Hauptstadt soll eine erste Adresse für die Solarbewegung werden.
Ist Ihre alte Juso-Freundschaft zum derzeitigen Berliner Umweltsenator Peter Strieder bei der Wahl des Standorts und beim künftigen Betrieb des Solarzentrums hilfreich?
Ohne politische Rückendeckung des Berliner Senats wäre solch ein ökologisches Großprojekt schwierig zu verwirklichen. Wir brauchen Baugenehmigungen, wir brauchen auch finanzielle Förderungen. Die Politik in Berlin muß sich zu diesem Projekt bekennen.
Ursprung meines Engagements sind allerdings gute Kontakte zur Berliner Solarbewegung. Zudem gibt es erstklassige Solarforschungen an den Berliner Universitäten.
Nun ist allein der Kontakt zur Berliner SPD derzeit nicht alles. Wie steht es mit Unterstützung durch die andere Seite der Großen Regierungskoalition?
Ich bin seit Anfang 1995 für das Internationale Solarzentrum tätig. Die Idee dazu kam vom ehemaligen CDU-Umweltsenator Volker Hassemer. Es ist erfreulich, daß die Berliner Politik einen parteiübergreifenden Konsens für die Förderung der Solarenergie versucht und die Bundeshauptstadt ein zukunftsträchtiges Profil als „Solarcity“ erhalten soll. Der Solarenergie täte es gut, wenn nicht kleinkarierter Streit, sondern strategische Weitsicht vorherrscht und wir auch im Lager der CDU Rückendeckung bekommen.
Sehen Sie die? Der Umweltsenator hat sich mancherorts schon den Titel „Ankündigungssenator“ eingefangen – weil er zwar gern von „Solarcity Berlin“ spreche, ihm aber im Senat die Macht zur Umsetzung dieser Pläne fehle.
Das Solarzentrum braucht natürlich entsprechende Rahmenbedingungen, auch in der Energiepolitik der Stadt Berlin. Hier sind noch zwei Hausaufgaben zu machen: die Solaranlagen-Nutzungsverordnung für alle Neubauten – in Zukunft müßte jedes neue Haus für die Warmwasserbereitung die Solarkollektor-Technik einsetzen. Zweitens fehlt eine Regelung für die kostendeckende Vergütung zur Einspeisung von Solarstrom in das öffentliche Stromnetz. Wer die Photovoltaik und die Solarthermie in den Markt einführen will, muß auch die politischen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Diese Absicht steht in der Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode in Berlin. Und ich kann nur hoffen, daß das kein Papiertiger bleibt, sondern möglichst noch in diesem Jahr in die Tat umgesetzt wird.
Sind auch andere Standorte geprüft worden? Warum geht man nicht nach Zürich, Wien, Madrid, Rom?
Die Idee eines Internationalen Solarzentrums Berlin besteht schon seit mehr als fünf Jahren. Hintergrund war der Wunsch, Berlin auch für die UNO zu profilieren. Wir wollen, daß es eine Internationale Solarenergie-Agentur in Berlin gibt, als Alternative zur Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien. Berlin – als Nahtstelle zwischen Ost und West – ist der richtige Ort auch für eine solche Institution. Das Solarzeitalter im 21. Jahrhundert braucht solche Solarzentren in allen Regionen und Metropolen. Berlin könnte hier Vorreiter spielen, wird aber hoffentlich mit einer solaren Infrastruktur nicht lange allein bleiben.
Warum sollten sich denn die Vereinten Nationen mit einer Solar-Agentur ausgerechnet für Deutschland begeistern und sich hier niederlassen – in einem Land also, in dem die Lobby gegen eine intensive Nutzung der Sonnenenergie stärker ist als die der Befürworter?
Das ist tatsächlich das größte Handicap: Das Establishment in Politik und Wirtschaft in Deutschland – anders als in Japan und in den USA – behandelt die Sonnenenergie noch immer stiefmütterlich. Diese reservierte Haltung ist kurzsichtig, denn die Solartechnik wächst weltweit zu einem interessanten Wirtschaftszweig heran. Wenn wir nicht aufpassen, hat Deutschland wieder einmal die Patente, und andere stellen die Produkte her.
Zum Glück gibt es in Deutschland eine große Ökologie-Bewegung. Es gibt die Hoffnung, daß eine Solarbewegung von unten die jetzigen Strukturen aufbricht und ein Solarkurs in der Energiepolitik erzwungen wird. In diesem Jahr ist der Knoten geplatzt: Es entstehen fast wöchentlich neue Solarvereine und in zunehmend mehr Kommunen und Regionen werden Förderprogramme für die Solarenergie aufgelegt.
Der Bundeskanzler und mehrere Bundesminister haben bei den UNO-Konferenzen in Rio und Berlin große Worte für die „nachhaltige Entwicklung“ gefunden. Das verpflichtet. Wenn das nicht nur eine Luftnummer war, müssen jetzt auch auf Bundesebene Anreize und Programme zur Markteinführung für die erneuerbaren Energien kommen.
Ein „multifunktionales Informationszentrum“ soll es sein, „ökologische Baukultur für das 21. Jahrhundert“ will man schaffen, eine „solare Zukunftswerkstatt“ einrichten – Absichten, die sich eher nach einem Sonnentempel des wissenschaftlichen Hochadels anhören. Nützt so ein Zentrum auch der Bevölkerung?
Aber ja, denn das ist genau die Zielrichtung. Ein Elfenbeinturm und abgeschottete Oasen für die Expertendebatten ist das letzte, was wir jetzt brauchen. Das Gegenteil soll mit dem Solarzentrum entstehen: Wir wollen nach draußen gehen und einen Dialog quer durch die Bevölkerung herstellen. Deshalb soll es in diesem Zentrum zum Beispiel einen solaren Spiel- und Erlebnispark geben, damit Kinder und Jugendliche spielerisch an die erneuerbaren Energien herangeführt werden. Wir denken an ein solares Kunst- und Kulturzentrum, in dem Experimente mit der Sonne gemacht werden, sei es mit Theater, Musik oder als Lichtspiel. Wir wollen die Solarenergie für die Menschen erfahrbar machen, nicht nur als technische Objekte, sondern als kulturell-ästhetische Erscheinungen. Nur dann werden sich die Herzen und Köpfe öffnen, und nur dann wird die Bereitschaft wachsen, diese umweltfreundliche Energie zu nutzen.
Mal konkret: Wer soll unter dem Sonnendach Lohn und Brot finden?
In dem Solarzentrum werden alle Firmen Platz finden, die mit den erneuerbaren Energien zu tun haben. Das beginnt bei den Herstellern und Händlern von Anlagen zur Nutzung von Solar- oder Windenergie, Wasserkraft und Biomasse wie auch der Energie als Einspartechnik. Dann gibt es dort Platz für Architektur- und Planungsbüros, die sich mit intelligenter Energienutzung in Gebäuden beschäftigen. In dem Zentrum soll eine Solarschule der Handwerksinnungen entstehen, so daß die Installateure hinsichtlich dieser Technik besser ausgebildet werden. Es wird eine solare Mediathek und Bibliothek entstehen, damit sich dort jeder mit Informationen eindecken kann. Das Zentrum ist ein solares Dach für alle Aktivitäten, die auf das Solarzeitalter ausgerichtet sind.
Welche Resonanz gibt es denn in der internationalen Solar- Fachwelt auf diese Initiative? Verhält man sich abwartend- skeptisch oder eher euphorisch?
Es gibt ein riesengroßes Interesse für dieses Projekt. Wir haben Rückmeldungen aus aller Welt – auch über das Internet. Wir haben inzwischen über 200.000 Anfragen bekommen. Wenn der Startschuß am Ende des Sommers 1996 fällt und das offensive Marketing beginnt, bin ich sicher, daß wir nicht nur in Deutschland, sondern international eine ganz große Resonanz bekommen.
Viele warten darauf, daß eine attraktive Anlaufstelle für alle Fragen rund um die erneuerbaren Energien entsteht. Berlin kann mit dem Internationalen Solarzentrum einen Meilenstein für eine neue Energiezukunft setzen. Interview: Andreas Lohse
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