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Konsumgesellschaft auf Raten

Mit neuer Währung dämmt Brasilien seit 1994 die Inflation. 50 Millionen Menschen sind arm, die anderen „leiden und gewinnen“  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Die Begeisterung für die neuen bunten Geldscheine ist verflogen. Zwei Jahre nach der Währungsreform ist die brasilianische Bevölkerung zwar die Plage der Hyperinflation los. Doch die künstliche Überbewertung der neuen Währung Real sowie die saftigen Preisaufschläge unmittelbar vor der Währungsumstellung haben Brasilien zu einem der teuersten Länder Lateinamerikas gemacht. Zwar dämmen hohe Zinsen und abgebaute Importschranken neue Preiserhöhungen. Doch der Zwang zur Effizienzsteigerung verursachte Massenentlassungen und erhöhte die amtliche Arbeitslosenquote auf zehn Prozent.

Seit der Währungsrefrom im Juli 1994 stiegen in Brasilien nach Angaben des Statistikamtes IBGE die Preise um 55 Prozent. Verantwortlich für die Inflation sind in erster Linie die um 300 Prozent teureren Mieten und die Dienstleistungen, die um 142 Prozent zulegten. Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso sieht sich durch die Statistik bestätigt: Die Mittelschicht sei sowohl Leidtragender als auch Verursacher der enormen Preisschwankungen. „Der Arzt, der sich über das hohe Schulgeld seiner Tochter beklagt, verlangt von seinen Patienten jetzt ja auch das Doppelte“, erläutert Cardoso. Er glaubt, daß es sich bei der Währungsreform um „die größte Einkommensverteilung in der brasilianischen Geschichte handelt.“ „Die Leute beklagen sich, daß eine Putzfrau heute pro Tag mindestens 50 Mark verlangt, ja bitte, darin besteht doch gerade die Umverteilung“, ironisierte er kürzlich die Sorgen der Wohlhabenden.

In der Tat ist die Kaufkraft der Kleinverdiener in den letzten zwei Jahren um 14 Prozent gestiegen. Allein der Konsum von Zahnbürsten zog im vergangenen Jahr gegenüber 1994 um 156 Prozent an, 30 Prozent mehr Haarshampoo haben die BrasilianerInnen verbraucht, hat Marktforscher James Wright von der Universität Sao Paulo errechnet. Die Regierung feiert in ihrer Werbekampagne „Zwei Jahre mit dem Real“ den Anstieg des Hühnerfleischverzehrs um 16 Prozent als Beweis für die wachsende Kaufkraft der Armen. „Bis jetzt war Brasiliens Wirtschaftsmodell lediglich auf die Konsumenten der Ober- und Mittelschicht ausgerichtet“, sagt Wright. Dies habe sich nach dem „Plano Real“ geändert. Die niedrige Inflationsrate erlaube es der unteren Mittelschicht, Konsumgüter wie Kühlschränke und Waschmaschinen auf Raten zu kaufen.

Die Entdeckung der mittleren und unteren Mittelschicht mit einem monatlichen Einkommen zwischen 360 und 1.400 Dollar veranlaßte Brasiliens Wirtschaftszeitung Gazeta Mercantil gar „eine Revolution im Konsumverhalten“ anzukündigen. Schließlich machen sie die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung aus. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Statistik des IBGE ein Drittel aller brasilianischen Familien, 50 Millionen Menschen, als arm ausweist. Als „arm“ gilt eine Familie mit einem Monatseinkommen von höchstens drei Mindestlöhnen (300 Dollar). Nach Angaben der Weltbank weist Brasilien innerhalb Lateinamerikas die ungerechteste Einkommensverteilung auf: Die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung sind nur mit zwei Prozent am Volkseinkommen beteiligt. Veränderung bleibt Utopie. Eine überfällige Steuerreform hängt im Kongreß, Steuergelder werden verschwendet. Während Gesundheitsminister Adib Jatene das öffentliche Gesundheitsnetz nur mit einer neuen Schecksteuer vor dem Zusammenbruch retten kann, erlaubte sich Brasiliens Zentralbank in den letzten zwei Jahren, Privatbanken mit 13 Milliarden Dollar unter die Arme zu greifen. „Auch der gutgläubigste Brasilianer hat gemerkt, daß Bankgeschäfte hierzulande nach höchst merkwürdigen Kriterien abgewickelt werden“, spottet Paulo Nogueira Batista, Professor am renommierten Wirtschaftsinstitut „Getulio Vargas“ in Rio de Janeiro. Mit jedem Tag nehme die Sozialisierung der Verluste privater Banken zu.

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